Evangeliumkommentar: Im Blaugrund des Meeres

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Johannes Lampert von der Jungen Kirche Vorarlberg.
Sonntagsevangelium
Zu dieser Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, sodass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte. Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden – meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.
Im Blaugrund des Meeres
Das Gewicht der Zeit ruht auf den Pfaden und auf den brach liegenden Feldern. Sie schauen nach oben, die Menschen, da die Schwerkraft ihre Sohlen auf der Erde belässt. Das Gewicht des Lebens drückt auf die Grasnarbe und verdichtet den Dreck zu Klumpen. Es lässt alles liegen, beinahe zertreten, staubtrocken auf der Unsichtbarkeit, auf dem trügerischen Frieden von Belanglosigkeit und Gewohnheit. Das Gewicht ruht, tonnenweise, auf den Schultern der Menschen und verschlingt ihre Freiheit, ihre Bewegung und ihre Beweglichkeit. Es macht den Menschen dem Erdboden gleich.
Es brechen nun die Böden auf und das Wasser dringt ein. Es wäscht und legt frei, tunkt das Wurzelwerk. Der Mensch wächst nun ebenso, in alle Richtungen, verschlingt sehnsuchtsgefährdet: den Nährboden unter seinen Füßen.
Schuld ist keine Einbahnstraße. Sie ist ein gewachsenes Wegenetz, das sich durch Kurven, Kreuze und Kehren selbst immer wieder findet: Und sich selbst begegnet. Natürlich sind wir in Verantwortung, sozusagen in Schuld stehend: In Gedanken, Worten und Werken. Dort, wo wir etwas tun, genauso wie dort, wo wir etwas lassen. Wir sind in Schuld in einem Sinne, der in der Zukunft liegt, weil wir stetig auf diese Prämisse zuarbeiten und zu leben, uns nichts zuschulden kommen zu lassen. Wir verfallen so einer untätigen Vorsichtigkeit: Wir fällen Vorurteile, um unsere Untätigkeit zu entschuldigen. Nur: Das funktioniert nicht. Wir bleiben unschuldig stehen und der Boden um uns herum wird leer. Dabei gibt es, eben, diese Kurve, Kreuze und Kehren, die Umkehrwege und -plätze. Dort begegnen wir uns selbst in einer großen gemeinschaftlichen Möglichkeit: Wir schauen uns in der Umkehr alle an. So werden wir durchsichtig und kristallen. Wie der Blaugrund des Meeres. Wie der tiefkalte Luftstoß am Gipfel nach einer sternenklaren Nacht.
Alles, was Schuld ist, ist auch Betrachtung. Wir entkommen ihr nicht. Also sehen wir sie und verwenden sie als Werkzeug zur Erkenntnis. Wenn wir umkehren, sehen wir ganz vordergründig unsere Hintergründe: Wir finden uns wieder, damit es uns nicht umhaut.