Diese Angst vor dem ersten Symptom

Ab Freitag ist die Schweizer Schauspielerin Heidi Maria Glössner in „Späte Spiele“ zu sehen. Im Interview spricht sie über Altersunterschiede und Demenz.
In „Späte Spiele“ hat Gerhard Meister ein Stück für eine ältere Schauspielerin geschrieben: Heidi Maria Glössner, Grande Dame des Schweizer Theaters und Kinos steht zusammen mit einem jüngeren Mann (Tobias Krüger) auf der Bühne. Fünfzig Jahre Altersunterschied trennen die Figuren, die sich in verschiedenen Machtverhältnissen und Anordnungen wiederfinden.
Wechselnde Emotionen
„Eigentlich spiele ich eine Frau mit einer beginnenden Demenz und die kommt immer wieder vor“, sagt Heidi Maria Glössner über ihre Rolle, in der sie ständig zwischen den Emotionen wechselt. Einmal ist sie die spielerische, dann wieder die demente, als Mutter spielt sie die ganz klar argumentierende, in einer Enkeltrickszene ist die Figur total verwirrt vom Anrufer und für eine gesunde alte Frau wird ein Banküberfall zum perfekten Anti-aging Programm, weil er Kopf und Körper gleichermaßen herausfordere. „Natürlich ist das ein Witz, aber es soll nur eine Parabel dafür sein, dass man sich nicht einschüchtern lassen soll, von niemandem, sondern durchaus Dinge wagen, die unkonventionell sind, um eben das Leben auszukosten“, beschreibt Glössner im Interview.

Lieblingsszene
In all diesen Figuren könne sich die Schauspielerin mühelos einfinden, aber eine Szene gehe ihr besonders nahe: „Wo sie noch ganz klar spricht: Natürlich gibt es diese Angst vor dem ersten Symptom, besorgte Blicke um mich her, weil ich mich grade verhalten habe, wie sich kein gesunder Mensch verhält und sie dann darüber spricht, dass das ein Zeichen ist: Jetzt hat es angefangen und wird weitergehen, bis es mich nicht mehr gibt. – das ist eine ganz realistische kurze Passage, die mir persönlich unglaublich viel bedeutet.“ Denn auch in ihrem privaten Umfeld werde die Schauspielerin mit ersten Anzeichen von Demenz konfrontiert. „Sowas tut mir dann so wahnsinnig leid, weil wir dem ja ausgeliefert sind. Es gibt nichts dagegen. Darum mag ich diese Szene, weil es eine ganz realistische ist, weil sie eine ganz konkrete Angst des Alters anspricht“, beschreibt Glössner.
Abschiede
„Ich werde ja 80 dieses Jahr und ich entspreche dem Alter, für das das Stück geschrieben ist, aber ich fühle mich so kerngesund, weil ich natürlich auch seit 55 Jahren ununterbrochen am Theater bin, und am Lernen bin von Texten, mich in neue Situationen hineindenken darf. Das hält uns wach und innerlich auch jung. Schlimm ist, wenn man anfängt abzuschalten, nicht mehr hinschaut und mit geschlossenen Augen durchs Leben geht. Viele alte Menschen ziehen sich in sich selbst zurück und sind nicht mehr neugierig auf das, was um sie herum passiert, und dann bauen sie ab, körperlich und geistig“, sagt Glössner.
Körperlich sei sie jedoch, abgesehen von einer kleinen Arthrose, nach wie vor gesund. Für die Schauspielerin sind es vor allem die Abschiede und ein zunehmender Weltschmerz, die das Leben im Alter für sie einsam machen. „Angst hab ich nicht, aber es wird immer schwieriger, das Elend des Weltgeschehens zu ertragen.“

Grenzen und Fantasie
Neben den Ängsten widme sich Gerhard Meister spielerisch auch den Freiheiten und Abhängigkeiten des Alterns, humorvoll werden die Grenzen thematisiert. „Man muss es nicht so ganz ernst nehmen, sondern es soll unsere Fantasie anregen, um weiterzudenken“, so die Schauspielerin. Das Stück drehe sich auch darum, „das man sich Dinge erlauben darf, die vielleicht Grenzen sprengen und so schlüpfen Glössner und Krüger in die Rollen von Julia und Romeo.
In einer Szene soll ein 112 Jahre alter Mann eine zwölfjährige heiraten – „einfach so total überspitzt“, kommentiert Glössner, „aber umgekehrt sind all diese Fantasien gar nicht möglich, weil umgekehrt gibt’s klare Grenzen, also die Frau kann nicht Jahrzehnte älter sein als der Mann, das funktioniert in den allerwenigsten Fällen. Aber wenn ein Mann Jahrzehnte älter ist als eine Frau, dann wird’s überall akzeptiert“, so Glössner über diese Fragestellungen, die der Autor auf eine „witzige Art und nicht moralisierend“ thematisiert.
Gegen manches habe sich die Schauspielerin aber auch gewehrt. „Der Gerhard Meister hat dann geschrieben: Ja mit 35 Jahren Altersunterschied, da ist Schluss und dann kam ein Satz: Da lässt sich der körperliche Verfall einer Frau nicht mehr verbergen oder so irgendwas hat er geschrieben. Ich hab gesagt, das sag ich nicht. Ich bin 80, ich leide überhaupt nicht unter einem körperlichen Verfall, ich bin schlank und hab immer noch die Figur, die ich mit 20 hatte. Das sag ich nicht, das ist diskriminierend“, erzählt Glössner.
Sie selber würde sie sich dennoch „aus Fragen des guten Geschmacks“ nicht auf einen 40 Jahre jüngeren Mann einlassen. „Es gibt ja sehr gebildete und intelligente junge Männer – also ich kann deren Gesellschaft durchaus genießen oder mich anregen lassen zu neuen Ideen – aber mich körperlich so jemandem auszusetzen, das würde ich einfach aus Fragen des guten Geschmacks nicht.“
„Späte Spiele“ (von Gerhard Meister, Inszenierung: Bastian Kabuth) Premiere am Freitag, 19.30 Uhr, Vorarlberger Landestheater.