Es gibt nur begrenzt Platz – in meinem Kopf

Heidi Salmhofer mit Ihrer Sonntags-Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Die älteren jungen Menschen unter uns werden sich vielleicht noch an die Serie mit Al Bundy und seiner schrecklich netten Familie erinnern. Seine Tochter Kelly war ein typisches stereotypes Bild einer nicht besonders geistreichen, dafür umso hübscheren jungen Dame.
Musste sie etwas Neues lernen, löschte sich altes Wissen, um Platz in ihrem Gehirn zu schaffen. So konnte sie dann zwar die Hauptstädte von Amerika aufzählen, aber wusste nicht mehr, wie man Türen öffnet. Damals habe ich darüber kräftig gelacht. 25 Jahre und eine Pandemiezeit später finde ich es nicht mehr ganz so witzig. Im Gegenteil, ich fühle mit ihr. Was ich alles vergesse! Ich meine, ich wusste schon immer, dass mein Gehirn besonders sensibel auf Veränderungen reagiert. Ich behaupte, es ist ein Schutzmechanismus. Es arbeitet auf Sparflamme, um Überlastung zu vermeiden.
In meinen zwei Mädchenschwangerschaften zum Beispiel hatte mein Kopf mir klargemacht, dass ich jetzt über nichts anderes nachzudenken habe, als über ein gesundes „Kinder zur Welt bringen“. Jeder kennt wahrscheinlich dieses Gefühl, voller Tatendrang in ein Zimmer zu gehen, nur um dann fragend in dessen Mitte zu stehen, weil man keine Ahnung mehr hat, was man hier eigentlich wollte. Dieses Gefühl zog sich durch meine zwei Schwangerschaften hindurch. Ich bewegte mich zwar körperlich wie ein Elefant durch die Welt, mein Erinnerungsvermögen glich aber dem einer Stubenfliege, die jede Zehntelsekunde vergisst, dass sie gerade gegen eine Fensterscheibe gedonnert ist.
In den letzten Monaten wurde mein Kopf gefüttert mit Überlebensstrategien, Homeschooling und Kochrezepten, und schon wieder sortiert er für ihn vermeintlich unwichtige Dinge einfach aus. Da waren Termine, die sich wochenlang in meinem Kopf eingebrannt hatten. Selbstsicher hatte ich mir keine digitale Erinnerung programmiert. Zack, über Nacht aus meinem Kopf gelöscht. Statt den Termin wahrzunehmen, habe ich daheim seelenruhig ein heißes Bad genommen. Erst das Telefonklingeln stellte die gelöschte Terminerinnerung wieder her. Ich bin so schnell (und fluchend) aus der Badewanne gehüpft, dass ich, während ich mein „Entschuldigung!“ ins Telefon klingen ließ, unter massiven Kreislaufproblemen litt.
Inzwischen habe ich drei Kalender. Einen in Buchform, einen am Handy und einen Jahresplaner sichtbar neben meinem Schreibtisch. Aber es wird Zeit. Ich freue mich wahnsinnig darauf, wenn ich meinem Gehirn erlauben kann, Pandemie und Co. beiseitezuschieben, um Platz für Neues zu schaffen. Für ein paar Meeresurlaub-Organisationsgedanken zum Beispiel.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.