Vorarlberg

Erinnerung an Bregenzer Opfer der NS-Verbrechen

07.11.2024 • 19:54 Uhr
Erinnerung an Bregenzer Opfer der NS-Verbrechen
Guggenberger war maßgeblich an der Recherche zu den Geschichten hinter den Stolpersteinen beteiligt. Stadt Bregenz/Canva

Am Freitag werden 28 „Stolpersteine“ in der Bregenzer Rathausstraße im Gedenken an Opfer der NS-Euthanasie enthüllt. Historiker Florian Guggenberger stellt das Schicksal der Bregenzerin Herta Böckle vor.

Der Begriff “Euthanasie” stammt aus dem Alt-Griechischen und wurde dort als “Sterbehilfe” definiert. Zur NS-Zeit erhielt dieses Wort ein neue, grauenvolle Bedeutung. Unter dem Überbegriff der Euthanasie wurden im Dritten Reich Menschen, deren Leben die Nazis als “unwert” ansahen, verfolgt und vielfach ermordet. Juden, Roma und Sinti, politisch andersdenkende, sozial geächtete sowie psychisch erkrankte und beeinträchtigte Menschen waren davon betroffen.

Zur Verfolgung der letzteren Gruppen erließ die Reichsregierung 1934 das “Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”. Es umfasst eine lange, bewusst weit definierbare Liste an “Erbkrankheiten”, die meldepflichtig waren.

Meldepflichtige “Erbkrankheiten” zur ns-zeit

  • „angeborener Schwachsinn“
  • „Schizophrenie“
  • „manisch-depressives Irresein“
  • „erbliche Fallsucht“ (Epilepsie)
  • „erblicher Veitstanz“ (Chorea Huntington)
  • „erbliche Blindheit“
  • „erbliche Taubheit“
  • „erbliche körperliche Missbildung“

Wegen „schwerem Alkoholismus“ wurden ebenfalls Zwangssterilisierungen durchgeführt.

Auch in Vorarlberg gibt es eine Vielzahl an Menschen, die durch die Euthanasie der Nazis verfolgt wurden. Die Stadt Bregenz hat dazu 28 “Stolpersteine” errichtet, mit denen Opfern der nationalsozialistischen Sozial- und Gesundheitspolitik gedacht wird. 27 der Steine tragen die Namen, Geburts- und Todestag sowie Todesort von Opfern aus Bregenz. Ein Weiterer ist als Gedenkstein aller von der Euthanasie verfolgten Menschen zu verstehen. Die Gedenkgruppe Bregenz hatte diese Aktion initiiert.

Hintergrund des Standortes

Der Standort in der unteren Rathaussstraße spielt eine entscheidende Rolle bei der Erinnerungsaktion. “Unweit entfernt, im heutigen Verwaltungstrakt des Vorarlberg Museums, war zwischen 1938 und 1945 das Gesundheitsamt des Landratsamts Bregenz untergebracht”, erklärt Historiker Florian Guggenberger vom Stadtarchiv Bregenz, der gemeinsam mit seinem Team zu den Fällen der Opfer recherchierte. Auf Betreiben dieses Gesundheitsamts und dessen Leiter Theodor Leubner wurden viele Personen entmündigt, zwangssterilisiert oder kamen in psychiatrische “Heil- und Pflegeanstalten”.

Gesundheitsamt NS-Zeit
Das Gesundheitsamt in Bregenz: Hier wurden beeinträchtigte, psychisch kranke und „gemeinschaftsfremde“ Personen erfasst und verfolgt. Stadt Bregenz

1939 wurde im Dritten Reich eine Meldepflicht für Kleinkinder bis drei Jahren mit geistiger und körperlicher Behinderung eingeführt. Guggenberger berichtet: “Im NS-Reich wurden etwa 5000 Säuglinge sowie Kinder und Jugendliche in solchen ‘Anstalten’ ermordet. Drei von ihnen kommen aus Bregenz.” Auch ihnen wird im Rahmen der “Stolperstein”-Aktion gedacht.

Die Geschichte von Herta Böckle

Eine von ihnen ist Herta Böckle. Sie kam am 14. November 1938 in Bregenz mit einer Beeinträchtigung zur Welt. “Wenige Jahre nach ihrer Geburt geriet sie ins Visier des Gesundheitsamts Bregenz”, erzählt Florian Guggenberger. Der Leiter Theodor Leubner meldete Böckle am 2. Oktober 1943 beim sogenannten Reichsausschuss in Berlin, der Hauptstadt des Deutschen Reichs.

“Durch die Meldepflicht wusste das Regime, wenn Verwandte bereits von einer ‘Erbkrankheit’ betroffen waren”, führt der Historiker ins Bild. Auch Herta Böckle hatte “erbliche Belastungen” in der Familie. Am 13. November 1943 wurde sie in die „Kinderfachabteilung“ ins bayrische Kaufbeuren gebracht. “In diesen ‚Fachabteilungen‘ starben die Kinder, weil sie entweder eine Überdosis an Medikamenten erhielten oder an Nahrung unterversorgt waren”, zeigt Guggenberger das schreckliche Schicksal der Opfer der Kindereuthanasie auf. Dazu zählt auch Herta Böckle. Sie starb am 18. Juni 1944 in Kaufbeuren, Todesursache war wahrscheinlich eine Überdosis Medikamente, die wohl sie mittels Spritze erhielt.

Grausame Schicksale

Ihr und den anderen, vielfach kaum bekannten NS-Opfern ist die Gedenkaktion mit den Stolpersteinen besonders gewidmet. Hinter der Recherche dieser Schicksale steckt ein großer Rechercheaufwand, der angesichts der grausamen Schicksale der Opfer nicht immer leicht war. “Es sind sehr dramatische Fälle, die bei uns allen Eindruck hinterlassen haben”, bestätigt Florian Guggenberger. “Aber ist unsere Aufgabe als Historiker, sich mit diesen Fällen auseinanderzusetzen.”

Erinnerung an Bregenzer Opfer der NS-Verbrechen
Florian Guggenberger wird auch am Freitag bei der Enthüllung vor Ort sein. Stadt Bregenz

Der Stadt Bregenz sei es schon länger ein Anliegen, Gedenkorte im Sinne der Erinnerungskultur zu schaffen. “Mit dem Ergebnis, den Stolpersteinen, sind wir sehr zufrieden”, bestätigt der Historiker. Zusätzlichen Kontext zu den Schicksalen der Opfer bietet die Website zu den Stolpersteinen auf der Homepage der Stadt Bregenz sowie eine dort hinzugefügte Broschüre. Die Stolpersteine werden am Freitag um 11 Uhr in der Rathausstraße enthüllt.

termine

Programm am Freitag
Enthüllung der Stolpersteine um 11 Uhr in der Bregenzer Rathausstraße; um 19 Uhr ein moderiertes Gespräch zu „Bürokratie ohne Menschlichkeit. Das Gesundheitsamt Bregenz in der NS-Zeit“, im Vorarlberg Museum

Führungen
„Gestapo und Gesundheitsamt – Verfolgung im nationalsozialistischen Bregenz“: Samstag, 9. November, 10 Uhr, Innenstadt
„Sie mussten sterben, weil sie anders waren“: Freitag, 15. November, 15 Uhr Obere Burggräflergasse 2 in Bregenz

mehr zum Kontext gibt es auf der Website:
www.bregenz.gv.at/rathaus/stadtarchiv/erinnerungskultur/stolpersteine-in-bregenz