Eine Kulturdebatte: Der Wolf, seine Feinde und seine Freunde

Der Wolf genießt in der Europäischen Union aktuell den Status „geschützt“ und nicht mehr „streng geschützt“, nachdem er sich immer mehr an Nutztieren „vergriffen“ hatte. Ist eine sachliche Diskussion möglich?
Von Kurt Bereuter
neue-redaktion@neue.at
Seit mehr als 150 Jahren gilt der Wolf in Vorarlberg als ausgerottet, galt er doch dem Menschen als Feind und Nahrungskonkurrent. Seit mehreren Jahren ist er zurück und vergreift sich vor allem an Schafen. Im letzten Jahr aber auch an Großvieh auf den Emser Alpen. Zwei Rinder tötete er, ein weiteres verletzte er und eines starb auf der Flucht. Der Alpobmann, Mario Amann, sprach von „Angst, Trauer und Wut“ angesichts der getöteten und verletzten Tiere und der Wolf wurde als Problemwolf von den Jägern erlegt. Er wünscht sich eine Herabstufung des Wolfes auf jagdbare Wildtiere und die Bildung eines Rudels müsse unbedingt verhindert werden.
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„In ganz Europa gibt es Beispiele, dass das Zusammenleben mit dem Wolf funktionieren kann.“
Erik Schmid, ehemaliger Landesveterinär
Der Tierarzt Erik Schmid
Demgegenüber argumentiert der ehemalige Landesveterinär Erik Schmid, dass gerade ein Wolfsrudel die Gefahr durch den Wolf minimiere, lernten doch die Jungtiere im Rudel, dass Menschen und Nutztiere gemieden werden müssten. Herumstreunende Einzelgänger seien das Problem und die würden von einem Rudel nicht geduldet werden. Zudem habe jeder Tierhalter laut Tierschutzgesetz die Verpflichtung, mit geeigneten Herdenschutzmaßnahmen seine Tiere zu schützen. Das sei aufwendig und teuer – funktioniere nicht zu 100 Prozent – aber es gebe in Europa viele Beispiele, dass das Zusammenleben funktionieren könne. Ohne präventive Bejagung.

„Die Auseinandersetzungen um den Wolf sind keine Frage der Ideologie, sondern der persönlichen Wertehaltung und empathischen Ausrichtung
Reinhard Haller, Psychiater
Kritik von Reinhard Haller
Der gebürtige Bregenzerwälder Psychiater Reinhard Haller entgegnete in einem VN-Leserbrief Erik Schmid, dass die Auseinandersetzungen um den Wolf keine Frage der Ideologie sind, sondern der persönlichen Wertehaltung und empathischen Ausrichtung. Das müsse jeder, ob Experte oder nicht, für sich selbst entscheiden. Angesichts der „schwer belasteten Bergbauernschaft“ werde so eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, weil die Gesetzesvorschriften für die Älpler zum Schutz der Nutztiere auf Alpen unmöglich erfüllbar seien.
Bernhard Tschofen, Kulturwissenschaftler
Der Kulturwissenschaftler
Jetzt hat sich der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen, der an der Universität Zürich lehrt, im Vorarlberg Museum dieser Thematik angenommen und erkennt einige „blinde Flecken“ in dieser emotionalen Debatte. Er hat in der Schweiz in einem Forschungsprojekt untersucht, welche Veränderungen die Rückkehr des Wolfes mit sich bringt und wie damit umgegangen wird. Geleugnet werde nämlich der Wandel aufseiten der Alpwirtschaft, der sie für die Rückkehr großer Raubtiere anfällig mache: Die fehlende Hirtschaft, alpuntaugliches Vieh und ein Jagdgesetz, das „Trophäen füttert“. Für Emotion war also Platz geschaffen, und trotzdem blieb die Diskussion auffallend sachlich, was möglicherweise auch diesem Ort der Kultur geschuldet war. Tschofen merkte an, dass eine Diskussion über den Wolf immer eine Debatte in „vermintem“ Gebiet sei, in dem sich sofort die Emotionen einmischten. Auf der einen Seite die ländliche Bevölkerung, die mit der Bedrohung und dem Verlust ihrer Nutztiere durch den Wolf umgehen muss, auf der anderen Seite die urbane Bevölkerung, die aus der Distanz heraus für Naturvielfalt und Diversion eintritt, wo der Wolf seinen Platz haben soll.

„Der Wolf ist ein ,politisches Tier‘ und stellt uns die Frage, wie gehen wir mit Natur um?“
Bernhard Tschofen, Kulturwissenschaftler
Der Wolf sei so zum „politischen Tier“ geworden und werde in seiner Bedeutung überschätzt, wenn man gleich den Niedergang der Alpwirtschaft mit seiner Anwesenheit ausrufe. Er sprach sich für eine neue Debattenkultur aus, in der eine „ökologische Diplomatie“ dafür sorge, dass alle Gruppen eine Stimme erhalten und sich aber auch an einen gemeinsamen Tisch setzen, um ein resilientes System zu schaffen, in dem die Natur, der Mensch aber auch der Wolf seinen Platz hat. Er spricht von einer vernünftigen Kohabitation und kann mit der aktuellen Situation gut mit: Einen Status „geschützt“ für den Wolf, wo Problemwölfe relativ einfach entnommen werden können. In Vorarlberg würde es seiner Meinung gemäß durchaus zwei bis drei Rudel Wölfe und ein paar Einzelwölfe im Sinne des ökologischen Systems vertragen. Aber klar, den Mehraufwand für Herdenschutzmaßnahmen und getötete Nutztiere müsse die Allgemeinheit tragen, nicht der Einzelbauer, der seinerseits – zumindest im besten Fall – die Kulturlandschaft erhält.
Jägerlatein mit drei “Sch”?
Ob es sich um Jägerlatein handelt oder doch Realität ist, kann erst nach einem Gerichtsurteil in dieser Sache behauptet werden, und noch ist keines anhängig, aber ein Jagdberechtigter erklärte mir die drei „Sch“, angesichts eines Wolfes: „Schießen, Schaufeln, Schweigen“! Würde der Wolf zu „jagdbaren Wildtieren“ herabgestuft, könnten sich die Jäger die letzten beiden „Sch“ sparen. Das wäre dann auch im Sinne des zuständigen Landesrates Christian Gantner, der ein Wolfsrudel in Vorarlberg unbedingt verhindern möchte: „Wir stehen für die Alpsaison Gewehr bei Fuß“, wie er sich in den VN erklärte. Der Kulturwissenschaftler Tschofen kann dem nichts abgewinnen, so wenig wie Eric Schmid. Ziel müsse eine angepasste Alpwirtschaft und der präventive Herdenschutz sein. Ob ein „Sowohl-Als-Auch“ die Gemüter beruhigt, ist nicht anzunehmen: also ein zeitlich und kostenmäßig vertretbarer Herdenschutz und eine moderate Bejagung des Wolfes, ohne ihn dezidiert ausrotten zu wollen. Wie Reinhard Haller schrieb, es ist und bleibt eine Frage der persönlichen Wertehaltung. Eine Kulturdebatte kann in dieser Thematik nicht schaden, nur nützen.