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Strukturwandel in der Selbsthilfe: Gemeinsam stärker auftreten

29.10.2025 • 16:11 Uhr
Strukturwandel in der Selbsthilfe: Gemeinsam stärker auftreten
Geschäftsführerin Sabine Moosbrugger mit der Broschüre „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“. Stiplovsek

Die Selbsthilfe Vorarlberg hat sich neu aufgestellt – und mit Sabine Moosbrugger eine erfahrene, engagierte Frau an der Spitze. Seit Juni 2024 lenkt die Hörbranzerin die Geschicke des nunmehrigen Dachverbands.

Als Sabine Moosbrugger im Juni 2024 die Geschäftsführung übernahm, befand sich die Selbsthilfe Vorarlberg mitten in einem grundlegenden Wandel. „Am Anfang ist gleich der große Prozess mit dem Land Vorarlberg und dem Lebensraum Bregenz gestartet – der Umstrukturierungsprozess hin zum Dachverband Selbsthilfe Vorarlberg“, erzählt sie. „Wir haben Neuwahlen durchgeführt, neue Statuten beschlossen und den Vorstand erweitert“, so Moosbrugger. „Neu ist, dass eine Person vom Lebensraum Bregenz im Vorstand ist, ebenso drei Beirätinnen, die verschiedene Selbsthilfegruppen repräsentieren. Das macht unser Bild vielfältiger und breiter aufgestellt.“ Der Lebensraum Bregenz, früher selbst eine Drehscheibe für Selbsthilfegruppen, ist heute ein wichtiger Partner des Dachverbands. Gemeinsam bilden sie das neue Rückgrat der großen Selbsthilfelandschaft in Vorarlberg.

Unterschiedliche Rollen

Moosbrugger weiß, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen. Seit 1992 ist sie im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig, in unterschiedlichsten Rollen: Sie absolvierte unter anderem eine Pflegeausbildung, arbeitete in einem Pflegeheim, stand an der Spitze des Sozialsprengels Leiblachtal, wo sie eine Tagesbetreuung für Senioren aufbaute und den Vorsitz der Aktion Demenz übernahm. „Mich beeindruckt immer wieder, wie unterschiedlich Menschen mit Krankheit, Krisen oder Problemen umgehen“, sagt die 56-Jährige. „Diese Vielfalt an Lebensgeschichten prägt mich sehr.“

Selbsthilfe-Gruppen

Selbsthilfe-Gruppen bieten eine Plattform für Menschen, die Erfahrungen teilen und sich Rückhalt in schwierigen Lebenslagen bieten. Der gegenseitige Austausch geschieht auf Augenhöhe. Alle übernehmen Aufgaben und Funktionen und tragen so zum Gelingen der Gruppenarbeit bei. Es ist ein Netzwerk, das auffängt und stärkt.

Weitere Informationen zum Dachverband Selbsthilfe Vorarlberg und den aktiven Selbsthilfe-Gruppen: selbsthilfe-vorarlberg.at, Auskünfte: s.moosbrugger@selbsthilfe-vorarlberg.at oder 0664/4349654.

Persönlicher Zugang

Zur Selbsthilfe fand sie schließlich über einen ganz persönlichen Zugang: „Durch meine Tochter bin ich das erste Mal mit der Selbsthilfe Vorarlberg in Kontakt gekommen. Obmann Werner Gohm hat mir ausgeführt, was Selbsthilfe leistet – in Vorarlberg, österreichweit und über die Grenzen hinaus. Mich hat die Idee fasziniert, Menschen zu begleiten, die sich freiwillig und ehrenamtlich engagieren, um sich und anderen zu helfen – um den Alltag besser zu bewältigen. Diese Hilfe zur Selbsthilfe finde ich unglaublich wertvoll“, führt Moosbrugger aus.

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Sabine Moosbrugger im Interview mit der NEUE. Stiplovsek

Was sie an der Selbsthilfe so schätzt, ist der Gedanke der Eigenverantwortung. „Für mich ist wichtig, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, das eigene Leben zu steuern. Wenn jemand den Mut hat, etwas zu verändern, kann das unglaublich viel Positives bewirken. Das ist auch das Grundprinzip der Selbsthilfe: die eigene Stärke erkennen und nutzen.“ In den Selbsthilfe-Gruppen gehe es darum, Erfahrungen zu teilen, sich gegenseitig zu stärken und Wege zu finden, mit schwierigen Situationen umzugehen. „Dieser soziale Halt kann verhindern, dass jemand in eine Depression rutscht – das ist echte Prävention“, betont die Hörbranzerin.

Tragende Säule im Gesundheitssystem

Selbsthilfe ist in Vorarlberg kein Nischenthema, sondern eine tragende Säule im Gesundheitssystem. Aktuell gibt es 92 aktive Selbsthilfegruppen, getragen von vielen Ehrenamtlichen. „Neu gegründet haben sich Gruppen zu chronischen Schmerzen, Stoma-Trägern oder Lipödemen. Es entstehen also laufend neue Initiativen.“

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Dachverband

Viele dieser Gruppen entstehen aus dem Wunsch, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen – oft von Betroffenen selbst oder deren Angehörigen. Der Dachverband Selbsthilfe Vorarlberg unterstützt sie dabei mit professioneller Beratung, bei Neugründungen, Weiterbildungen, Öffentlichkeitsarbeit und kostenlos zur Verfügung gestellten Räumen.


Mit der Gründung des Dachverbands wurde auch ein organisatorisches Problem gelöst. „In Vorarlberg hatten sich über die Jahre zwei parallele Strukturen entwickelt“, erklärt Moosbrugger. „Unser Ziel war es, diese zu bündeln und gemeinsam stärker aufzutreten. Wir wollten schon lange als Dachverband fungieren – viele Aufgaben haben wir ohnehin schon übernommen. Jetzt sind die Kräfte vereint, und gemeinsam haben wir einfach mehr Gewicht.“ Ein zentraler Vorteil sei die neue Klarheit. „Es gibt nun eine zentrale Ansprechstelle, also eine Geschäftsstelle, die den Überblick behält. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Lebensraum Bregenz haben wir mehr Ressourcen, ein gemeinsames Budget und eine klare Organisation. Das schafft Sicherheit – für alle Beteiligten.“

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Gute Zusammenarbeit mit Land

Das Land Vorarlberg spielt dabei eine Schlüsselrolle. „Das Land finanziert uns zu 100 Prozent – natürlich gibt es immer Luft nach oben“, sagt Moosbrugger. „Die Zusammenarbeit ist aber sehr gut. Das Land hat den Umstrukturierungsprozess stark unterstützt, weil es den Wert der Selbsthilfe anerkennt.“ Zusätzlich fließen Mittel von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und vom Fonds Gesundes Österreich (FGÖ). Mit diesen Geldern werden Fortbildungen für Gruppensprecher, Öffentlichkeitsarbeit und neue Projekte finanziert. „Dieses Jahr haben über 40 Ehrenamtliche an Schulungen teilgenommen.“ Und: „Natürlich spielen Spenden auch eine Rolle“, diese sind für uns ebenfalls wichtig.“ Weitere Infos diesbezüglich gibt es auf der Homepage https://selbsthilfe-vorarlberg.at.

Transparent arbeiten

Wie bei jeder Veränderung gab es auch bei der Umstrukturierung kritische Stimmen. „Ja, anfangs gab es Skepsis bei manchen Gruppen. Veränderung macht oft unsicher“, sagt Moosbrugger offen. „Uns ist wichtig, transparent zu arbeiten – mit Mitgliederversammlungen, gemeinsamen Veranstaltungen und offenen Gesprächen. Wer Fragen hat, kann jederzeit zu mir kommen.“ Dieser offene Umgang hat Vertrauen geschaffen – und die Basis für eine neue Phase der Zusammenarbeit gelegt.

zur person

Name: Sabine Moosbrugger
Geboren: 22. Mai 1969
Familienstand: Geschieden, eine erwachsene Tochter
Wohnort: Hörbranz
Beruf: Geschäftsleiterin Selbsthilfe Vorarlberg
Werdegang: Köchin, Transaktionsanalytikerin, Lebens- und Sozialberaterin, Fachkraft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychologische Beratung, seit 2011 in eigener Praxis, seit Juni 2024 Geschäftsführerin Selbsthilfe Vorarlberg
Hobbys: Schwimmen, Bodensee, Campen, Urlaub machen

Digitalisierung

Auch in der Selbsthilfe ist die Digitalisierung angekommen. „Wir sind auf Instagram und Facebook aktiv und gestalten gerade eine neue, barrierefreie Homepage“, führt die 56-Jährige aus. „Einige Gruppen – etwa jene zu ME/CFS – treffen sich ausschließlich online, weil viele Betroffene körperlich eingeschränkt sind.“ Dabei gehe es nicht um einen Ersatz persönlicher Treffen, sondern um eine Ergänzung. „Wir unterstützen auch hybride Formate, damit alle teilnehmen können. Trotzdem bleibt der persönliche Kontakt zentral – die digitale Vernetzung soll nur ergänzen, nicht ersetzen.“

Herzensprojekt

Ein Herzensprojekt ist für Moosbrugger das „Selbsthilfefreundliche Krankenhaus“. „In Feldkirch haben wir dazu bereits einen Kooperationsvertrag – wie es ihn auch in anderen Bundesländern gibt. Ziel ist, dass Patienten im Krankenhaus Informationen über Selbsthilfegruppen bekommen – als Ergänzung zur professionellen Behandlung. Auch bei uns wächst das Verständnis, dass Selbsthilfe kein Konkurrenzangebot ist, sondern eine wertvolle Ergänzung.“ Langfristig möchte die Geschäftsführerin das Projekt auf weitere Spitäler in Vorarlberg ausweiten. „Das wäre ein wichtiger Schritt, um Selbsthilfe noch stärker im Gesundheitssystem zu verankern.“
Die Selbsthilfe Vorarlberg ist nicht nur regional aktiv, sondern auch gut vernetzt. „Unser Obmann ist sehr engagiert und pflegt den Austausch mit Organisationen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Das bringt wertvolle Impulse und gute Beispiele, die wir adaptieren können.“

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Sabine Moosbrugger. Stiplovsek

Bodenständig

Trotz aller organisatorischen Aufgaben bleibt Sabine Moosbrugger bodenständig. „Alles, was ich gelernt habe, kann ich irgendwie einbringen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Mein ursprünglicher Beruf war in der Küche – auch das hilft, wenn wir Feste oder Veranstaltungen organisieren.“ Was sie antreibt, ist die Überzeugung, dass Menschen die Kraft haben, ihr Leben selbst zu gestalten. „Selbsthilfe heißt für mich, nicht aufzugeben, sondern Wege zu finden, den Alltag gut zu bewältigen.“


Für die kommenden Jahre hat sie klare Wünsche: „Ich hoffe, dass wir personell besser ausgestattet sind – es läuft vieles am Limit. Ohne die vielen engagierten Ehrenamtlichen wäre das gar nicht möglich. Und ich wünsche mir, dass das Projekt ’Selbsthilfefreundliches Krankenhaus’ auf weitere Häuser ausgeweitet wird.“