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Über die Angst vor Höhen, Pilzen und dem Tyrannosaurus

15.11.2020 • 20:00 Uhr
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Heidi Salmhofer mit Ihrer Sonntags-Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Ich gebe es zu, ich bin eine Angsthäsin. Ein Wanderweg muss für mich mindestens so breit sein, dass ein Schwer­transporter problemlos darauf wenden könnte, denn ist er zu schmal, könnte ich ja versehent­lich abstürzen. Die Aussichts­plattform am Karren betrete ich nicht mal mit dem Nagel meines kleinen Zehs. Wenn da ein Erd­beben kommt?! Ich steige in kein Flugzeug, wenn es nicht zwin­gend notwendig ist, und es ist niemals zwingend notwendig. Ich fahre mit Sicherheitsab­stand auf der Autobahn, warte beim Abbiegen ein wenig länger, als der Fahrer hinter mir gut­heißt (Entschuldigung! Was ist, wenn ich im Moment des Ab­biegens einen Motorschaden ha­be?) und ich werfe abgelaufenes Essen weg. Wer weiß, welche toxischen Kräfte dieses in meinem Verdauungsapparat auslösen könnte. Mindesthaltbar heißt für mich: „Ab hier tödlich!“ Auf selbstgesammelte Pilze und deren Verspeisung verzichte ich, weil die zweiwöchige Panik­attacke danach, ob nicht doch irgendwo ein Knollenblätterpilz dabei war (mit Langzeitwir­kung) steht einfach nicht dafür. So gut ist meine Schwammerl­soße auch wieder nicht. Wenn es aber sein muss, dann stelle ich mich auch meinen Ängsten, denn was diese nicht tun sollten, ist mein Leben bestimmen. Also ließ ich mich einmal darauf ein, dass man mir einen Klettergurt mit Seil umbindet, damit ich mich anschließend von einem Baum stürzen, von einer Brücke abseilen und über einen Fluss schwingen konnte. Das alles nur mit dem einen Zweck, zu erkennen, dass ich fähig bin, meine Ängste zu überwinden. Eine interessante Erfahrung. Das nächste Mal mach ich sowas aber erst wieder, wenn mich ein Tyrannosaurus Rex verfolgt. Dann machen solche Aktionen nämlich Sinn. Und etwas, was Angst tatsächlich ist – wenn sie in gesunden, überschaubaren Dosen hochkommt – ist, sinnvoll zu sein. Sie schützt uns davor, Blöd­sinn zu machen und hilft uns da­bei, den Körper, in dem wir uns befinden, noch eine Zeit lang länger auf diesem Planeten zu belassen. Meine Angst kommt halt manchmal auch dann, wenn’s gar nix Lebensbedroh­liches gibt, präventiv sozusagen. Ich gebe zu, ich habe auch jetzt ein wenig Angst. Angst vor dem, was da noch kommen könnte, Angst vor dem, was schon ist. Dann erinnere ich mich wie­der daran, dass ich sogar über­leben könnte, würde mich ein hungriger Dinosaurier jagen. Ich sollte also keine Angst, aber er­höhte Aufmerksamkeit meinen Mitmenschen gegenüber, mir gegenüber haben. Das ist ent­spannter. Ich setze meine Maske auf und gehe einkaufen. Denn die Angst vor meinen hungrigen Kindern konnte ich bis dato noch nicht überwinden.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.