_Homepage

Dekarbonisierung der Zementindustrie: Ein Wettlauf gegen die Zeit

29.11.2025 • 11:30 Uhr
Dekarbonisierung der Zementindustrie: Ein Wettlauf gegen die Zeit
Rauchende Schlote eines Zementwerks im chinesischen Binzhou – ein Symbol für die globalen Emissionen der Branche. AP

Rund sieben bis acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen bei der Herstellung von Zement – mehr als durch die gesamte Luftfahrt. Die Dekarbonisierung dieser Branche zählt daher zu den vordringlichsten Aufgaben der globalen Klimapolitik.

Von Christof Flatz
neue-redaktion@neue.at

Während die europäische Zementindustrie unter strengen Klimavorgaben, steigenden CO₂-Preisen und hohen Energie- sowie Lohnkosten enormen Druck verspürt, nehmen es China und Indien technologisch wie regulatorisch deutlich lockerer. Dabei produzieren die beiden Länder zusammen über 60 Prozent des weltweiten Zements.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt Europa konkurrenzfähig – vor allem dank Innovation. Marktführer wie Holcim und Heidelberg Materials investieren massiv in CO₂-arme Produkte, Recyclinglösungen und Carbon-Capture-and-Storage-Technologien (CCS). Holcim testet in Norddeutschland Pilotanlagen zur CO₂-Abscheidung aus Abgasströmen, deren Wirtschaftlichkeit noch offen ist. Heidelberg Materials geht weiter: Im norwegischen Werk Brevik entsteht die weltweit erste großtechnische CCS-Anlage der Zementindustrie. Ab 2025 sollen dort jährlich rund 400.000 Tonnen CO₂ abgeschieden und sicher unter der Nordsee gespeichert werden. Das Projekt gilt als Blaupause für die Dekarbonisierung schwerer Industrien – und bringt den ersten CCS-basierten Zement auf den Markt.

CCS könnte zur Schlüsseltechnologie werden, birgt aber Risiken: hohe Kosten, zusätzlichen Energiebedarf und langfristige Überwachungsaufgaben. Leckagen, geologische Instabilität und gesellschaftliche Skepsis sind reale Herausforderungen. Klimaschützer betrachten CCS nur als Alibilösung, um konsequente Dekarbonisierung durch Materialinnovationen, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft darzustellen. Hinzu kommt ein uneinheitlicher Rechtsrahmen. In Österreich ist die geologische Speicherung von CO₂ derzeit verboten, doch ein Gesetz zur kontrollierten Zulassung wird vorbereitet. Deutschland ist weiter: Das CCS-Gesetz erlaubt seit Jahren Erprobungslagerstätten. Kürzlich hat der Bundesrat die unterirdische Speicherung grundsätzlich freigegeben – vor allem unter dem Meeresboden, ausgenommen Schutzgebiete und Küstennähe.

Überraschenderweise entwickelt sich Klimaschutz für die europäische Zementindustrie zunehmend zum Wettbewerbsvorteil. Voraussetzung sind jedoch staatliche Förderungen und Übergangsregelungen wie Brückenstrompreise, um die Transformation wirtschaftlich tragfähig zu machen.