Mörderischer Krimi oder Nerd-Roman

Zeit zum Lesen: Tipps aus der Redaktion für die Auswahl der Lektüre.
„Ich bleibe hier“
Der Kirchturm ragt noch heute als stummer Zeuge aus dem See heraus. 1950 wurde das Südtiroler Dorf Graun im Obervinschgau überflutet, um einen Stausee zu errichten. Über 100 Familien mussten ihre Häuser verlassen.
Einige Jahre zuvor – zwischen 1939 und 1943 – war mit der sogenannten Option, bei der sich die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung für ein Auswandern ins Deutsche Reich oder ein Dableiben unter faschistischer Herrschaft entscheiden musste, ein Riss durch die Gesellschaft gegangen.
Der Mailänder Autor Marco Balzano erzählt diese beiden prägenden historischen Ereignisse in seinem Roman „Ich bleibe hier“ (Diogenes, 286 Seiten, 22,70 Euro) anhand der fiktiven Figur der Deutschlehrerin Trina. Eine spannende und eindrückliche Geschichte über Macht und Ohnmacht des Einzelnen, über Widerstand und Verlust.
Brigitte Kompatscher

„Der Insasse“
Wer versucht alles, um in das Innere eines Hochsicherheitstraktes der Psychiatrie zu gelangen? Ein verzweifelter Vater sucht nach dem spurlosen Verschwinden seines Sohnes Max Antworten. Das Tagebuch des vermeintlichen Verbrechers soll ihm dabei Aufschluss über den Verbleib liefern. Er lässt sich als falscher Patient inklusive Krankenakte einschleusen. Der deutsche Thrillerautor Sebastian Fitzek startet in „Der Insasse“ eine Jagd, der Ungewissheit endlich zu entkommen. Florian Finkel

Nerdige Unterhaltung
Um die Welt der Onlinerollenspiele dreht sich der englischsprachige Roman „Mogworld“ (336 Seiten, Dark Horse Books) des britischen Autors und Videospiele-Journalisten Ben „Yahtzee“ Croshaw. Im Mittelpunkt steht der Magierlehrling Jim, der bei einem Überfall auf seine Ausbildungsstätte stirbt, aber dann von einem Totenbeschwörer als Untoter wieder in die Welt gebracht wird. In der Folge möchte er nichts lieber, als wieder zu sterben. Das ist allerdings gar nicht so einfach, wie er sich das vorstellt.
Michael Steinlechner

Krimi in der Realität
Deutsche Großstädte sind fest in der Hand von kriminellen arabischstämmigen Clans. Es tobt ein Machtkampf um Stadtviertel und Einfluss. Lange unternahmen Polizei und Justiz nichts gegen diese Familienbanden. Mittlerweile wurde der Kampf aufgenommen. Spiegel-TV-Reporter Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer verfolgen die Clans bereits seit 2003. In ihrem Buch „Die Macht der Clans“ (DVA, 352 Seiten, 20,60 Euro) geben sie Einblicke in die Welt der Familienbanden, beschreiben die Strukturen und zeigen auf, wie diese so stark werden konnten und wie die Kontrolle wiedererlangt werden kann.
Lea Kaman

König des Wiener Trash-Krimis
Manfred Rebhandl ist vieles. Autor, Journalist, Grätzl-Chronist und König des Trash-Krimis. Rebhandl lebt im 15. Hieb. Direkt daneben, im 16. Bezirk um den Brunnenmarkt und Yppenplatz, sind die Protagonisten seiner kauzigen Wienkrimis angesiedelt. Dreh- und Angelpunkt ist Privat-Schnüffler Rock Rockenschaub, der wie ein aus der Zeit gefallener Späthippie keinem Joint aus dem Weg geht. Der aktuelle Fall mit dem Titel „Sommer ohne Horst“ hat alles, was Rebhandl liebenswert macht. Rock freut sich auf einen chilligen Sommer im Ottakringer Bad. Ladys eincremen, Joints drehen und beim Herrengedeck entspannen. Am besten geht das mit seinem Buddy Bademeister Horst: Mit ihm wäre Rocks Sommer perfekt, bis die denkbar größte Katastrophe eintritt: Horst ist plötzlich verschwunden! Rock macht sich auf die Suche nach seinem Freund, und so nimmt das fünfte Abenteuer des „Superschnüffler“ seinen Lauf.
Georg Widerin

Die Kälte Norwegens
Eisig kalt ist es in Norwegen. Nicht nur aufgrund der Außentemperaturen, sondern auch wegen Jo Nesbö, der mit seiner zwölfteiligen Krimi-Reihe um den Ermittler Harry Hole die kaltblütigen Morde von Bergen bis Hammerfest direkt in ihr Wohnzimmer bringt. Beginnend mit „Fledermaus-Mann“ bis zum letzten Werk „Messer“ ein Muss für jeden Krimi-Fan, der nervenzerreißende Spannung, verschrobene Charaktere und Plottwists liebt.
Sebastian Rauch

Der Meister der Kurzgeschichte
Von Edgar Allan Poe ist vor allem das Gedicht „Der Rabe“ bekannt, doch in dem Werk des US-amerikanischen Schriftstellers aus dem 19. Jahrhundert gibt es viel mehr zu entdecken. Poe war ein Meister der Kurzgeschichte und Pionier in den Genres Kriminalliteratur und Science Fiction. Nicht immer ist es das Übernatürliche, das in seinen Erzählungen den Leser erschaudern lässt: Poe vermochte es als messerscharfer Analytiker, das Düstere im Menschen selbst aufzuspüren. Sammelbände gibt es zur Genüge, etwa vom Anaconda Verlag (Unheimliche und phantastische Geschichten, 1632 Seiten, 15 Euro).
Lisa Kammann

Unser Mann in den Spelunken
Ein Stück Erde, um verbuddelt zu werden, das braucht der Mensch“, schrieb Jörg Fauser einmal. Wo man auf deutschsprachigem Boden über solch einen Satz stolpert, sollte man in die Tiefe graben. Dort stößt man im Falle des 1984 Verstorbenen auf Gedichte, Erzählungen, Essays, Reportagen und Romane, die zum Besten gehören, was es in den 70er- und frühen 80er-Jahren angeblich nicht gegeben hat, tatsächlich aber nicht gewollt wurde: authentische Schreibe fernab narzisstischer Selbstumkreisung, ein Autor, der zwischen Journalismus und Literatur nicht unterscheiden wollte, der gestochen scharfe Gedanken formulierte über Boxsport und Stehausschänke, Chester Himes lobte und den Krimi als seriöses Genre apostrophierte; kurzum: knapp 3000 Seiten realistisches Handwerk nach anglo-amerikanischem Vorbild, ganz so, wie es heutzutage schon der ausgedörrteste Stubenhocker in Göttingen fordert. Gesamtausgabe bei Diogenes. Zulegen, verschenken!
Jörg Stadler
