Alles hat Vor- und Nachteile – außer Umarmungen

Heidi Salmhofer mit Ihrer Sonntags-Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Der Mensch neigt dazu, immer mit einem sehnsüchtigen Auge auf das zu „gückseln“, was er gerade nicht hat. Meine Mädels haben glatte Haare, also wollen sie unbedingt Locken. Die Kids meiner Freundin haben gewelltes Haar und jammern, dass sie glattes viel lieber hätten. Man sehnt sich nach Entschleunigung, ist man aber gezwungen, daheim herumzusitzen, will man nichts lieber als einen großen Stapel an Büroarbeit. Ich bin davon nicht ausgenommen.
Derzeit ertappe ich mich ab und an dabei, dass ich doch tatsächlich ein Stoßgebet Richtung Universum schicke, welches in etwa so formuliert ist: „Zefix, tagtäglich so ganz ohne Erwachsene um mich herum ist doch recht zach. Vielleicht kannst du mir mal jemand vorbeischicken mit unkompliziertem Unterhaltungswert?“ Es hört mich aber nicht, denn die Einzigen, die regelmäßig bei mir vorbeischauen, sind Paketzusteller.
Und ich befürchte, die armen, schwer arbeitenden Menschen fungieren schon genug als Ansprechperson für einsame Menschen. Bleibe ich versehentlich an diesem aufflackernden Wunsch der vertrauten Zweisamkeit hängen, führe ich mir schnell Beziehungsbilder vor Augen. Das hilft ungemein. Wie oft habe ich unnötig angefressen die Wohnung gesaugt, nur weil meine andere Hälfte gerade eher in der Stimmung für eine gemütliche Couch war. Es ist schon witzig, wie aggressiv man einen Besen schwingen kann, weil man sauer darüber ist, dass man arme Seele gerade ganz alleine Hausarbeit macht und der andere einfach nicht von selber merkt, dass man gerne Hilfe hätte. Was für eine Frechheit!
Der geheime Wunsch nach Sololeben entwickelte sich aber ganz stark dann, wenn Mann neben mir schlief. Und schnarchte. Dieser Zwiespalt zwischen liebevollem „Er kann nichts dafür“ und verzweifeltem „Wenn ich noch fünf Minuten länger kein Auge zumachen kann, werde ich zu Hulk und schmeiß ihn aus dem Fenster“ hat sich tief eingeprägt. Jetzt kann ich nur dann nicht schlafen, wenn ich selber schuld bin, und Aufräumen passiert ganz ohne Aggression. Das ist schon etwas sehr Schönes.
Ich wage aber zu behaupten, dass es in diesen Zeiten von unglaublichem Vorteil sein kann, nicht alleine zu sein. Letztens bei der neuen Netflix-Serie wäre es schon hübsch gewesen, wenn mir jemand ein Glas Wein gebracht hätte. Und – ja, ja – ich gebe es zu, dass man ab und an in den Arm genommen wird, das fehlt. Jetzt habe ich mich für eine Impfung eingetragen. Im Sommer will ich eine krasse Umarmungsparty-Grillerei mit Freunden und Familie. Sorgenfrei. Ich hoffe, das Universum hat das gehört!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.