Vorarlberg

„Möchte Menschen dazu ermutigen, darüber zu reden“

31.10.2025 • 14:34 Uhr
„Möchte Menschen dazu ermutigen, darüber zu reden“
Die neue Selbsthilfegruppe „Diagnose Krebs“ bietet Austausch und Unterstützung für Betroffene und Angehörige. Stiplovsek (2), VLKH/Nussbaumer (1)

Offen über Krebs sprechen, Ängste und Erfahrungen teilen. Mit der Selbsthilfegruppe „Diagnose Krebs“ will Viktoria Grund Hemmschwellen abbauen und Betroffenen zeigen, dass niemand allein durch diese Krankheit gehen muss.

Viktoria Grund weiß genau, wie sehr eine Krebsdiagnose das Leben auf den Kopf stellt. Vor elf Jahren erkrankte die Dornbirnerin selbst an Brustkrebs – dank einer frühen Entdeckung konnte sie die Krankheit besiegen. Später begleitete sie ihren Mann durch einen Gallenblasenkrebs; er verzichtete bewusst auf belastende Chemotherapien. „Leben bis zuletzt – das war sein Wunsch und ich habe diesen Willen respektiert“, sagt Grund. Die Monate bis zu seinem Tod, geprägt von Pflege und Gesprächen, veränderten ihre Sicht auf Krebs grundlegend.

Lebensaufgabe. Heute ist die Pensionistin oft erste Ansprechpartnerin für erkrankte Freundinnen, Freunde und Verwandte. Eine Bekannte ist schwer erkrankt, ein Familienmitglied ebenfalls. „Es ist fast so, als wäre es meine Lebensaufgabe“, sagt sie. Als sie von Sabine Moosbrugger (Selbsthilfe Vorarlberg) und Onkologe Dr. Hartmann erfuhr, dass es in Vorarlberg keine offene Selbsthilfegruppe für alle Krebsarten gibt, riefen sie gemeinsam die Gruppe „Diagnose Krebs“ ins Leben.

Die Gruppe trifft sich seit Dezember 2024 einmal im Monat in den Räumen der Selbsthilfe Vorarlberg in Dornbirn. Willkommen sind Menschen mit jeder Krebsart und ihre Angehörigen. „Selbsthilfegruppe heißt nicht Therapie“, betont Grund. „Wir ersetzen keine medizinische oder psychologische Behandlung. Wir teilen Erfahrungen und stärken uns gegenseitig.“

Geringer Zuspruch

Trotz des offenen Konzepts ist der Zuspruch gering. Aktuell gibt es nur ein festes Mitglied. Einige Betroffene hätten telefonisch Interesse bekundet, seien dann aber aufgrund der geringen Größe zurückgeschreckt. Gründe für die Zurückhaltung gibt es viele. Für manche Krebspatientinnen und ‑patienten bedeutet der Gang zu einer Selbsthilfegruppe, die eigene Krankheit öffentlich zu machen. „Krank sein heißt für viele Schwäche zeigen“, sagt Grund. „Gerade ältere Menschen tun sich schwer damit, die Diagnose anzusprechen.“ Sie erinnert sich an ihre eigene Situation: „Das Schwierigste war, meinem Mann zu sagen, dass ich Krebs habe. Ich war immer die Starke – plötzlich musste ich Schwäche zeigen. Der Schmerz hat sich für mich dadurch verdoppelt.“ Viele scheuen sich auch, ihre Familie zu belasten, oder haben Angst, dass im Bekanntenkreis getratscht wird. Manche hoffen, allein durchzukommen, andere verdrängen die Krankheit aus Angst vor schlechten Nachrichten.

Wichtiger Baustein

Auch fehlende Information hemmt die Teilnahme. Grund verteilt selbst Flyer der Selbsthilfegruppe in Krankenhäusern und Arztpraxen, doch viele wissen nicht, dass es die Gruppe gibt. Dabei belegen internationale Untersuchungen, dass Krebsselbsthilfegruppen Betroffenen Hoffnung geben, helfen, Gefühle zu verarbeiten und praktische Probleme sowie Nebenwirkungen der Behandlung zu bewältigen. Der Austausch mit anderen könne ein wichtiger Baustein im Genesungsprozess sein.

„Möchte Menschen dazu ermutigen, darüber zu reden“

„Wenn man das Wort ,Krebs‘ hört, denkt man sofort an den Tod. Aber der Schock darf einen nicht lähmen. Es hilft, darüber zu sprechen.“

Viktoria Grund,
Selbsthilfegruppe „Diagnose Krebs“

Es geht um die Seele

Im Gespräch mit der NEUE betont Viktoria Grund immer wieder, wie wichtig ihr in diesem Zusammenhang eine offene, ungeschönte Auseinandersetzung mit dem Thema Krebs ist. „In dem Moment, in dem man das Wort ‚Krebs‘ hört, denkt man an den Tod. Das ist ganz normal. Aber der Schock darf einen nicht lähmen. Ich möchte Menschen ermutigen, darüber zu reden – mit Ärzten, mit Angehörigen, mit Freundinnen und Freunden, aber auch mit anderen Betroffenen.“ Sie selbst war bei ihrer Diagnose sofort in Gedanken bei möglichen Operationen, Chemotherapien, Bestrahlungen und Statistiken. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, sagt sie rückblickend. „Man darf nicht zu lange warten, aus Angst vor der Diagnose. Je früher man geht, desto besser sind die Chancen.“

Angehörige willkommen

Besonders am Herzen liegt Grund der Austausch von Angehörigen. „Der Partner leidet mit, hat aber oft niemanden, mit dem er reden kann“, sagt sie. Als sie selbst erkrankte, war es für sie schlimmer, die erschreckende Diagnose vor ihrem Mann zu offenbaren als die Behandlung an sich. In der Gruppe können Angehörige ihre Sorgen teilen, ohne immer stark sein zu müssen. Sie erfahren auch, wie unterschiedlich Menschen mit der Krankheit umgehen: Manche wollen alles wissen, andere nur das Nötigste, manche möchten alternative Heilmethoden ausprobieren, andere vertrauen der Schulmedizin. Grund hält sich mit Ratschlägen zurück. „Ich kann erzählen, was mir geholfen hat“, sagt sie. „Aber welche Therapie man wählt, bleibt immer bei den Betroffenen.“

Lavendelfarbene Schleife

Die Lavendel‑Schleife ist ein universelles Symbol, das nicht auf eine einzelne Krebsart abzielt, sondern die Solidarität mit allen Krebspatientinnen und -patienten verkörpert. Sie wird vor allem im Februar, dem Monat der Krebsprävention, getragen. Ein Zeitpunkt, an dem weltweit verstärkt über Vorsorge, Früherkennung und Forschung gesprochen wird. Der zarte Lila‑Ton steht dabei für eine gemeinsame Haltung gegen Krebs: Menschen, die das Band tragen, möchten Zugehörigkeit und Mitgefühl vermitteln und zeigen, dass sie sich für die Verbesserung der Krebsversorgung einsetzen.

Nicht aufgeben

Obwohl die Selbsthilfegruppe bisher nur zwei bis drei Personen anzieht, hat Viktoria Grund nicht vor, das Projekt aufzugeben. „Ich weiß, dass es dieses Angebot braucht. Vielleicht dauert es, bis die Hemmschwelle fällt.“ Unterstützung erhält sie von der Selbsthilfe Vorarlberg, die neben den Räumlichkeiten auch fachliche Beratung bei der Gruppenleitung bietet. Landesweit existieren in Vorarlberg rund 100 Selbsthilfegruppen in unterschiedlichen Bereichen. Die Dachorganisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Netzwerk auszubauen und Gruppen sichtbarer zu machen. Viktoria Grund erhofft sich zudem auch Rückendeckung aus den Kliniken. „Es wäre wichtig, dass Patienten bei der Entlassung auf Selbsthilfegruppen hingewiesen werden“, sagt sie. Die Idee der „Selbsthilfefreundlichen Krankenhäuser“, an denen die Selbsthilfeorganisation gemeinsam mit Spitälern arbeitet, könnte ein Weg sein. Außerdem ließe sich die finanzielle Förderung für Öffentlichkeitsarbeit nutzen, etwa für professionelle Social‑Media‑Kanäle oder Infobroschüren, um die Bekanntheit zu erhöhen.

Aufruf

Am Ende bleibt eine Botschaft: Krebs betrifft viele und niemand muss damit allein bleiben. Selbsthilfegruppen können Betroffenen helfen, die eigene Krankheit besser zu verstehen, Ängste abzubauen und Wege im Umgang zu finden. „Man muss es einfach ausprobieren“, sagt Grund und lächelt. „Es gibt keine Verpflichtung. Man kann einmal schnuppern, zuhören und schauen, ob es einem guttut. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen den Mut haben, das zu tun.“ Der Termin der nächsten Selbsthilfegruppe „Diagnose Krebs“ ist am 6. November 2025. Fragen beantwortet Viktoria Grund unter Tel. 0664 421 59 48 oder per E‑Mail an viktoria.grund@gmx.at.

Kontakt Dachverband
Selbsthilfe Vorarlberg

Schlachthausstraße 7c, Dornbirn
Geschäftsleiterin:
Sabine Moosbrugger
Tel. 0664/4349654
s.moosbrugger@selbsthilfe-vorarlberg.at

Dr. Bernd Hartmann Porträt
Dr. Bernd Hartmann, Präsident der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg.

3 Fragen an… Dr. Bernd Hartmann, Präsident der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg

  1. Warum war es Ihnen wichtig, neben spezialisierten Gruppen auch eine allgemeine Selbsthilfegruppe für alle Krebsarten anzuregen?

Derzeit gibt es in Vorarlberg drei Selbsthilfegruppen:

  • Selbsthilfegruppe nach Brustkrebs
  • Selbsthilfegruppe Prostatakrebs
  • Selbsthilfegruppe Multiples Myelom

Allerdings gibt es viele weitere Krebserkrankungen, für die bisher keine Selbsthilfegruppen bestehen. Betroffene dieser Krebsarten haben daher oft keine Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen oder Unterstützung zu finden. Aus diesem Grund war es mir ein besonderes Anliegen, dass eine krebserkrankungsunabhängige Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen wird, die allen Patientinnen und Patienten offensteht, sie miteinander vernetzt und ihnen eine Plattform für Austausch und gegenseitige Unterstützung bietet. Ich bin Frau Grund sehr dankbar, dass sie die Initiative ergriffen und diese Selbsthilfegruppe gegründet hat.

  1. Welche positiven Effekte beobachten Sie aus medizinischer Sicht, wenn sich Patientinnen und Patienten – aber auch Angehörige – in Selbsthilfegruppen austauschen?

Aus medizinischer Sicht zeigt sich deutlich, dass der Austausch in Selbsthilfegruppen zahlreiche positive Effekte hat – sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für deren Angehörige.

Ich stelle fest, dass sich viele Patientinnen und Patienten gerne mit anderen Betroffenen vernetzen, die die gleiche Erkrankung haben. Sie möchten Erfahrungen austauschen, hören, wie andere mit der Diagnose umgehen, welche Behandlungsmöglichkeiten sie wahrgenommen haben und wie sie Nebenwirkungen bewältigen. Dieser gegenseitige Austausch wird von den Betroffenen als sehr hilfreich erlebt und trägt wesentlich dazu bei, dass sie sich besser verstanden und unterstützt fühlen.

Je besser Patientinnen und Patienten informiert sind, desto leichter fällt es ihnen, mit Nebenwirkungen oder seelischen Belastungen umzugehen und ihren individuellen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Der Austausch fördert somit nicht nur das Wissen über die Krankheit, sondern stärkt auch die Eigenverantwortung, das Selbstvertrauen und die psychische Stabilität.

  1. Was empfehlen Sie Betroffenen und ihren Familien im Umgang mit der Diagnose Krebs: Woran sollten sie denken und wann sollten sie sich Unterstützung holen?

Ich weiß, dass die Diagnose Krebs für viele Menschen ein großer Schock ist. Jeder geht auf seine eigene Weise damit um: Manche finden relativ rasch ihren Weg und können die Situation selbst gut bewältigen, andere wiederum benötigen ein stabiles und unterstützendes Umfeld. Besonders die Familie spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch nicht alle haben diese Unterstützung – und gerade für diese Menschen braucht es Angebote, die über die medizinische Behandlung hinausgehen und auch außerhalb des Krankenhauses verfügbar sind.

Da viele Therapien heute ambulant erfolgen, verbringen Patientinnen und Patienten oft nur kurze Zeit im Krankenhaus, erhalten dort grundlegende Informationen – und stehen dann mit der Diagnose häufig allein da. Genau hier setzt die Krebshilfe an: Wir bemühen uns, Betroffenen und ihren Angehörigen psychologische und psychotherapeutische Unterstützung anzubieten, um sie in dieser herausfordernden Phase zu begleiten.

Es gibt keinen „richtigen“ Weg, mit einer Krebserkrankung umzugehen. Wichtig ist vielmehr, dass die Betroffenen umfassend informiert werden – über die Erkrankung selbst, über den weiteren Verlauf, die Therapiemöglichkeiten und auch über die Heilungschancen. Auch die Personen im direkten Umfeld dürfen und sollen sich Hilfe holen.

Am wichtigsten sind Sicherheit und Unterstützung – und diese sollte möglichst aus verschiedenen Richtungen kommen: vom behandelnden Arzt, von der Familie, aber auch von Organisationen wie der Krebshilfe, die gemeinsam im Sinne der Patientinnen und Patienten wirken.