Vorarlberg

“Viele denken, mit Diabetes darf man nie mehr ein Schnitzel essen”

14.11.2025 • 18:52 Uhr
"Viele denken, mit Diabetes darf man nie mehr ein Schnitzel essen"
Joe Meusburger (r.) und Wout Meyers sind beide von Diabetes Typ 1 betroffen. klaus hartinger (8)

Warum das heutzutage nicht mehr stimmt und wie sie mit ihrer eigenen Erkrankung umgehen, erzählen Joe Meusburger und Wouter Meyers von der Diabetes Selbsthilfe Vorarlberg.

Der menschliche Körper braucht das Hormon Insulin, um den über die Nahrung aufgenommenen Zucker zu verarbeiten. Gelingt das nicht, weil der Körper zu wenig oder gar kein Insulin produziert bzw. dieses nicht mehr richtig wirkt, steigen die Blutzuckerwerte. Dieses Krankheitsbild nennt man Diabetes. Betroffene müssen das fehlende Insulin von außen zuführen.

Unterschiedliche Erkrankungen

Joe Meusburger und Wouter Meyers sind Obmann und Stellvertreter der Diabetes-Selbsthilfegruppe Vorarlberg. Sie sind beide von Diabetes Typ 1 betroffen. „Wir haben eine Autoimmunerkrankung. Die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse werden nach und nach vom eigenen Körper zerstört. Das führt dazu, dass die Zellen im Körper keinen Zucker mehr aufnehmen können. Dadurch entsteht eine Art Krise im System“, erklärt Meyers. Deshalb müssen sie Insulin von außen injizieren.

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Meyers und Meusburger haben Diabetes Typ 1, eine Autoimmunerkrankung.

Häufige Symptome einer Diabetes-Typ-1-Erkrankung: Gewichtsverlust, häufiger Harndrang, starker Durst und Dauermüdigkeit. „Wenn man diese Anzeichen zu lange ignoriert, kann man in einer Art der Ohnmacht fallen. Nicht umsonst erfolgt die Erstdiagnose oft auf der Intensivstation. Da muss man aufpassen und frühzeitig reagieren“, warnt der stellvertretende Obmann der Selbsthilfegruppe.

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Wichtig sei, die Anzeichen rechtzeitig wahrzunehmen, mahnt Meyers.

Die deutlich häufiger auftretende Form der Erkrankung ist Diabetes Typ 2, früher auch „Altersdiabetes“ genannt. Die Symptome sind ähnlich wie bei Typ 1, die Erkrankung entsteht aber dadurch, dass die Körperzellen eine Insulinresistenz entwickeln. Zwar produziert der Körper noch eine Menge Insulin, aber da die Zellen darauf nicht reagieren, steigt der Blutzuckerspiegel. Diabetes Typ 2 kann auf Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und Übergewicht zurückgeführt werden.

Typen der Diabetes-Erkrankung

Diabetes mellitus, umgangssprachlich „Zuckerkrankheit“ , ist ein Überbegriff für verschiedene Erkrankungen des Stoffwechsels. Hauptmerkmal ist ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel, die chronische Hyperglykämie (Überzuckerung). Die Erkrankung ist komplexer, als es die Einteilung in Typ-1- und Typ-2-Diabetes vermuten lässt. Fachleute plädieren daher für eine neue Klassifizierung: Die Einteilung in 5 Diabetes-Subtypen: „SAID“, „SIDD“, „SIRD“, „MOD“ und „MARD“. (Quelle: diabinfo.de)

Die Diabetes-Typ-1-Diagnose erhielt Wouter Meyers erst 2021, mit 38 Jahren. „Ich habe mich umgeschaut, wo ich mich informieren kann und wo ich weitere Betroffene finde. Auf einer Veranstaltung lernte ich Joe kennen und habe ihm angeboten, etwas für die Selbsthilfe beizutragen“, erklärt der 42-Jährige.

Andere Zeiten

Meusburgers Diagnose liegt schon 66 Jahre zurück – der 71-Jährige erfuhr im Kinderalter von der Diabetes-Typ-1-Erkrankung. „Damals gab es noch nicht so viele Möglichkeiten, sich zu informieren, die Diabetes-Selbsthilfe ist in Österreich erst in den 70er-Jahren entstanden. Der Ansprechpartner war der Hausarzt. Im Krankenhaus wurden Kinder mit Diabetes von Internisten auf der Erwachsenenstation betreut. Die Eltern mit diabetischen Kindern sind eigentlich alleine dagestanden.“ Auch die technischen Möglichkeiten waren geringer: Insulin wurde via Glasspritze injiziert, die nach jeder Verwendung abgekocht werden musste.

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Joe Meusburger erhielt seine Diagnose im Kindergartenalter.

Die Wissenschaft hat sich seither enorm weiterentwickelt: Wouter Meyers hat eine Insulinpumpe, über die sein Körper mit der nötigen Menge des Hormons versorgt wird. Den größten Fortschritt in der Diabetes-Versorgung bildet jedoch ein Durchbruch bei der Blutzuckermessung: Musste man sich einst noch in den Finger stechen, um zu erfahren, wie es um den eigenen Blutzuckerspiegel steht, gibt es heutzutage Sensoren, die unter die Haut gesetzt werden. „Die messen minütlich meinen aktuellen Zuckerwert. So kann ich die ganze Zeit sehen, ob mein Wert zu hoch, zu niedrig oder im grünen Bereich ist“, erklärt Meyers. Bei einem zu hohen Blutzuckerspiegel müssen Diabetes-Betroffene Insulin zuführen, bei Unterzucker schafft eine schnelle Zufuhr von Traubenzucker oder Süßgetränken Abhilfe.

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Dank moderner Medizin ist es für Meyers deutlich einfacher, seinen Blutzuckerspiegel zu überwachen.

„Mittlerweile gibt es autonome Systeme die über das Handy laufen. Ich habe ein solches System. Das berechnet anhand der Daten meines Sensors und anhand meiner Eingaben, was ich esse und was ich tue, die Menge an Insulin, die abgegeben werden muss. Damit erreiche ich eine bessere Einstellung, weil das System aufhört, Insulin abzugeben, wenn ich im Unterzucker bin und die Zufuhr erhöht, wenn ich drüber bin“, führt Wouter Meyers aus. „Ich vergleiche das mit einem Flugzeugpiloten“, ergänzt Joe Meusburger. „Wouter hat einen Autopiloten, aber muss im Hintergrund dennoch überwachen und reagieren.“

Verschiedene Faktoren

Der Wert des Blutzuckerspiegels wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst. „Für mein System dokumentiere ich jede Nahrungsaufnahme“, erklärt Meyers. „Wenn ich zum Beispiel ein Schnitzel mit Pommes esse, schätze ich ein, wie viele Zucker- und Kohlenhydrateinheiten in den einzelnen Bestandteilen des Gerichts enthalten sind. Und es gibt zahlreiche weitere Faktoren, die den Blutzucker beeinflussen. Wenn ich Sport treibe oder eine Putzaktion im Haus mache, muss ich berücksichtigen, dass ich entweder mehr esse oder weniger Insulin zuführe.“

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Nicht nur das Essen beeinflusst den Blutzucker, weiß Meyers.

Auch der Hormonhaushalt wirkt sich auf den Blutzucker aus: „Wenn ich viel Stress habe, muss ich mehr Insulin spritzen. Frauen haben ein großes monatliches Thema, wegen dem der Zucker wegen der hormonellen Umstellung im Körper immer wieder eine große Schwankung an den Tag legt“, erklärt der Obmann-Stellvertreter.

Wie die Selbsthilfegruppe wirkt

Um alle diese Faktoren richtig einschätzen zu können, ist Erfahrung notwendig. Insbesondere kurz nach der Diabetes-Diagnose kann das Betroffene stark verunsichern. Hier setzen Meusburger und Meyers mit der Selbsthilfegruppe an. „Der Austausch mit Leuten, die jeden Tag den gleichen Kampf haben, bringt sehr viel. Viele denken, mit Diabetes kann man keinen Sport mehr machen oder darf niemals wieder ein Schnitzel essen. Aber wenn man zehn andere Menschen sieht, die trotz der Diagnose Sport machen und viel freier essen, gewinnt man selbst an Sicherheit“, führt Meyers aus. So wird der psychische Leidensdruck von Betroffenen gelindert.

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Das Gespräch mit der NEUE fand in den Räumlichkeiten der Selbsthilfe in Dornbirn statt.

Joe Meusburger, der selbst maßgeblich zum Aufbau der Versorgungsstruktur für Menschen mit Diabetes in Vorarlberg beitrug, erklärt: „Wir sind Bindeglied zwischen Betroffenen und Zentrum oder Arzt.“ Rund 200 Mitglieder zählt die Diabetes-Selbsthilfe Vorarlberg, wobei es rund 40.000 Betroffene von Diabetes in Vorarlberg gibt. Interessierte können sich jederzeit melden.

Diabetes selbsthilfe vorarlberg

Schlachthausstraße 7c
6850 Dornbirn
Telefon:+43 664 / 17 54 311
E-Mail: office@dsh-vorarlberg.at

Beim Thema Diabetesversorgung hat Vorarlberg ein Vorzeigeprojekt am Start: Neben dem bestehenden Versorgungsnetz aus Hausärzten, Diabetesberatung, Selbsthilfe und Krankenhäusern (insbesondere die Diabetesambulanz am Landeskrankenhaus Feldkirch) gibt es seit letztem Jahr auch zwei Diabetes-Stützpunkte. Dieses niederschwellige Angebot soll Ärzte entlasten und Patienten Unterstützung im Umgang mit ihrer Krankheit gewährleisten.

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Wenn das Equipment streikt, schaffen die Diabetes-Stützpunkte Abhilfe.

Für die Dinge, die in einer Hausarztpraxis oder der Ambulanz liegen bleiben, sind die Stützpunkte gut, wie Joe Meusburger erklärt: „Beispielsweise die Kontrolle der Füße: Diabetiker, egal ob Typ 1 oder 2, sind gefährdet, Nervenschädigungen zu erleiden. Aber auch jemand, bei dem ein Insulinpen kaputtgeht oder ein Blutzuckermessgerät streikt, kann sich dort hinwenden.“ In Weiler und Dornbirn gibt es bereits zwei Standorte, zwei weitere in Bregenz und Bludenz sind angedacht. „Andere Bundesländer interessieren sich bereits für das Vorarlberger Stützpunkte-Modell“, erklärt der Selbsthilfe-Obmann. Seit seiner Diagnose vor 66 Jahren hat sich Vieles getan in der Diabetesversorgung.

Welt-Diabetes-Tag

Jährlich am 14. November richtet dieser Tag den Fokus auf unterschiedliche Aspekte der Diabetes-Erkrankung. Im Jahr 2025 thematisiert die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) Diabetes in der Arbeitswelt. Die ÖDG informiert, dass moderne Medikamente und neue technische Hilfsmittel Menschen mit Diabetes ein gutes und langes Leben ermöglichen, macht aber auch auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Hürden aufmerksam.