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ÖBB in Bregenz: Trassenführung durch dicht besiedeltes Gebiet?

06.10.2024 • 07:00 Uhr
Rendering Ausweichbahnhof in Bregenz
Der Ausweichbahnhof in Bregenz soll die untragbare Situation vorerst mildern. ÖBB

Christoph Gasser-Mair, Sprecher der ÖBB, gewährt im Gespräch mit der NEUE am Sonntag Einblick in die scheinbar „verfahrene“ Situation in Vorarlberg. 

Die formale Beschlussfassung des Zielnetzes 204 steht noch aus. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit diese Beschlussfassung zustande kommt?

Christoph Gasser-Mair: Das ist eine Entscheidung der Bundesregierung. Sie muss das Zielnetz beschließen, damit es in Kraft treten kann. Aktuell gibt es noch keinen genauen Zeitpunkt, wann das erfolgen wird. Die neue Regierung wird diese Entscheidung treffen müssen. Erst dann können wir weitere Planungen ableiten. Bis dahin können wir noch nichts konkret unternehmen, weil noch keine Mittel bereitstehen.

ÖBB in Bregenz: Trassenführung durch dicht besiedeltes Gebiet?
Der Bahnhof Bregenz Hafen wird heiß diskutiert. Hartinger

Es gibt verschiedene Varianten für den Ausbau. Wie ist der aktuelle Stand in Bezug auf die Finanzierung, und wie sieht es mit der technischen Machbarkeit aus?

Gasser-Mair: Sobald das Zielnetz beschlossen ist, können wir gemeinsam mit dem Land, den Gemeinden und anderen Stakeholdern den Prozess starten, um eine Bestvariante zu finden. Bis dahin bleibt noch viel zu tun. Der Ausbau des Rheintals ist ein politisch sehr umstrittenes Thema, und auch die Finanzierung wird von der jeweiligen Trassenführung abhängen. Momentan sind wir in einer Phase, in der viele Faktoren noch unklar sind.

Angenommen, es gibt starken Widerstand aus der Bevölkerung oder von politischen Entscheidungsträgern. Würde das den Ausbau im Rheintal gefährden, und könnten andere Projekte vorgezogen werden?

Gasser-Mair: Wir bekennen uns klar zum dreigleisigen Ausbau zwischen Wolfurt und Bregenz sowie zum zweigleisigen Ausbau Richtung Lochau und Schweiz. Natürlich gibt es auch andere Projekte in Österreich, aber diese stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Jedes Projekt wird nach Bedarf und volkswirtschaftlichem Nutzen bewertet. Das Rheintal steht in diesem Kontext fest auf der Agenda für 2040.

ÖBB in Bregenz: Trassenführung durch dicht besiedeltes Gebiet?
Die ÖBB als Hausherr und zwischen den Fronten. Hartinger

Der Ausbau in Richtung Süddeutschland ist ein weiteres Thema. Wie sehen die überregionalen Verknüpfungen aus, insbesondere mit dem deutschen Bahnnetz?

Gasser-Mair: Der Personenverkehr ist der Haupttreiber für den Ausbau im Rheintal, vor allem der Regionalverkehr. Natürlich bietet der Ausbau auch Chancen für den Güterverkehr, aber hier braucht es auch den Ausbau jenseits der Grenze. Das ist eine politische Aufgabe, die auf Ebene der jeweiligen Länder geklärt werden muss. Wir als ÖBB können nur den Bedarf aufzeigen, aber die Entscheidung liegt letztlich bei den politischen Akteuren.

Ein immer wiederkehrendes Thema ist der Bahnhof Bregenz. Welche Rolle spielt er im gesamten Ausbauprozess?

Gasser-Mair: Der Bahnhof Bregenz und die Frage nach Bregenz Hafen sind unabhängig vom Ausbau des Rheintals. Beide Projekte beeinflussen sich nicht gegenseitig. Der Ausbau von Bregenz Hafen ist jedoch dringend notwendig, da der Bahnhof sonst von den Zügen in Doppeltraktion nicht mehr bedient werden kann. Der Neubau des Bahnhofs Bregenz hat bereits eine lange Vorgeschichte. Wir hatten schon einmal ein fertiges Projekt, das jedoch aufgrund neuer Vorstellungen in der Stadt Bregenz überarbeitet wurde. Jetzt ist die Entscheidung für den Standort gefallen, und wir arbeiten mit Hochdruck daran, diesen umzusetzen. Leider ist die bestehende Infrastruktur inzwischen stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Per E-Mail senden: Christoph Gasser-Mair_(c)ÖBB_Marek Knopp
Christoph Gasser-Mair von der ÖBB im Gespräch mit der NEUE am Sonntag.

Ein schwieriges Thema beim Ausbau im Rheintal ist die Trassenführung, insbesondere durch Wohngebiete. Wie geht die ÖBB damit um?

Gasser-Mair: In einem dicht bebauten Raum wie dem Rheintal ist das immer eine Herausforderung. Wir haben Erfahrung mit Großprojekten in solchen Gebieten und werden gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden und der Bevölkerung die bestmögliche Lösung finden. Der Prozess wird ab Mitte nächsten Jahres starten, und wir bekennen uns dazu, diesen im Einklang mit allen Beteiligten zu gestalten.

Unterflurtrasse Zukunftsbild
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Die ÖBB stehen im Rahmen des Projekts „Zielnetz 2040“ vor einer der größten Herausforderungen in der jüngeren Verkehrsgeschichte Vorarlbergs: Die Schieneninfrastruktur im nördlichen Rheintal muss umfassend ausgebaut werden, um den zukünftigen Anforderungen im Personen- und Güterverkehr gerecht zu werden. Vorarlberg verzeichnet seit Jahren einen starken Zuwachs an Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Täglich greifen etwa 50.000 Menschen auf das Nahverkehrsangebot der ÖBB zurück, doch die bestehenden Kapazitäten sind bereits heute oft ausgelastet. Die Notwendigkeit, den öffentlichen Verkehr weiter zu fördern, ist unumstritten – nicht nur, um dem wachsenden Mobilitätsbedarf der Bevölkerung gerecht zu werden, sondern auch, um einen signifikanten Beitrag zu den nationalen und internationalen Klimazielen zu leisten.

Fachentwurf bereits im Jänner

Das „Zielnetz 2040“ verfolgt das ambitionierte Ziel, eine zukunftssichere Infrastruktur für den Bahnverkehr zu schaffen, die nicht nur die lokalen Bedürfnisse abdeckt, sondern auch grenzüberschreitende Verbindungen optimiert. Insbesondere im nördlichen Rheintal, einer der am stärksten frequentierten Strecken des Landes, stehen die ÖBB vor großen strukturellen Herausforderungen. Bereits im Januar 2024 wurde der Fachentwurf zum „Zielnetz 2040“ öffentlich vorgestellt. Die Konsultationsphase, die Ende April 2024 abgeschlossen wurde, hat zahlreiche Stellungnahmen und Rückmeldungen aus der Bevölkerung und von Fachleuten hervorgebracht. Diese werden nun vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) ausgewertet und in die endgültige Fassung des Berichts eingearbeitet. Die formale Beschlussfassung des „Zielnetz 2040“ steht noch aus, was bedeutet, dass die ÖBB-Infrastruktur AG noch keine konkreten Planungsaufträge ableiten kann. Auch die finanziellen Mittel für die Umsetzung des Projekts wurden bislang nicht freigegeben. Damit ist der Start des umfangreichen Planungs- und Genehmigungsprozesses noch ungewiss.

Prozessplanung

Sobald der formale Beschluss vorliegt, wird laut ÖBB die Umsetzung in einem strukturierten, ergebnisoffenen Prozess gemeinsam mit dem Land Vorarlberg und den betroffenen Gemeinden weiterentwickelt. So sind zunächst eine strategische Prüfung im Verkehrsbereich sowie eine umfassende Alternativenprüfung notwendig, um die bestmögliche Trassenführung festzulegen. Erst auf dieser Basis kann der eigentliche Trassenentwicklungs- und Auswahlprozess beginnen, dessen Start für 2025 vorgesehen ist – sofern bis dahin alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen.

Güter- und Personenverkehr

Während der Personenverkehr im Rheintal bereits sehr gut ausgebaut ist, verkehrt der Güterverkehr derzeit nur in geringem Umfang. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise auf der Strecke zwischen Bregenz Hafen und Lindau durchschnittlich nur fünf Güterzüge pro Tag gezählt. Dies liegt unter anderem daran, dass die Zulaufstrecken im benachbarten Ausland nicht ausreichend ausgebaut sind, um eine Verlagerung von Güterverkehr im großen Stil zu ermöglichen. Dennoch wird der Ausbau der Schienenkapazitäten auf österreichischer Seite als wichtiger Hebel gesehen, um den Güterverkehr langfristig von der Straße auf die Schiene zu verlagern und somit die Klimaziele zu unterstützen.

Die angrenzenden Länder müssen ebenfalls ihre Infrastruktur verbessern, um eine reibungslose Anbindung an die europäischen Güterverkehrskorridore zu gewährleisten. Derzeit ist die Rheintalstrecke im Gegensatz zur Brennerachse nicht Teil eines transeuropäischen Güterverkehrskorridors, was ihre strategische Bedeutung im internationalen Warenverkehr einschränkt.

Zusammengefasst steht die ÖBB vor einer enormen Aufgabe: Der Ausbau der Schieneninfrastruktur im Rheintal muss nicht nur den aktuellen Anforderungen gerecht werden, sondern auch eine Grundlage für zukünftige Mobilitätsbedürfnisse schaffen. Dies erfordert eine enge Abstimmung mit dem Land Vorarlberg, den Gemeinden und den Nachbarländern sowie eine erhebliche finanzielle und planerische Anstrengung. Wenn es gelingt, dieses Projekt erfolgreich umzusetzen, könnte das „Zielnetz 2040“ einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten und Vorarlberg eine noch engere Anbindung an den internationalen Bahnverkehr ermöglichen.

„Bahn unten – Leben oben!“

Am Montag, 7. Oktober, findet in der Lochauer Mehrzweckhalle eine Informationsveranstaltung zum Thema „Bahnausbau“ statt. IGUB und Regio Bodensee liefern einen Erfahrungsbericht zum Bahnknoten Zürich und diskutieren mit den Spitzenkanditaten und der Spitzenkandidatin für die Vorarlberger Landtagswahlen.

(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)