Sport

Ganahl: Menschlich ist es hart, aber so ist der Sport

15.11.2025 • 22:50 Uhr
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Manuel Ganahl mit exklusiven Einblicken in das Seelenleben eines Profiteams. GEPA

Der Montafoner Manuel Ganahl schildert in seinem Gastbeitrag, was der ungewöhnliche Trainerwechsel in Graz auslöste: Einblicke, die sonst verwehrt bleiben.

Als Spieler einen Trainerwechsel zu kommentieren, ist nicht ganz einfach. Aber da ich meine Rolle als Kolumnist und Gastbeitrag-Autor bei der NEUE ernst nehme, greife ich dieses Mal den Trainerwechsel bei uns in Graz auf. Erst recht, da mir mein Kolumnisten-Konterpart Raphael Herburger dazu in seinem letzten Beitrag die Steilvorlage gegeben hat: Die nehme ich natürlich auf, lieber Herbie.
Es ist ja bekannt, dass es die Entscheidung unseres 99ers-Präsidenten Herbert Jerich war, dass sich der Verein von Trainer Harry Lange trennt. Unsere Niederlage in Linz hat den letzten Ausschlag dazu gegeben. Natürlich fühlte es sich für uns wie eine Entscheidung von einer Sekunde auf die andere an. Aber es gab schon Signale, dass „Herb“, wie wir unseren Präsidenten nennen, schon länger mit dem Gedanken gespielt hat, den Trainer zu wechseln. Nach der Partie in Linz war für ihn klar, dass wir einen neuen Impuls brauchen, und er hat nicht lange gefackelt. Das kann einem als Fan, Eishockey-Kommentator, Angestellter oder Spieler gefallen oder nicht, Fakt ist, Herbert Jerich trägt als Präsident die Verantwortung und hat auch das Recht dazu, so eine Entscheidung zu fällen. Natürlich waren die Umstände dieses Mal etwas spezieller. Aber als Spieler hast du dich auf den Sport zu konzentrieren, und es steht dir nicht zu, die Entscheidung des Vereins infrage zu stellen. Denn jeder von uns Spielern hat seinen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass wir fünf, sechs Punkte weniger in der Tabelle haben, als wir uns das alle gewünscht hätten. Hätten wir zwei Siege mehr, wäre es nicht zur Trainer-Trennung gekommen. Das liest sich vielleicht brutal, aber: So ist der Profisport. Und jeder, der einen Profivertrag unterschreibt, weiß das auch.
Ich erlebe ja nicht zum ersten Mal einen Trainerwechsel mit. Aus der Erfahrung heraus kann ich sagen, dass ein Trainerwechsel ein Neuanfang ist. Die Uhren werden wieder auf null gestellt. Diejenigen Spieler, die davor so ein bisschen hintendran waren, können sich ohne Vorgeschichte neu beweisen. Die Spieler, die sich ihrer Position schon etwas sicher waren und es sich vielleicht in einer Komfortzone bequem gemacht haben, müssen sich ihr Standing neu erarbeiten. Denn alles, was davor war, zählt nicht mehr.
Das ist die mentale Veränderung, die ein Trainerwechsel auslöst und sehr viel mit einer Mannschaft macht. Die taktischen Veränderungen, die ein Trainerwechsel mit sich bringt, unterscheiden sich von Fall zu Fall und sind oft gar nicht so maßgeblich. Wobei auch klar ist, dass jeder Trainer seine eigene Philosophie mitbringt, die manchen Spielern mehr entgegenkommt und manchen weniger. Um es vielleicht in einem Satz auszudrücken: Meiner Meinung nach ist der große Hintergedanke bei jeder Trainerablösung, dass der Konkurrenzkampf neu entfacht werden soll.

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Harry Lange musste bei den 99ers gehen. GEPA

Trainer darf kein Alibi sein
Um ganz konkret auf unsere Situation in Graz sprechen zu kommen: Es ist schon so, dass wir alle spüren, dass wir die letzten fünf oder zehn Prozent, die da wären, nicht aufs Eis bringen. Und das kannst du dir in der hochwertigen ICE Hockey League nicht erlauben. Die Liga hat in dieser Saison wieder einen großen Sprung nach vorne gemacht. Wie sich zum Beispiel die Standorte in Ljubljana und bei Pustertal entwickelt haben, ist großartig für die ICE-Liga. So hast du plötzlich neun, zehn Teams, die realistisch um einen Top-sechs-Platz mitspielen, früher klaffte nach dem sechsten oder siebten Platz eine Lücke.
Auch die Partien bei den Nachzüglern sind schwierig. Wer zum Beispiel nach Feldkirch fährt und glaubt, man holt da im Vorbeigehen drei Punkte, der fährt mit einem dicken Hals heim. Darum kann ich unseren Präsidenten schon verstehen. Als Profi spiele ich sowieso lieber für einen Verein, dem der fünfte Platz nicht gut genug ist und der für den Erfolg auch zu unbequemen Entscheidungen bereit ist, als ich spiele für einen Verein, bei dem nach Niederlagen Ausreden gesucht werden.
Aus menschlicher Sicht schaut die Sache anders aus. Als Assistant Captain hatte ich sehr viel mit unserem Trainer Harry Lange zu tun. Ich war bei vielen Meetings dabei. Außerdem wohnen wir relativ nahe beieinander, unsere Kinder gehen in den gleichen Kindergarten, da gab es auch private Anknüpfungspunkte. Also klar, natürlich trifft einen als Spieler eine Trainerentlassung auf persönlicher Ebene, es wäre ja auch ein Wahnsinn, wenn es nicht so wäre. Dieses Betroffensein darf ein paar Stunden andauern. Danach muss man für sich als Spieler seinen eigenen Anteil an der Vereinsentscheidung herausarbeiten – und dann nach vorne schauen. Das macht auch ganz bestimmt unser Ex-Trainer. Denn am Ende des Tages weiß Harry Lange natürlich, dass er als Trainer Ansprüche zu erfüllen hat. Die sind in Graz vielleicht noch etwas höher als bei vielen anderen ICE-Klubs, aber diese Ansprüche haben ihn ja auch gereizt, zu den 99ers zu kommen. Und dann bin ich wieder an dem Punkt, dass wir unser Potenzial nicht voll ausgeschöpft haben, wofür bei jedem Verein in letzter Konsequenz der Trainer zur Verantwortung gezogen wird. Das steht so in der Jobbeschreibung.
Im selben Atemzug muss ich aber auch mal ganz tief aus dem Nähkästchen plaudern. Eine in sich gefestigte Mannschaft, und das sind wir in Graz bei den 99ers, hat den Anspruch an sich, auf dem Eis die allermeisten Dinge selbst zu regeln. Der Trainer ist für die Details da, diese Details sind klarerweise wichtig, doch der Coach darf für uns Spieler nie ein Alibi sein. Der Trainer vergibt nicht die Torchance, der Trainer verliert kein Laufduell.
Am Ende muss jeder Spieler sein Bestes für den gemeinsamen Erfolg geben, ganz egal, ob man mit seinen Linienpartnern privat einen Kaffee trinken würde oder welcher Trainer an der Bande steht. Profisport heißt, alles dem Erfolg unterzuordnen und jeden Tag besser werden zu wollen. Wer diese Einstellung und die damit verbundenen Mechanismen ablehnt, ist im Profisport falsch aufgehoben.