Ein Arzt ohne Grenzen

Am 25. Juni vor 30 Jahren wurde Ärzte ohne Grenzen Österreich gegründet. Der Vorarlberger Chirurg Michael Rösch leistete für die Hilfsorganisation sieben Einsätze, hat viel erlebt und zu erzählen.
Ärzte ohne Grenzen wurde 1971 gegründet. Die private Hilfsorganisation leistet medizinische Nothilfe in Krisen- und Kriegsgebieten. 1999 wurde ihr hierfür der Friedensnobelpreis verliehen. Jährlich werden für Projekte der Organisation etwa 3000 Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern und -pfleger, Hebammen und Logistiker rekrutiert. Insgesamt beschäftigte Ärzte ohne Grenzen nach eigenen Angaben weltweit rund 65.000 Menschen, davon 91 Prozent in den Hilfsprojekten. Neun von zehn Mitarbeitenden stammen demnach aus den Einsatzländern selbst. Die Vereinigung hat 24 Sektionen in 20 Staaten sowie in den vier Regionen Lateinamerika, Südasien, Ostafrika und südliches Afrika.
30-jähriges Jubiläum
Die Sektion Österreich wurde heute vor 30 Jahren gegründet und feiert somit ein Jubiläum. In Österreich ist Ärzte ohne Grenzen als Verein organisiert und hat einen besonderen Stellenwert: Ärzte ohne Grenzen ist die größte rein aus Privatspenden finanzierte Hilfsorganisation. Letztes Jahr spendeten 176.000 Menschen mehr als 33 Millionen Euro für die humanitäre Arbeit. Mittlerweile hat Ärzte ohne Grenzen Österreich 80 Mitarbeiter, und jedes Jahr werden mehr als 100 Einsatzkräfte in Krisengebiete entsandt.

Seit 16 Jahren dabei
Einer davon ist der Vorarlberger orthopädische Chirurg Michael Rösch, der seit 16 Jahren insgesamt sieben Hilfseinsätze für Ärzte ohne Grenzen absolvierte: Iran (2008), Nigeria (2011), Ukraine (2015), Gaza (2018), Haiti (2020 und 2022) und Zentralafrikanische Republik (2023). „In Ländern zu arbeiten, wo es wenig medizinische Versorgung gibt, war meine Grundmotivation, Medizin zu studieren“, blickt Michael Rösch, der seit 2015 in Wien lebt und Oberarzt im Herz-Jesu Krankenhaus Wien ist, zurück. Vorerst stand aber das Familienglück an erster Stelle. Als die drei Kinder dann wohlbehalten aus dem Haus waren, ging es los.
„Als ich 2007 privat im Jemen war, habe ich einen heimischen Arzt kennengelernt und ihn beim Aufbau eines kleinen Krankenhauses unterstützt und geholfen.“ Dabei wurde ihm klar, dass „eine effektive Hilfe vor Ort am ehesten mit einer gut aufgestellten Organisation zu bewerkstelligen ist. Als Privatperson ist man den Widrigkeiten vor Ort einfach ausgeliefert.“ Danach hat sich der 63-Jährige umgesehen, welche Organisation dafür infrage kommt. „Im medizinischen Bereich ist Ärzte ohne Grenzen in Österreich am besten aufgestellt. So bin ich dazugestoßen.“ Bereits 2008 hatte er im Iran seinen ersten Einsatz, sechs weitere folgten.
Zur Person
Name: Michael Rösch
Geboren: 19. Juli 1961
Aufgewachsen: In Götzis
Familienstand: Verheiratet seit 1981, drei erwachsene Kinder
Wohnort: Wien seit 2015
Ausbildung: Studium an der Universität Innsbruck, FA-Ausbildung LKH Feldkirch
Derzeitiger Beruf:
Oberarzt am Herz-Jesu Krankenhaus Wien
Vorherige berufliche Stationen:
2000 bis 2009 Oberarzt in Dornbirn, 2009 bis 2015 orthopädischer Chirurg am Shepton Mallet Treatment Centre in Südengland.
Hobbys:
Lesen, Musik
Unter Beschuss
Rösch, der bei seinen Einsätzen für die Knochenchirurgie verantwortlich ist, aber auch den allgemeinen Chirurgen bei Operationen aushilft, musste dabei viele herausfordernde Situationen meistern. Emotional reiht er den Einsatz in der Ukraine 2015 ganz oben ein. „In der Region Donbas herrschte schon damals ein bewaffneter Krieg. In den drei Wochen, in denen ich dort war, standen wir zwei davon unter Beschuss. Das war schon beängstigend.“ Gefährlich war es auch in Haiti. „Ich war zweimal auf dem Inselstaat, und die insgesamt sechs Wochen verbrachte ich nur in der Wohnung und im Krankenhaus. Angesichts der angespannten und unübersichtlichen Lage war es unmöglich, auf die Straße zu gehen.“
In Gebieten, die durch menschliche Krisen wie Kriege betroffen sind, sei die Sicherheit die größte Herausforderung. „Die Situationen werden immer unsicherer. Wir haben keine Garantie, dass unsere Einrichtungen und Krankenhäuser nicht bedroht oder beschossen werden. Es wurden auch schon Mitarbeiter verschleppt und ermordet.“

Bei seinem letzten Einsatz Ende 2023 in der Zentralafrikanischen Republik stieß er zudem auch an seine körperlichen Grenzen. „Ärzte ohne Grenzen hat in der Hauptstadt Bangui ein eigenes Krankenhaus, wo wir Unfallchirurgie anbieten. Ich war für die Knochenverletzungen zuständig, und zudem war nur noch ein allgemeiner Chirurg vor Ort. In den fünf Wochen stand ich im Dauereinsatz. Täglich, inklusive Sonntag, von acht bis sieben Uhr. Zudem wurde ich auch noch in der Nacht zu Operationen gerufen. In diesem Ausmaß habe ich das zuvor noch nie erlebt.“
Emotional
Wie geht Michael Rösch mit all den emotionalen und körperlichen Belastungen um? Vor Ort sei es „noch“ einfacher. „Wenn man das Gefühl hat, helfen zu können, geht es einem doch ganz gut. Problematisch wird es erst einige Wochen später, wenn ich zurück in Wien bin und mir die Sinnfrage stelle: Was mache ich hier, die Arbeit hier ist so viel einfacher?“ Aber auch hier könne man sich behelfen. „Es ist auch schön zu sehen, dass man in Österreich helfen kann, gerade in meinem Bereich, wo man Menschen zu 100 Prozent heilen kann. Bei den Patienten für eine schmerzfreie Bewegungsfreiheit sorgen kann.“ Das sei in Haiti oder Afrika oft nicht möglich. „Dort helfen wir zwar auch, müssen aber oft Menschen mit Schmerzen und Behinderungen zurücklassen. Das ist nicht immer ganz einfach und führt mir auch immer wieder vor Augen, wie privilegiert wir hier arbeiten können.“
Einsätze von Michael Rösch
Oktober 2023 bis November 2023: Zentralafrikanische Republik
Februar 2022 bis April 2022: Haiti
November 2020 bis Dezember 2020: Haiti
Mai 2018 bis Juni 2018: Gaza
Februar 2015 bis März 2015: Ukraine
November 2011 bis Dezember 2011: Nigeria
März 2008 bis Mai 2008: Iran
In den kulturellen Unterschieden in den Krisengebieten sieht der Vorarlberger kein großes Problem. „Hilfesuchende Menschen unterscheiden sich weltweit nicht. Wir bieten diese an, und sie wird auch meistens angenommen.“ Geringe Unterschiede bei der Haltung gegenüber Eingriffen, wie zum Beispiel bei Amputationen, könne es aber schon geben. „Dafür haben wir Fachpersonal und Psychologen vor Ort, die mit den Betroffenen das Gespräch suchen“, sagt Rösch, der fürchtet, dass angesichts der vielen Krisenherde der Bedarf an humanitärer Hilfe weiter steigen wird. „Das ist natürlich traurig.“ Darum ist es gut, dass Ärzte ohne Grenzen auf große Spenden-Unterstützung bauen kann.

Bezüglich eines aktuell geplanten Einsatzes meint der 63-Jährige: „Im Moment nicht, aber nächstes Jahr möchte ich wieder einen Einsatz machen.“ Bevorzugtes Gebiet wäre für ihn der Jemen. „Ich war ja schon 2007 vor meiner Zeit bei Ärzte ohne Grenzen im Jemen. Daher kenne ich das Land und die Menschen schon. Auch Haiti ist diesbezüglich ein Thema. Da ich bereits zweimal dort war und die Gegebenheiten kenne, könnte ich viel speditiver arbeiten.“
Nächster Einsatz
Gibt es für Michael Rösch ein Ablaufdatum bei Ärzte ohne Grenzen? „Wie lange das für mich noch infrage kommt, kann ich derzeit nicht sagen. In Österreich gehe ich voraussichtlich in zwei Jahren in Pension. Dann hätte ich mehr Zeit, und bei der Hilfsorganisation gibt es keine Altersgrenzen“, lässt sich der Vorarlberger, der weiter seinen Grundsätzen – leidenden Menschen zu helfen, Probleme zu lösen und Ungerechtigkeiten nicht hinzunehmen – treu ist, noch alles offen.