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Wenn sich einer Erkenntnisse über das Rätsel „Mensch“ erhofft

17.06.2025 • 08:00 Uhr
Wenn sich einer Erkenntnisse über das Rätsel „Mensch“ erhofft
Thomas Sautner präsentierte sich im Saumarkt in Feldkirch von seiner humorvollen Seite und ließ die Schwere des Themas nur ganz selten durchblinzeln. Bereuter, Hartinger

Im Theater am Saumarkt war diese Woche der Autor Thomas Sautner zu Gast, und las aus seinem Roman „Pavillon 44“. Auf der Suche nach zwei entlaufenen Psychiatriepatienten findet er jede Menge Verrückte.

Von Kurt Bereuter
neue-redaktion@neue.at

Wenn Primar Lobell in seiner psychiatrischen Anstalt die spannendsten „Fälle“ in einem eigenen Pavillon unterbringt, tut er das nicht ohne Grund, will er doch von diesen ausgesuchten Patienten Erkenntnisse über das „Rätsel Mensch“ erlangen. Erkenntnisse über den eigenartigen Zustand der Welt und mittendrin das obskurste Mysterium – er selbst. Dabei ist Dr. Lobell ein Psychiater der alten Schule, wie sich der Autor ausdrückte. Ein Humanist, der lieber der Gesprächstherapie vertraut als der Pharmakologie. „Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen, der Mensch schon gar nicht.“
Als sich dann noch die Schriftstellerin Aliza Berg für eine Buchrecherche als Gast in den Pavillon 44 einquartieren lässt, wird die Sache noch komplizierter. Hinter ihr verbirgt sich die Rolle des Autors als Romanschreiber und dabei lässt er sich immer mehr auf die Persönlichkeit des Primars ein. Auf den Spaziergängen mit der Schriftstellerin durch das Anstaltsareal durchstreifen die beiden Protagonisten die Dickichte der Seelenlandschaften – anderer und ihrer eigenen. Während des Primars ehrgeiziger Kollege Dr. Thaler Psychopharmaka breit einsetzt, widmet sich der Primar selbst seinen „spannenden Fällen“ mit viel Empathie und unkonventionellen Methoden, um dem Rätsel Mensch auf die Spur zu kommen. Diese Spur kann sich als ein schmaler Grat zeigen, und tatsächlich auch Psychiater und Schriftstellerin in deren Existenz verunsichern. So fragt sich die Schriftstellerin im Roman, ob sich ein „Normaler“ verrückt stellt, oder umgekehrt, sich ein Verrückter als „normal“ geben kann und diese Normalität Folge dessen nur geschickt vortäuscht. Das geht so weit, dass sich die Schriftstellerin fürchtet, bald nicht mehr nur im Pavillon zu Gast zu sein.
Als eines schönen Tages zwei seiner besonderen Patienten aus der Anstalt in der Nähe von Wien verschwinden, macht er sich in der Wiener Innenstadt auf die Suche nach ihnen. Er findet zwar jede Menge Verrückter, aber eben nicht seine zwei Patienten.

Wenn sich einer Erkenntnisse über das Rätsel „Mensch“ erhofft
Das Buch erschien im Picus Verlag, umfasst 458 Seiten und ist um 26 Euro erhältlich.

Die Rehaklinik in Wien

Der Autor Thomas Sautner begab sich für die Recherche zu diesem Roman tatsächlich in die psychiatrische Rehaklinik „Baumgartner Höhe“ in der Nähe von Wien und sprach dort mit Patienten, die er bei seiner Lesung als „Menschen wie du und ich“ beschrieb. Die Gespräche wären gewesen, wie in einem Caféhaus oder auf einem Heurigen. Und trotzdem musste er den „Stoff“ für seinen Roman über ein Jahrzehnt liegen lassen, bis dieser Stoff ihn wieder „wollte“ und er zum „Sekretär des Textes“ wurde, wie er erklärte. So ließ er sich durch die Gesprächsmoderation auch gar nicht auf Aussagen im Roman festnageln, das seien Aussagen der Personen des Romans, er wisse nicht, was sie tatsächlich gemeint hätten. So las er an diesem gut besuchten Abend aus dem Anfang des Romanes und die psychiatriekritischen Teile – die auch vorkommen – ließ er außen vor. Wer Thomas Sautner kennt, kennt seine tiefen und nachdenklichen Texte. An diesem Abend zeigte er sich mit Humor und Leichtigkeit, was sich auch im Buch findet, aber nicht nur. Hat er sich doch in allen seinen Romanen dem gleichen Kern gewidmet, dem Kern des Menschseins.

Wenn sich einer Erkenntnisse über das Rätsel „Mensch“ erhofft

„Es geht in der Psychiatrie nicht um eine Norm, sondern darum, Menschen in einer Not, in einer Krise oder bei einer Krankheit rasch und nachhaltig zu helfen.“

Jan di Pauli, Primar

Drei Fragen an Jan Di Pauli, Primar im Krankenhaus Rankweil

Karl Kraus soll gesagt haben, „Wer Psychologie studiert, hat es nötig“. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Di Pauli: Wer Psychologie oder Medizin studiert, ist in der Regel an anderen Menschen interessiert. Aber ja, etwas Psychologie haben wir alle „nötig“.

Im Roman geht es um „Normalität“. Spielt diese in der modernen Psychiatrie noch eine Rolle?
Di Pauli: Als ich einmal einen sehr fordernden Nachtdienst auf der psychiatrischen Notaufnahme hatte und um 3 Uhr nachts die nächste Aufnahme kam, munterte mich eine Pflegerin mit den Worten auf: ‚Gottes Garten ist nun mal bunt‘. Ich denke das bringt es auf den Punkt. Buntheit ist wichtig und den Begriff „Normalität“ gibt es in der Psychiatrie nicht. Es geht nicht um eine Norm, sondern darum, Menschen in einer Krise oder bei einer Krankheit rasch zu helfen.

Sind Psychiater eine gefährdete Berufsgruppe, weil sie mit Grenzfra­gen des Seins konfrontiert sind und Zugang zu Psychophar­maka haben?
Di Pauli: Alle Menschen, die einen helfenden Beruf haben, sind einem gewissen Risiko ausgesetzt. Man nimmt Geschichten und das Leid der Menschen manchmal mit nach Hause oder hat traumatische Erlebnisse. Einerseits lernt man durch Erfahrung damit umzugehen, anderseits absolvieren wir in der Facharztausbildung auch eine Psychotherapieausbildung. Der Zugang zu Medikamenten kann aber ein Risiko darstellen, auf das geachtet werden muss.