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Die Ukraine im Herzen

15.03.2025 • 17:30 Uhr
Johannes Neumayer Ukraine
Johannes Neumayer und seine Partnerin Anna Mamay-Gassner. Steelsoul, Fotoclub Nenzing, Christian Chizzola


Johannes Neumayer aus Hohenems kämpft mit seiner aus der Ukraine stammenden Partnerin Anna täglich für die Bevölkerung, die unter dem russischen Angriffskrieg unsagbares Leid zu ertragen hat. Ein Stimmungsbild. 

Wie beurteilen Sie persönlich die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine?

Johannes Neumayer: Erstaunlich gelassen, weil leider alles ziemlich genau so eingetreten ist, wie ich in meinem Buch „Im Krieg aus der Ferne“ vor zwei Jahren beschrieben habe. Auf vieles konnten wir uns vorbereiten, aber die völlig chaotische Dynamik der Dinge seit der Machtübernahme des neuen amerikanischen Präsidenten erstaunt aktuell auch mich und fordert uns natürlich täglich aufs Neue heraus.

Wie gehen die Betroffenen, mit denen Sie täglich in Kontakt stehen, mit der Situation um?

Neumayer: Die Ukrainer zeigen nach all diesen Kriegsjahren immer noch eine bewundernswerte Widerstandskraft, aber natürlich werden auch sie mürbe. Die Zahl der aktiven Gruppen und Helfer geht zurück – zu hoch sind die Verluste und die Kosten dieses brutalen Krieges. Unsere Hilfstätigkeiten im Land haben sich daher auch verlagert – weg von großen Hilfslieferungen mehr hin zu psychologischer Betreuung. Die Diaspora hat sich überwiegend blitzartig integriert, man trifft sie in fast allen Dienstleistungen. Und je länger es dauert und zerstörter die Heimat wird, umso größer wird der Wunsch, bleiben zu können.

Johannes Neumayer Ukraine
Johannes Neumayer hat die Kunst des Schmiedens für sich entdeckt. Steelsoul, Fotoclub Nenzing, Christian Chizzola

Vielleicht erklären Sie kurz, wie „Einig – Verein für Ukrainehilfe“ entstanden ist und wie Sie Ihre jetzige Lebensgefährtin Anna kennengelernt haben?

Neumayer: Anna ist gebürtige Ukrainerin und stammt aus dem mittleren Westen des Landes. Mit ihr habe ich vor fünf Jahren auch begonnen, das Land, die Menschen und die Sprache kennenzulernen, war mehrere Male dort. Ich durfte von diesen Menschen sehr viel lernen. Mit dem Ausbruch des Krieges haben wir erst im privaten Rahmen mit kleinen Hilfslieferungen begonnen, die immer größer wurden und in die Vereinsgründung mündeten. Nur durch das aktive Tun war die Situation erträglich.

Welche Ziele verfolgt der Verein, womit sind Sie aktuell beschäftigt?

Neumayer: Wir konzentrieren uns aktuell auf die Entwicklung eines Verfahrens, welches Kriegstraumatisierten hilft, das Erlebte besser zu verarbeiten. Dazu bin ich in das Handwerk meiner Väter gewechselt und habe in Röthis eine Schmiede übernommen. Mit der Technik des Schmiedens als Art der Gestaltungstherapie, kombiniert mit Techniken aus der Traumaarbeit und Aikido, gelingen uns deutliche Besserungen der Stresssymptome. Geschmiedet werden dabei Räucherschalen, „Kraftmedaillons“, und Wunschprojekte der Geflohenen. Es würden alle gerne Messer schmieden, was sonst mein tägliches Geschäft ist, aber im Rahmen des Verfahrens schmieden wir keine Waffen. Im Gegenteil: Wir wollen eines Tages den Schrott des Krieges in einer Schmiede in den Karpaten für die Linderung des Leides nutzen. Wir sind dabei schon weit gekommen, brauchen aber natürlich noch Unterstützung.

Johannes Neumayer Ukraine
In Workshops können Kriegstraumatisierte das Erlebte verarbeiten. Steelsoul, Fotoclub Nenzing, Christian Chizzola

Wie verläuft der Kontakt mit Partnerorganisationen und den Menschen in der Ukraine?

Neumayer: Wir haben zu verschiedenen Organisationen Kontakt. Wir leisten Hilfe bei der Frontevakuierung von Verletzen, schicken aber auch beträchtliche Mengen ziviler Hilfen und medizinisches Material. Letztes Jahr gelang uns der komplette Versand einer Lauteracher Zahnarztpraxis, nachdem die Ärztin leider überraschend verstorben war – die Praxis steht nun in der Ukraine und hilft täglich dutzenden Menschen. 

Wie gehen Sie und Ihre Lebensgefährtin privat mit den aktuellen Entwicklungen um?

Neumayer: Wir achten aktuell sehr darauf, uns körperlich und mental fit zu halten: Wir praktizieren und lehren Aikido in unserem Dojo in Hohenems, betreiben zunehmend „Nachrichtenhygiene“. Außerhalb der Schmiede übe ich beispielsweise gern Ikebana, die japanische Kunst des Blumenarrangements. Wir suchen uns unsere persönlichen Kontakte sehr genau aus und mit welchen Mentalitäten wir uns umgeben. Unser Berufsleben hat aber immer absolute Priorität. Was wir darüber hinaus leisten können, investieren wir in unsere Projekte. Daraus und den Erfolgen kommt dann die Kraft, die uns in Summe immer besser und effektiver werden lässt.

Welche Eindrücke erhalten Sie aus dem Kriegsgebiet?

Neumayer: Während des Krieges war ich persönlich nicht in der Ukraine, Anna aber schon. Es fügt ihr buchstäblich körperliche Schmerzen zu, ihre Heimat so leiden sehen zu müssen. Der dunkle Schatten des Krieges, der über allem und jedem liegt. Mangel, Verfall und hohe Preise sind immanent, Stromausfälle, Explosionen und Luftalarm alltäglich. Viele, die wir direkt oder indirekt kennen, sind gefallen. Es gibt keinen Bereich des Lebens, in dem der Krieg dort nicht spürbar ist. Es benötigt ein hohes Maß an Resilienz, um damit stabil umgehen zu können. Unabschätzbar, was diese Kriegsjahre mit der jüngsten Generation aktuell anstellen.

Wie gehen Sie mit den aktuellen, rechtspopulistischen Strömungen in Europa, in Österreich oder in Vorarlberg um, die eine prorussische Haltung einnehmen?

Neumayer: Die überraschend kurze Antwort ist: Mit großem Mitleid. Ohne auf Politik, Parteien oder sonstiges näher eingehen zu müssen: Das systematische Böse kennt und produziert nichts anderes als sich selbst, das Böse. Mit dem Bösen kann man sich nicht gut stellen oder befreunden. Ist man einmal im Bannkreis des Bösen, spürt jeder dessen nackte Gewalt und Natur. Unsere Großeltern können, so sie noch leben, eindrücklich davon berichten. Dann hilft auch eine Parteimitgliedschaft nichts mehr, wenn einmal Überwachungssysteme installiert sind, oder sich Nachbarn gegenseitig verdächtigen. Ich empfehle daher bei dieser Frage stets einen Besuch im Jüdischen Museum in Hohenems.

Was erwarten Sie angesichts des distanzierenden Gebarens der US-Amerikaner von Europa?

Neumayer: Europa hat nun hoffentlich den Warnschuss gehört – und wacht endlich auf. Helmut Schmidt hat schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass am Tisch der Welt fünf große Spieler sitzen, jeder davon etwa eine Milliarde Menschen stark: Amerika, China, Indien, Afrika und Russland. Europa ist selbst geeint gegen diese Riesen ein Zwerg, ökonomisch allerdings durchaus (noch) eine Macht. Wenn Europa dieses Jahrzehnt nicht nutzt, um als Spieler an diesem globalen Tisch ernst genommen zu werden, wird es seinen Platz in dieser Welt nicht nur verlieren, es wird auch zur leichten Beute. Und das Aufteilen der „Beute“ Ukraine – erleben wir gerade live. Es hat nämlich schon begonnen.

Johannes Neumayer Ukraine
Johannes Neumayer setzt sich seit Jahren für die Ukraine ein. Steelsoul, Fotoclub Nenzing, Christian Chizzola

Erinnern. Ein Kommentar

Ein bewegender Einblick in das Stimmungsbild eines Menschen, der sich der Hilfe für die ukrainische Bevölkerung verschrieben hat.

Wenn man mit aufmerksamen Augen durch Vorarlberg geht und sich mit der Geschichte seiner Heimat beschäftigt, sieht man sie überall: Die gewaltigen Leistungen, welche die Menschen des Rheintals geschafft haben. Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, da war dieser Flecken Erde ein sehr unwirtliches Stück Land. Der Rhein musste wegen der Überschwemmungen mit großer Anstrengung erst einmal in sein Bett gezwungen werden. Im Montafon waren gute Schuhe mehr Wert als Kinder, diese mussten nicht selten an reiche Bauernhöfe „vergeben“ werden, wenn man zu viele davon hatte. Eine typische Handwerkermahlzeit war sehr lange „Schwarzamuas“, eine Handvoll Mehl und Wasser, mit Glück mit etwas Butter angebraten, das musste für ein Tagwerk reichen. Nichts wurde weggeworfen, was der Garten hergab, wurde eingelegt und eingekocht. Es kam der industrielle Aufschwung. Dann die Zerstörungen der großen Kriege. Der Wiederaufbau. In den 90ern schon konnte sich dann die Pro-Kopf-Exportquote Vorarlbergs mit der von Japan messen. Wenn man sich in diesem Frühling 2025 an die Kasse eines Baumarktes stellt, kann man sehen, wie viel Geld der durchschnittliche Vorarlberger in seinen schönen Garten investieren kann. Funkenwochenende: In fast jedem Dorf brennen große Scheiterhaufen, und zwei Tage lang gibt es landesweit opulente Feuerwerke. Liest der Vorarlberger Nachrichten, liest er allerdings von nicht so prächtigen „Raketen“, Inflation, Wirtschaftsflaute und Mangel. Er fühlt sich in seinem Paradies zurecht gestört, welches er mühevoll aufgebaut hat. Er wird missmutig, nicht selten neidig. Neid, das sei sowieso der älteste Vorarlberger, so sagt man ja. Vor lauter Gram vergisst man dann gern … was man hat … wo man herkommt … Ich kenne da ein Volk im Osten, welches uns sehr, sehr ähnlich ist, und sehr ähnliche Dinge gerade erlebt und erlebt hat wie wir. Ich hoffe, man kann sich eines Tages gemeinsam daran erinnern, durch welche Mühen beide Gesellschaften gegangen sind. Und daran gewachsen sind.

Johannes Neumayer engagiert sich seit Kriegsbeginn gemeinsam mit seiner Partnerin Anna Mamay-Gassner, die aus der Ukraine stammt, für die Opfer.

Verein „Einig – Verein für Ukrainehilfe“, Hohenems

IBAN:
AT10 2060 2000 0060 7077

BIC: DOSPAT2DXXX
www.einig-ukraine.com

(NEUE am Sonntag)