65 Prozent mehr Anfragen

Klaus Hartinger
Sprunghafter Anstieg bei den Caritas-Suchtfachstellen.
Die Verantwortlichen der Suchtfachstellen der Caritas haben bei der gestrigen Pressekonferenz ein kleines Stillleben aufgebaut, um die Thematik zu verdeutlichen. Nahrungsmittel, leere Alkoholflaschen stehen unter anderem auf einem kleinen Tisch und das Wort „Sucht?“.
Verkleinerte Lebenswelt
„Corona und die damit verbundenen Einschränkungen haben unsere Lebenswelt verkleinert“, stellte Monika Chromy, Fachbereichsleiterin Suchtarbeit, fest. Und die Pandemie wirke sich auch auf das Verhalten der Menschen aus. Viel mehr Menschen würden sich mit dem Thema Essen beschäftigen, und dabei auch Störungen entwickeln. Es seien größtenteils junge Mädchen, die sich im Vorjahr diesbezüglich bei der Caritas gemeldet hätten.
Bilanz 2020
1006 Frauen und Männer, Betroffene einer Alkohol- und Medikamentensucht bzw. deren Angehörige, haben im vergangenen Jahr Rat bei den fünf Suchtfachstellen der Caritas gesucht. 236 Betroffene haben das Angebot der begleitenden Psychotherapie in Anspruch genommen. 88 zum Großteil junge Frauen, die ihre Essstörung in den Griff bekommen wollten, haben sich gemeldet.
Kurzarbeit, Homeoffice, Arbeit und Kinderbetreuung würden viele Menschen unter Druck setzen, so Chromy. Personen, die früher ein Glas Wein am Abend getrunken hätten, würden jetzt schon zu Mittag mit dem Trinken beginnen, weil die Arbeit beendet ist, erzählt sie. Und andere würden merken, dass der Partner, der jetzt ständig zu Hause ist, eigentlich sehr viel trinkt.
Selbstmedikation
Derzeit könne man noch nicht sagen, dass es mehr Suchtkranke gebe, so die Expertin, aber der Missbrauch sei gestiegen. Essen, Alkohol oder Medikamente würden häufig auch als Form der Selbstmedikation gegen Ängste und Druck verwendet.

Linda Dreher-Bilgeri ist klinische Psychologin und Stellenleiterin der Suchtfachstellen Oberland. Die Kombination aus steigender Unsicherheit und fehlender Planbarkeit führe dazu, dass sich der Druck auf den Einzelnen erhöhe, sagt sie. „Die Außenwelt wird als bedrohlich empfunden und das kann mit dem Menschen etwas machen.“
Soziale Isolation
Zudem würden manche Menschen jetzt spüren, wie sozial isoliert sie eigentlich sind und damit steige die Einsamkeit. Den zusätzlichen Stressfaktoren würde in einigen Fällen versucht, mit Essen, Alkohol und Medikamenten zu begegnen, sagt auch Dreher-Bilgeri – mangels anderer Bewältigungsstrategien.

Es würden sich aber auch Menschen an die Fachstellen wenden, die aufgrund der verordneten Ruhe in sich gehen und sich bewusst werden, dass sie in eine Abhängigkeit geschlittert sind, berichtet Chromy. Und Menschen, die den psychischen Druck nicht mehr aushalten.
An den Grenzen der Ressourcen
Es habe zwar im Vorjahr weniger Neuanfragen gegeben, dafür seien die Menschen öfter gekommen, weil sie so isoliert waren. Seit Jahresbeginn sind die Anfragen im Vergleich zum Vorjahr aber um 65 Prozent gestiegen, informiert die Fachbereichsleiterin. „Das sprengt bald die Grenzen unserer Ressourcen.“ Allerdings habe sie den Eindruck, dass nach dem Fokus auf die physische Gesundheit im Vorjahr nun auch die psychische von der Politik verstärkt ins Blickfeld genommen werde.
Betroffene und Angehörige können sich bei der Suchtfachstelle der Caritas unter 05522-200-1700 oder suchtfachstelle@caritas.at melden. Die Kosten für die Leistungen werden vom Land übernommen.