KIT-Einsätze: Zahlen steigen, dahinter stehen Schicksale

Einsatzzahlen steigen beim Kriseninterventionsteam Vorarlberg weiter. Nach Rekordjahr 2024 bahnt sich heuer ein neuer Höchstwert an. Koordinator Thomas Stubler zieht Bilanz und spricht über Ehrenamt, Budget und vieles mehr.
Das Kriseninterventionsteam (KIT) Vorarlberg steuert erneut auf ein Rekordjahr zu. Schon 2024 war mit 285 Einsätzen ein Höchstwert erreicht worden. Nun könnte das Jahr 2025 diese Marke sogar übertreffen. Doch für Thomas Stubler, seit März 2014 KIT-Koordinator, steht weniger die Statistik im Vordergrund als vielmehr die Menschen hinter den Zahlen. „Bis jetzt bewegen wir uns 2025 auf ungefähr demselben Niveau wie im Vorjahr“, sagt er. „Per 25. November haben wir 277 Einsätze – letztes Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt ein paar weniger. Es sieht so aus, als würden wir den Rekord an Einsätzen heuer erneut übertreffen.“ Doch er betont sofort: „Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale. Wenn wir von 285 Einsätzen aus dem Vorjahr sprechen, dann bedeutet das 285-mal, dass für eine Familie in Vorarlberg eine Welt zusammengebrochen ist. Jede einzelne Situation ist tragisch.“

Einsatzspektrum bleibt konstant
Das Einsatzspektrum des Teams bleibt über die Jahre hinweg weitgehend konstant. „Auffällige Häufungen gibt es keine. Am häufigsten begleiten wir Menschen nach plötzlichen Todesfällen“, berichtet der 45-Jährige. Zugenommen haben jedoch die Einsätze nach Suiziden. „Wir liegen hier seit zwei Jahren jeweils bei rund 70 Einsätzen jährlich. Das heißt aber nicht, dass es 70 Suizide waren – oft kommen wir doppelt zum Einsatz, wenn mehrere Menschen betroffen sind.“ Emotional am schwierigsten sind jene Situationen, in denen Kinder involviert sind. „Einsätze, wenn Kinder betroffen sind – egal ob ein Kind verstirbt oder ob Kinder unter den Angehörigen sind –, sind für uns am herausforderndsten. Das ist noch einmal eine ganz andere Dimension.“

Auch über Weihnachten bereit
Der Dezember steht noch vor der Tür, eine Zeit, in der viele Menschen emotional besonders verletzlich sind. Stubler will keine Prognosen stellen, das sei schwer: „Über die Weihnachtsfeiertage haben wir meist einige Einsätze, aber keine auffällige Häufung. Unsere Arbeit macht keine Pause.“ Personell ist das Team auch über diese Tage gut aufgestellt. „Zum Glück sind unsere Ehrenamtlichen sehr motiviert, der Dienstplan für die Feiertage ist gut gedeckt.“
KIT Vorarlberg im überblick
- Aufgabe und das Ziel ist es, Menschen in akuten Krisensituationen zu begleiten und zu unterstützen. Durch eine rasche Intervention nach einem traumatischen Erlebnis (zum Beispiel ein plötzlicher Todesfall im persönlichen Umfeld) versuchen die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die psychischen Belastungen zu reduzieren und mögliche Folgeerkrankungen zu vermeiden.
- Seit der Gründung im Herbst 1999 verzeichnet das KIT in Summe 4918 Einsätze (Stand 25. November 2025), bei denen über 21.000 Menschen in Vorarlberg betreut wurden.
- Der erste KIT-Einsatz fand am 6. März 2001 statt.
- Auch Einsatzkräfte von Blaulichtorganisationen werden nach besonders belastenden Einsätzen von KIT Vorarlberg betreut.
- Die psychosoziale Akkubetreuung durch das KIT ist für die Betroffenen kostenlos.
- KIT Vorarlberg wird hauptsächlich aus dem Sozialfonds des Landes Vorarlberg finanziert. Darüber hinaus gibt es finanzielle Unterstützung von der ÖGK, durch Spendengelder sowie durch Beiträge der Trägerorganisationen.
- Aktuell hat das Kriseninterventionsteam 100 aktive ehrenamtliche Mitarbeiter.
- Das KIT hat heuer mit Stand 25. November 277 Einsätze – ein Rekordwert.
Großes Interesse am Ehrenamt
Trotz der hohen emotionalen Belastung hat das KIT keine Nachwuchssorgen – im Gegenteil. „Wir sind hier in einer sehr privilegierten Situation. Viele Menschen interessieren sich für dieses Ehrenamt, obwohl es ein sehr herausforderndes ist. Seit dem letzten Ausbildungslehrgang bekomme ich ständig neue Anfragen.“ Mit aktuell 100 Ehrenamtlichen sei das Team insgesamt „sehr gut aufgestellt“.
Wer sich beim KIT engagieren möchte, muss vor allem menschliche Qualitäten mitbringen. „Die einzige formale Voraussetzung ist ein Mindestalter von 25 Jahren. Viel wichtiger sind Empathie, Verantwortungsbewusstsein, Verlässlichkeit und eine gefestigte Persönlichkeit. Wer selbst große Schicksalsschläge erlebt hat, muss diese gut verarbeitet haben.“

Weil die psychische Belastung naturgemäß hoch ist, spielt Psychohygiene eine zentrale Rolle. „Ein wichtiger Teil der Ausbildung ist, dass jeder Rituale und Werkzeuge finden soll, die ihm nach einem Einsatz guttun.“ Nach jedem Einsatz sprechen die Teammitglieder miteinander. „Wir sind immer zu zweit unterwegs und reden danach über das Erlebte.“ Zusätzlich gibt es regelmäßige Supervisionen. „Kleingruppen, anonymisiert, mit professioneller Begleitung. Unsere Ehrenamtlichen sind gut versorgt.“
Sinnstiftende Arbeit
Neben der Koordination ist Stubler selbst regelmäßig im Einsatz. Was ihn motiviert? „Es ist eine sinnstiftende Arbeit. Man weiß, dass man etwas Gutes tut und Menschen in schweren Momenten beisteht. Das gibt ein gutes Gefühl, es ist eine Arbeit mit Sinn.“ Um nach belastenden Einsätzen auf Abstand zu kommen, hat er seine eigene Strategie gefunden. „Ich habe für mich die Methode der drei Bs entwickelt: Bewegung – Sport hilft mir, den Kopf freizubekommen. Begegnung – Zeit mit Menschen, die mir wichtig sind, verbringen. Belohnung – mir bewusst etwas Gutes tun, sei es ein Vollbad oder eine Tafel Schokolade. Das hilft mir sehr bei der Psychohygiene.“
Zur Person
Name: Thomas Stubler
Geboren: 17. Mai 1980
Familienstand: Geschieden
Beruf: Koordinator KIT Vorarlberg
Koordinator seit: März 2014
Hobbys: Sport (aktiv und passiv), Reisen, Musik
Tod und Trauer sollten kein Tabuthemen sein
Beim gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Trauer sieht er wenig Fortschritt. „Ich würde mir wünschen, dass diese Themen weniger tabuisiert sind. Kaum jemand beschäftigt sich zu Lebzeiten damit – obwohl es das Einzige ist, was uns alle verbindet.“ Eine stärkere Trauerkultur wäre seiner Ansicht nach sinnvoll, „nicht erst dann, wenn man selbst betroffen ist“.
Einsatzzahlen steigen weiter
Seit Jahren zeigt die Einsatzstatistik nach oben. Wie schaut es 2026 aus? „Ich gehe davon aus, dass die Einsätze weiter steigen.“ Eine genaue Prognose sei zwar schwierig, „aber die Tendenz der letzten Jahre zeigt eine stetige Zunahme.“ Das bestätigt, wie wichtig die Arbeit des KIT ist und auch angenommen wird. „Es kommt nur selten vor, dass unsere Unterstützung abgelehnt wird. Die Betroffenen sind in der Regel sehr dankbar.“ Neben den regulären Einsätzen und Fortbildungen steht im kommenden Jahr kein Großprojekt an. „Wir planen keinen Ausbildungslehrgang, weil wir aktuell genug Ehrenamtliche haben. Auch die große österreichische Fachtagung, die heuer bei uns stattfand, wechselt 2026 in ein anderes Bundesland.“

Gute Zusammenarbeit
Seit 2025 hat das Kriseninterventionsteam mit Janine Gozzi eine neue ehrenamtliche Obfrau. „Sehr gut. Man merkt, dass sie das Herz am richtigen Fleck hat und für das KIT brennt“, sagt Stubler über die Zusammenarbeit. „Für sie ist die Funktion ein Herzensanliegen, keine Belastung.“
Budget für 2026 gesichert
Finanziell bleibt das KIT solide aufgestellt. „Die Finanzierung über den Sozialfonds des Landes ist sehr stabil. Das Budget für nächstes Jahr ist gesichert, nur die Indexanpassung wurde gestrichen. Damit können wir leben“, so der Koordinator. „Da das Team ausschließlich ehrenamtlich arbeitet, fallen Tarifkürzungen bei uns kaum ins Gewicht.“

Großschadenskonzept
Im Juni erschütterte der Amoklauf an einer Grazer Schule ganz Österreich und war auch für alle Einsatzorganisationen eine enorme Herausforderung. „Ich war mit den KIT-Kolleginnen und -Kollegen aus der Steiermark im Austausch. Wir haben sofort unsere Hilfe angeboten“, so der 45-Jährige. Diese wurde schlussendlich aber nicht benötigt. „Sie hatten ausreichend Personal und haben das unglaublich professionell gemacht.“ Das schreckliche Ereignis in Graz war auch Anlass, das Vorarlberger Großschadenskonzept zu überprüfen. Theoretisch ist Vorarlberg gut vorbereitet, weiß Stubler. „Aber ein Großeinsatz unterscheidet sich stark von einem normalen Einsatz. Da braucht es Einsatzleitung, Abschnittsleitungen und eine größere Struktur. Deshalb ist es wichtig, solche Abläufe regelmäßig zu üben. Das machen wir auch.“