Achtenswertes Motiv: Strafmilderung für Klima-Aktivisten

EXTINCTION REBELLION VORARLBERG
Im Juni 2022 klebten sich Mitglieder von „Extinction Rebellion“ vor dem Landhaus fest. Strafe für ein Mitglied nun herabgesetzt. Bewegung erfreut über ENtscheidung
Sie kleben sich fest, besprühen Gebäude und Gemälde mit Farbe oder blockieren den Straßenverkehr: Um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, setzen Umweltaktivisten teilweise auf radikale Formen des Protests – und nehmen dafür bewusst Verwaltungsstrafen in Kauf. Solange bei den Aktionen niemand gefährdet und nichts beschädigt wird, sind die Strafen recht überschaubar. Eine juristische Entscheidung mit Symbolcharakter erging kürzlich am Landesverwaltungsgericht Vorarlberg. Dieses gewährte einem Aktivisten Strafmilderung wegen achtenswerter Beweggründe. Insidern zufolge dürfte dies eine österreichweite Premiere sein.
Die Aktion, um die sich der vorliegende Fall dreht, datiert vom Juni des vergangenen Jahres. Damals klebten sich drei Mitglieder der Klimaschutz-Bewegung „Extinction Rebellion“ (zu Deutsch: Aufstand gegen das Aussterben) an einen symbolischen Verhandlungstisch vor dem Landhaus fest. Als Grund für die Aktion nannte die Bewegung den Umstand, dass das Land im Juni 2019 den Klimanotstand ausgerufen habe, die Landesregierung jedoch keine der Maßnahmen eingeleitet habe, die vom BürgerInnenrat „Klima-Zukunft“ im Jahr 2021 erarbeitet worden seien.
Die Polizei war damals schnell zur Stelle, löste die drei Klimaschützer vom Tisch ab und erstattete Anzeige. Denn laut Gesetz dürfen während einer Landtagssitzung im Umkreis von 300 Metern rund um das Landhaus keine Versammlungen stattfinden.

Extinction Rebellion Vorarlberg
Neben der bekannten Klimaschutzaktivistin und Sprecherin der „Letzten Generation“, Marina Hagen-Canaval, legte auch ein 62-jähriger Pensionist Rechtsmittel gegen die Strafverfügung in Höhe von 70 Euro ein. Die Bezirkshauptmannschaft gab dem Einspruch allerdings keine Folge. Die Aktivisten brachten daraufhin eine Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht (LVwG) ein. Im Fall des 62-Jährigen liegt nun eine Entscheidung vor.
40 statt 70 Euro
In seiner Beschwerde machte der Klimaschützer einen weiteren Milderungsgrund geltend. So habe die Behörde nicht berücksichtigt, dass selbstlose, ehrhafte und dringende Beweggründe Anlass für sein Verhalten gewesen seien. Er habe nämlich beabsichtig „die gewählten Volksvertreter darin zu bestärken, alle erforderlichen gesetzlichen und strukturellen Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe schnellstens in die Wege zu leiten; dies auch vor dem Hintergrund, dass das Land Vorarlberg bereits am 4. Juni 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat“.
Das LVwG sah den ins Treffen geführten Milderungsgrund der achtenswerten Beweggründe als gegeben an und minderte die Geldstrafe von 70 auf 40 Euro. Eine weitere Herabsetzung der Strafe komme jedoch aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht infrage, heißt es in der Entscheidung.

Einstellung beantragt
In der mündlichen Verhandlung bestritt der Pensionist zudem, gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Er habe lediglich vor dem Landhaus Informationen verteilt, was noch keine unzulässige Versammlung darstelle. Selbst wenn eine Versammlung angenommen werde, sei sein Verhalten nicht strafbar gewesen, meinte der Klima-Aktivist. Er berief sich dabei auf Paragraf 6 des Verwaltungsstrafgesetzes. Dieser besagt, dass eine Tat nicht strafbar ist, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist. Für den Aktivsten liegt angesichts der Klimakatastrophe genau ein solcher Notstand vor. Er verwies diesbezüglich auch auf eine Entscheidung eines deutschen Gerichtes, das einen Baumbesetzer wegen des Klimanotstands vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen hat.
Zudem brachte der Pensionist vor, dass sich die Republik mit Bundesverfassungsgesetz vom 27.11.1984 zum umfassenden Umweltschutz bekannt habe. Im Hinblick auf das Versagen von Bund und Ländern müsse es zulässig sein, auch innerhalb der Bannmeile für den Klimaschutz aufzutreten, so die Rechtsmeinung des anwaltlich vertretenen Aktivisten. Mit seinem Antrag, das Verfahren deshalb einzustellen bzw. von einer Strafe abzusehen, blitzte er jedoch ab. Das Gericht begründete dies damit, dass sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Beschwerde nur das Strafausmaß bekämpft wurde und der Schuldspruch somit rechtskräftig sei.
Reaktion
Für die Umweltaktivistin und Sprecherin der „Letzten Generation“, Marina Hagen-Canaval, zeigt die Entscheidung, dass die Proteste „legitim und der Notsituation angemessen sind“. Das Gericht habe „mit dem Anerkennen des Milderungsgrundes die Ausrufung des Notstandes juristisch noch mal unterstrichen“. Hagen-Canaval war bei der Aktion selbst dabei. Auch sie erhielt eine Geldstrafe. Da ihr die Behörde auch die Leitung der Versammlung vorwirft, muss sie 140 Euro zahlen. Sie hat die Strafe der Höhe und dem Grunde nach beeinsprucht, das Verfahren läuft noch. Der dritte Aktivist zahlte die 70 Euro, für ihn ist die Sache somit erledigt.