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Drei Frauen geben den Takt an

30.12.2022 • 19:19 Uhr
Die drei Kapellmeisterinnen Angela Schwarzmann, Sonja Feuerstein-Oss und Natalie Feuerstein. <span class="copyright">Hartinger </span>
Die drei Kapellmeisterinnen Angela Schwarzmann, Sonja Feuerstein-Oss und Natalie Feuerstein. Hartinger

Warum der Musikverein Schröcken drei Kapell­meisterinnen hat, wie das funktioniert und weshalb viele Schröckner in einem Verein engagiert sind.

Schröcken und der Musikverein: Das ist eine besondere Geschichte. Sehr viele der 210 Bewohner des Bergdorfes musizieren in dem Verein; an die 16 Prozent. Zum Vergleich: Im Nachbardorf Schoppernau sind es rund 4,5, in Schruns circa 1 Prozent.

Doch damit nicht genug: Seit Kurzem wird der Verein als einziger in Vorarlberg musikalisch von drei Kapellmeisterinnen geleitet. In allen anderen Musikvereinen des Landes schwingt ein Einziger oder eine Einzige den Dirigentenstock.

Die drei Kapellmeisterinnen mit dem ehemaligen musikalischen Leiter Heinz Feuerstein. <span class="copyright">Hartinger</span>
Die drei Kapellmeisterinnen mit dem ehemaligen musikalischen Leiter Heinz Feuerstein. Hartinger

Natalie Feuerstein (32), Sonja Feuerstein-Oss (49) und Angela Schwarzmann (44) haben im Oktober 2022 die musikalische Leitung von Heinz Feuerstein übernommen. Als drei gleichwertige Kapellmeisterinnen – das „gleichwertig“ ist ihnen sehr wichtig. Heinz Feuerstein war zuvor 46 Jahre Kapellmeis­ter, er ist der Vater von Natalie und Sonja und – wie die beiden mit einem Schmunzeln sagen – der „Adoptivvater“ von Angela. Diesen Ausdruck verwenden die beiden wohl auch deshalb, weil Angela schon seit 32 Jahren bei der Schröckner Musik spielt. Die beiden Schwestern selbst musizieren ebenfalls schon seit vielen Jahren bei dem Verein, die Ältere seit 1985, die Jüngere seit 2001.

Verbunden mit der Musik

Der Musikverein, der heuer sein 60-jähriges Jubiläum gefeiert hat, lag und liegt Altkapellmeis­ter Heinz Feuerstein sehr am Herzen: Sein Vater war einer der 18 Gründungsmitglieder und bis zu seinem frühen Tod Kapellmeister, danach übernahm der damals 24-Jährige das Amt. Schon vor mehreren Jahren begann Heinz Feuerstein, in den Reihen des Musikvereines nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin zu suchen. Denn eines war klar: Einen Kapellmeis­ter von außen für das abgelegene, schneereiche Bergdorf zu finden wäre nicht so einfach. Gleich sieben Schröckner Musikanten zeigten Interesse und begannen 2017 mit der Ausbildung „Dirigieren“, die von der Musikschule Bregenzerwald angeboten wird. Die erste Prüfung legten noch alle ab, die zweite nur noch drei: Natalie, Sonja und Angela.

Sonja Feuerstein-Oss beim Dirigieren.<span class="copyright"> Hartinger</span>
Sonja Feuerstein-Oss beim Dirigieren. Hartinger

Sie beschlossen, die musikalische Leitung des 35-köpfigen Orchesters gemeinsam auszuüben. Denn jede der drei wollte weiterhin ihr Instrument spielen: Natalie die Querflöte und das Piccolo, Sonja das Tenorhorn und Angela das Saxophon. Für einen einzigen Kapellmeister ist das unmöglich. Zudem wird bei drei Leiterinnen die Arbeit gedrittelt. Nach einer mehrmonatigen Einarbeitungsphase mit Langzeit-Kapellmeister Heinz Feuerstein übernahmen die drei Frauen die Dirigentenstäbe mit dem Herbstkonzert im heurigen Oktober. Heinz Feuerstein indes nahm in den Reihen der Flügelhornisten Platz. Wenn nötig, steht er dem Kapellmeisterinnen-Trio mit Rat und Tat zur Seite.

Fast alle in einem Verein

Heinz Feuerstein war und ist nicht der einzige, der sich in Schröcken sehr für seinen Verein engagiert. „Wir hatten immer Menschen an der Spitze eines Vereines, die gut auf ihn geschaut haben“, erklärt Angela. Das ist einer der Gründe, weshalb so viele Schröckner bei Vereinen sind – sei es bei der Musik, der Feuerwehr, der Bergrettung, dem Skiclub oder dem Trachtenverein. „Es gibt wenige Schröckner im Alter von zwölf bis 70 Jahren, die nicht bei einem Verein tätig sind“, zeigt Angela die Dimension und Bandbreite auf. Ein weiterer Grund dafür ist nicht alleine die Abgeschiedenheit des Bergdorfes, denn dann müsste die Situation im Nachbardorf Warth eine ähnliche sein, was aber nicht der Fall ist. Vielmehr zähle: „Unsere Väter haben uns dieses gesellige und für das Dorf wichtige Engagement vorgelebt und wir geben es an die nächste Generation weiter“, sagt die Kapellmeisterin.

Angela Schwarzmann dirigiert, ihre Kapellmeisterin-Kollegin Natalie Feuerstein spielt derweil im Orchester ihre Querflöte. <span class="copyright">Hartinger </span>
Angela Schwarzmann dirigiert, ihre Kapellmeisterin-Kollegin Natalie Feuerstein spielt derweil im Orchester ihre Querflöte. Hartinger

Damit zurück zur Musik. Die Musikprobe der Schröckner findet immer am Freitagabend im Vereinehaus statt. Beim Besuch der Neue am Sonntag füllt sich kurz vor 20 Uhr der Raum. Einige Musikanten blättern in den Noten, andere reden, ein Trompeter spielt die Tonleiter auf und ab, der Schlagzeuger schlägt ein paar Takte. Als Natalie an das Dirigentenpult tritt, wird es ruhig. „Legt bitte ‚Panis Angelicus‘ auf und spielt forte“, sagt sie und gibt den Einsatz. Sogleich erklingt die schöne, getragene Musik des Kirchenliedes. Nachdem die letzten Töne verklungen sind, dirigiert die junge Frau zwei weitere Musikstücke, danach setzt sie sich an ihren Platz im Orchester und nimmt ihre Querflöte in die Hand. Vorne am Pult steht mittlerweile Angela, die bei den vorigen Liedern ihr Saxophon gespielt hat. „Jetzt kommt Nummer zwei in der Mappe. Schaut gut auf die Dynamik und die Artikulation“, weist sie an. Die Truppe, die heute durch Krankenstände dezimiert ist, beginnt, einen beschwingten Marsch zu spielen. Doch nach einigen Takten bricht die Kapellmeisterin ab und erklärt: „Bei der Wiederholung gehört das Piano leiser und das Crescendo stärker.“ Noch zweimal üben die Musikanten das Stück, dann ist Angela zufrieden.

Die Reihen des Musikvereins Schröcken sind bei dieser Probe recht schwach besetzt, weil einige Mitglieder krank sind. <span class="copyright">Hartinger</span>
Die Reihen des Musikvereins Schröcken sind bei dieser Probe recht schwach besetzt, weil einige Mitglieder krank sind. Hartinger

Organisation und Absprache

Üblicherweise dirigieren zwei der Kapellmeisterinnen während einer Probe. Manchmal aber auch nur eine, wenn die andere krank ist. Wer wann dran ist, ist gut geplant und festgehalten in einem Online-Kalender, auf den alle Zugriff haben. Organisation und Absprache seien das A und O bei dieser Form der Führung, betonen die drei Frauen. Und: „Wir verstehen uns sehr gut, reden offen miteinander und bleiben respektvoll“, sagt Sonja und zeigt damit einen weiteren wichtigen Aspekt auf, wie die Leitung zu dritt gelingt.

Das Vorbereiten der Proben bedeutet für die drei Frauen noch viel Arbeit. Angela dazu: „Das darf man nicht unterschätzen. Früher, als Musikantin, bin ich zur Probe gekommen und habe gespielt – geübt eher selten“, sagt sie und schmunzelt. „Jetzt sehe ich, wie viel Arbeit die Vorbereitung gibt. Als Musikantin kenne ich das Repertoire, aber als Dirigentin ist es neu. Wir müssen es noch durcharbeiten.“ Tauchen dabei bei einer Frau Unklarheiten auf oder weiß sie bei einer sonstigen Angelegenheit nicht Bescheid, können die anderen beiden weiterhelfen. Das ist ein weiterer Vorteil, wenn die Leitung geteilt wird.

Freude

Schlagzeuger David Schwarzmann. <span class="copyright">Hartinger</span>
Schlagzeuger David Schwarzmann. Hartinger

Bisher klappt und tönt es beim Musikverein Schröcken mit den drei Kapellmeis­terinnen jedenfalls sehr gut. Die gemeinsame musikalische Leitung bereitet den drei Frauen Freude.

„Den Musikverein wechselt man nicht“

Während die drei Kapell­meis­terinnen Natalie Feuerstein, Sonja Feuerstein-Oss und Angela Schwarzmann zwar alle gebürtige Schröcknerinnen und auch dort aufgewachsen sind, lebt heute nur noch eine der drei in dem Walserdorf: Angela, die als Leiterin von Warth-Schröcken Tourismus arbeitet. Sonja wohnt in Andelsbuch und leitet die Skipasskassa der Skilifte Schröcken, Natalie lebt in Egg und ist Büroleiterin bei den Seilbahnen Damüls.

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Hartinger

Dass die zwei Frauen einen recht langen Weg zu ihrem Musikverein haben, ist bei den Schröcknern nichts Außergewöhnliches: Andere gebürtige Schröckner wohnen ebenfalls im Mittelwald oder in Dornbirn, sind ihrem Verein aus Jugendtagen aber treu geblieben. „Den Musikverein wechselt man nicht“, erklärt Martin Bischof, der in Dornbirn lebt und einen Anfahrtsweg von circa einer Stunde hat. Damit ist er jedoch nicht der Musikant, der am weitesten von dem Bergdorf entfernt wohnt. Das ist der Schweizer Hans-Peter Thöny aus Schiers. Seit Langem ist er mit dem ehemaligen Kapellmeister Heinz Feuerstein befreundet und spielt deshalb sein Tenorhorn im Musikverein Schröcken.