Vorarlberger Psychiatrie: Ausbau, Engpass und Herausforderung

Vorarlberg hat im Zeitraum von 2020 bis 2023 deutliche Fortschritte laut jüngstem Bericht im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung erzielt. Dennoch bleiben strukturelle Probleme bestehen.
Der neue Psychiatriebericht bietet einen differenzierten Überblick über die Entwicklungen im Erwachsenen- und Jugendbereich, über stationäre wie ambulante Angebote und benennt auch die Belastungen infolge der Covid-19-Pandemie. „Der Bericht dokumentiert diese dynamische Phase und lenkt zugleich den Blick wieder nach vorne. Er fungiert als wichtige Grundlage für die weitere Gestaltung und Ausrichtung im Rahmen des Strategieentwicklungsprozesses der Sozialpsychiatrie und Sucht Vorarlberg 2025 bis 2035“, betont Landesrätin Martina Rüscher.
Ambulante Versorgung. Ein positiver Aspekt ist der Ausbau der ambulanten Psychotherapie, vor allem zur Bewältigung pandemiebedingter Belastungen. 2021 standen 6.000 zusätzliche Stunden zur Verfügung, 2022 und 2023 je 3000 Stunden. Dennoch konnte der Bedarf nicht gedeckt werden: 2023 sank die Zahl der Klientinnen und Klienten um neun Prozent – unter anderem wegen eines Mangels an Therapeutinnen und Therapeuten. „In dieser Zeit ist es dem psychosozialen Versorgungssystem unseres Landes gelungen, mit den immensen Herausforderungen umzugehen. Insbesondere in den Bereichen der ambulanten Psychotherapie und sozialpsychiatrischen Versorgung konnten bedeutende Fortschritte erzielt werden“, sagt Rüscher.
Die sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi), als niederschwellige Anlaufstellen, verzeichneten zwischen 2019 und 2023 einen Anstieg der Kontakte um 51 Prozent. Diese Entwicklung spricht für eine wachsende Akzeptanz und Bekanntheit der Angebote, deutet aber auch auf eine zunehmende psychische Belastung der Bevölkerung hin.
Engpass und kritische Lage
Kritisch ist die Lage in der stationären Erwachsenenpsychiatrie am LKH Rankweil. 2023 konnten wegen Personalmangels 40 von 150 Betten nicht belegt werden. Gleichzeitig sank die durchschnittliche Verweildauer von 19 Tagen (2020) auf 15,5 Tage (2023). Die Ambulanzkontakte stiegen um 35 Prozent – ein Hinweis auf eine Verlagerung stationärer Lasten in den ambulanten Bereich.
Kinder- und Jugendliche im Fokus
Die Versorgung für Kinder und Jugendliche wurde in den letzten Jahren ausgebaut – aber der Bedarf steigt weiter. Ambulante sozialpsychiatrische Beratungen nahmen im Vergleich zu 2020 um 26,8 Prozent zu. Auffällig ist, dass deutlich mehr Mädchen als Burschen Hilfe in Anspruch nehmen: 2023 waren es rund 68 Prozent weibliche Klientinnen.
Ein weiteres Zeichen für die Belastung junger Menschen ist der Anstieg komplexer Störungsbilder: Essstörungen, Depressionen, Zwangsstörungen und Suizidalität treten bei immer jüngeren Kindern auf. Die stationären Diagnosen bestätigen dies: Affektive Störungen stiegen um 25 Prozent, wahnhaft-psychotische Störungen verdoppelten sich. Besonders drastisch war der Anstieg der Diagnosen von Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen um 165 Prozent.
Stationäre Aufnahmen
Die Zahl der stationären Aufnahmen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) blieb von relativ konstant. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer stieg leicht auf 36,7 Tage. Mit 36 verfügbaren Betten erfüllt Vorarlberg die Strukturvorgaben, doch angesichts der Fallzahlen erscheint eine Erweiterung perspektivisch notwendig.
Suchthilfe
Im Bereich der Suchthilfe wurden innovative Projekte wie das Drug-Checking und das Naloxon-Programm eingeführt. Drug-Checking ermöglicht Konsumierenden, Substanzen anonym analysieren zu lassen. 2023 wurde dieses Angebot dauerhaft etabliert. Das Naloxon-Projekt in Bludenz versorgt Konsumierende mit Notfallmedikamenten gegen Überdosierungen.
Die Opioid-Substitutionstherapie (OST) bleibt jedoch ein Sorgenkind: Auf eine Ärztin oder einen Arzt kommen in Vorarlberg 70 Patientinnen und Patienten – fast doppelt so viele wie im Österreich-Schnitt (1:31). Trotz neuer Honorarmodelle und Fortbildungsinitiativen bleibt der Fachkräftemangel eklatant.
Suizidentwicklung
Die Suizidrate in Vorarlberg ist zwischen 2020 und 2023 um 18 Prozent gestiegen (von 43 auf 54 Fälle). 2023 lag sie bei 13,0 je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner – etwas unter dem österreichischen Schnitt (13,9). Der Männeranteil ist auffällig hoch: 2023 waren 43 von 54 Suiziden männlich.
Insgesamt sieht das Land positiv in die Zukunft. Diese Entwicklungen hätten gezeigt, dass Vorarlberg in der psychosozialen Versorgung gut aufgestellt sei, insbesondere in Bezug auf die Förderung von ambulanten Angeboten und die Stärkung von niedrigschwelligen Zugängen, hält Landesrätin Rüscher fest: „Die Fortführung und Weiterentwicklung der Projekte und Maßnahmen auf Basis des Strategiekonzeptes Sozialpsychiatrie und Sucht 2025 bis 2035 wird eine Schlüsselrolle dabei spielen, auch in Zukunft die sozialen und gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung optimal zu adressieren.“
(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)