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Rankweil im Zweiten Weltkrieg: Wie eine Gemeinde ihre NS-Vergangenheit aufarbeitet

07.05.2025 • 07:00 Uhr
Rankweil im Zweiten Weltkrieg: Wie eine Gemeinde ihre NS-Vergangenheit aufarbeitet

Rankweil ist für die Aufarbeitung der NS-Geschichte ein besonderes Pflaster. Deshalb wurde sie wohl lange Zeit ausgespart. Am Samstag präsentierte Meinrad Pichler im Auftrag der Gemeinde den neuen Band.

Von Kurt Bereuter
neue-redaktion@neue.at

Die „Landes-Heil- und Pflegeanstalt“, die „Valduna“, das Anhaltelager für ehemalige Nationalsozialisten in Rankweil-Brederis und die „Ehrenbürgerin“ von Rankweil, die Literatin Natalie Beer, machen Rankweil zu einem besonderen Ort, wenn es um die NS-Geschichte in Vorarlberg geht. Nun gibt es in der Reihe Rankweil den Band 19: Rankweil 1938 – 1945, Eine Gemeinde im Nationalsozialismus.

Rankweil am 3.5.2025 Buchpraesentation Reihe Rankweil 19, Rankwe
Historiker Meinrad Pichler stellte sein neues Buch vor. MATHIS

Die Valduna

Die Geschichte der Valduna ist mittlerweile sehr gut aufgearbeitet und begann schon vor 35 Jahren durch die Arbeiten von Gernot Egger-Kiermayr von der Johann-August-Malin-Gesellschaft. Im Rahmen der „Aktion T 4“ wurden knapp 400 Menschen aus und über die Valduna direkt in den Tod geschickt. Dass auch die Bevölkerung diese „Transporte“ bemerkte, ließ sich nicht vermeiden und wurde auch Thema in der Gemeindestube. Der NS-Bürgermeister Schöch, habe aber seine Gemeinderäte angewiesen, diesen „Gerüchten“ entschieden entgegenzutreten, so Pichler.

Rankweil am 3.5.2025 Buchpraesentation Reihe Rankweil 19, Rankwe
Norbert Schnetzer, Meinrad Pichler und Gattin, Stefanie Kollmann-Obwegeser, Martin Wieland als Grafiker und Bürgermeisterin Katharina Wöß-Krall bei der Buchpräsentation. MATHIS

Rankweiler Nationalsozialisten

Auch in Rankweil gab es die überzeugten Nationalsozialisten, die die Herrschaft in der Gemeinde nach dem Anschluss übernahmen und schon seit Jahren aktive und zeitweise „illegale“ Nationalsozialisten waren. Rankweil zählte sogar zu den Zentren der NSDAP in Vorarlberg, wie Pichler nachweist. Nach der Ermordung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, am 25. Juli 1934, durch Nationalsozialisten und dem Verbot der NSDAP in Österreich, flohen aktive Nationalsozialisten aus Rankweil über die Schweiz nach Deutschland in die Österreichische Legion. Von dort agitierten sie weiter und nach dem Anschluss am 12. März 1938 entführten zwei Rankweiler Legionäre den ehemaligen Gendarmerieinspektor Ludwig Gassner, um Rache zu nehmen.

Rankweil im Zweiten Weltkrieg: Wie eine Gemeinde ihre NS-Vergangenheit aufarbeitet
Unter der Basilia nahm der Bürgermeister die Parade der marschierenden NS-Parteiformationen in Rankweil ab. BEREUTER

Bürgermeister und Ortsparteileiter wurde der Tierarzt Dr. Franz Schöch, der als Bürgermeister im Sommer von Hans Jenny abgelöst wurde. Bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 stimmten 98 Prozent der Rankweiler für den Anschluss, lediglich 36 Rankweiler zeigten sich mutig genug, um mit „Nein“ zu stimmen. Aus dem Konkordiaplatz wurde der „Adolf-Hitler-Platz“, nachdem er 1934 zum „Dollfuß-Platz“ wurde und der Fußballverein wurde unter dem NS-Parteigänger Franz Kielwein zum Instrument der politischen Einflussnahme. Belohnt wurde die NS-Sympathie einiger Vereinsfunktionäre mit einem neuen Sportplatz auf der Gastra. Der Führer der Hitlerjugend, Fritz Franke, fungierte auch nach dem Krieg viele Jahre als Obmann des RW-Rankweil-Vereines. Fritz Marte war Obertruppenführer der SA, diese paramilitärische Organisation war für den „Schutz“ bei Parteiveranstaltungen zuständig und ihr gehörten nahezu alle Rankweiler NS-Funktionäre an, so Pichler. SS-Standortführer von Rankweil war Ernst Franke. Die SS wurde in den Nürnberger Prozessen als verbrecherische Organisation angeklagt und verübte zahllose Kriegsverbrechen. Auch alle anderen Parteiverbände werden im Band dargestellt, bis zur Vereinnahmung der Wirtschaft.

Rankweil im Zweiten Weltkrieg: Wie eine Gemeinde ihre NS-Vergangenheit aufarbeitet
Der Konkordiaplatz als Adolf-Hitler-Platz im Jahr 1939. Gemeindearchiv Rankweil

Das Anhaltelager Brederis

Nach der französischen Befreiung richteten die Franzosen in Brederis im ehemaligen Reicharbeitsdienst-Lager ein Internierungslager für belastete Nationalsozialisten ein, in dem auch der ehemalige Bürgermeister Jenny fast zwei Jahre lang interniert war. Bis zu 450 Personen fasste dieses Lager und auch der ehemalige RAD-Kommandant, Franz Wagner, wurde dort interniert. Er erhielt laut Pichler die negativste Beurteilung durch die politische ­Kommission der Marktgemeinde: Er habe sich zum „brutalsten Scharfmacher“ und „bösen Geist“ entwickelt und breitete besonders ab 1944 den NS-Terror in der Gemeinde aus, mit Bespitzelung und Anzeigen an die GESTAPO, die geheime Staatspolizei. Ende 1947 wurde das Lager geschlossen und abgebaut.

Rankweil am 3.5.2025 Buchpraesentation Reihe Rankweil 19, Rankwe
Gemeindevertreter Werner Nesensohn von der SPÖ (rechts) brachte 2018 den Stein der Aufarbeitung der Rankweiler NS-Geschichte mit einer Anfrage über Natalie Beer ins Rollen. Hier im Gespräch mit Kurt Bereuter. MATHIS

Natalie Beer

Einer der Gründe, warum dieser Band nun erschien, hat mit der ehemaligen Ehrenbürgerin Rankweils zu tun, mit Natalie Beer. Die SPÖ Rankweil brachte schon 2018 einen Antrag in die Gemeindevertretung von Rankweil zur „Ehrenringträgerschaft Frau Prof. Natalie Beer“ ein. Die Fraktion unter GV Werner Nesensohn wollte damit „anregen, dass sich die Gremien der Marktgemeinde Rankweil mit dieser Thematik befassen“, wurde doch 1978 von der Gemeinde der Ehrenring an die Schriftstellerin und Heimatdichterin Natalie Beer verliehen und verschiedene historische Aufarbeitungen haben längst festgestellt, „dass Natalie Beer bis ins hohe Alter mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus verbunden war“. 2021 setzte die Marktgemeinde dann mit Zustimmung aller Fraktionen den mutigen Schritt, Natalie Beer den „Ehrenring“ abzuerkennen, auch wenn das rechtlich posthum nicht möglich war. Aber im Zuge der „Aberkennung“ wurde auch beschlossen, die Geschichte des Nationalsozialismus in Rankweil aufzuarbeiten. Mit Meinrad Pichler, unterstützt von den Gemeindearchivaren Norbert Schnetzer und Stefanie Kollmann-Obwegeser, konnte einer der profiliertesten Historiker Vorarlbergs für diese Zeit betraut werden, und es liegt nun ein umfassender und verständlich geschriebener Band über diese Zeit in Rankweil vor. Gemeinde-
archivleiter Norbert Schnetzer erklärte, dass die „Reihe Rankweil“ ein nie abgeschlossenes, sich immer in Arbeit befindliches Heimatbuch darstellt und weiter daran gearbeitet wird.

Die Aufarbeitung geht weiter

Auch wenn Natalie Beer nicht dezidiert an diesem Abend zum Thema wurde, wird sie es noch diesen Monat werden. Denn das für sie eingerichtete Turmzimmer beim Waldfriedhof wird am 30. Mai endgültig geschlossen. Damit wird Archivmitarbeiterin Stefanie Kollmann-Obwegeser nicht nur ein geschichtlich mehr als fragwürdiges Gedenken schließen, sondern auch eine Diskussion beschließen, die in den letzten vierzig Jahren immer wieder Thema war, nachdem die Literatin Monika Helfer aus Protest die ihr verliehene Felder-Medaille zurückgab, die Natalie Beer immer noch im Nachlass besitzt und ihr vom Franz-Michael-Felder-Verein bis heute nicht aberkannt wurde. Rankweil geht in dieser Sache zum zweiten Mal voraus, nicht nur dem Felder-Verein, sondern auch dem Land Vorarlberg, der österreichischen Republik und Beers Heimatgemeinde Au im Bregenzerwald. Insofern hat die Aufarbeitung der Rankweiler NS-Geschichte auch sichtbare Auswirkungen. Auch soll es laut Norbert Schnetzer noch in diesem Jahr zu einer Enthüllung einer Gedenkstätte im Ort kommen, wo allen Opfern der NS-Herrschaft in Rankweil gedacht wird. Ein Opferbuch habe er schon vor 30 Jahren fertiggestellt, das aber damals noch auf so viel Widerstand gestoßen sei, dass es nicht zu einem Gedenkort kam. Heute – nach mehr als 40 Jahren landesweiter Aufarbeitung der NS-Geschichte in Vorarlberg, ist das möglich und kein mutiger Schritt mehr, sondern einer der Vollständigkeit wegen.

Rankweil im Zweiten Weltkrieg: Wie eine Gemeinde ihre NS-Vergangenheit aufarbeitet
Der Band ist beim Gemeindeamt Rankweil oder in Buchhandlungen zum Preis von 22 Euro erhältlich. Marktgemeinde Rankweil