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„Wenn sich Verzweiflung breit macht, ist es zu spät“

10.06.2023 • 23:00 Uhr
In der letzten Sommersaison verzeichnete die Bergrettung Vorarlberg 233 Boden- und 475 Lufteinsätze. Es werden tendenziell von Jahr zu Jahr mehr.<br><span class="copyright">Stefan Fritsche Alpine Photographie</span>
In der letzten Sommersaison verzeichnete die Bergrettung Vorarlberg 233 Boden- und 475 Lufteinsätze. Es werden tendenziell von Jahr zu Jahr mehr.
Stefan Fritsche Alpine Photographie

Bergretter Klaus Drexel über Gefahren beim Wandern, die richtige Vorbereitung und häufige Unfallursachen.

Vor einem Jahr mussten im Kleinwalsertal 99 Schüler und acht Lehrer mit dem Hubschrauber gerettet werden, da ihnen die gewählte Route zu anspruchsvoll wurde. Die Rechnung machte rund 13.300 Euro aus. Wurde die Rechnung anstandslos bezahlt, und wie sieht die Bezahlmoral grundsätzlich aus? Klaus Drexel: Die Rechnung wurde bezahlt, ja. Grundsätzlich sieht es gut aus mit der Bezahlmoral. Bislang gab es da keine Probleme. Vielleicht ändert sich das jetzt mit der Teuerung.

Wie setzen sich diese Kosten zusammen? Das Teuerste wird der Hubschrauber sein.
Drexel: In der Regel ist der Hubschrauber das teuerste Einsatzmittel, ja. Und es kommt natürlich darauf an, wie viele Leute im Einsatz waren und wie lange.

Was passiert mit dem Geld?
Drexel: Das Geld fließt in unsere Stützpunkte. Unsere Fahrzeuge und die ganze Ausrüstung müssen ja irgendwie finanziert werden.

Kann man sagen, wer öfter Einsätze auslöst, Touristen oder Einheimische?
Drexel: Im Winterbetrieb sind es sicher mehr Urlauber. Ansonsten kann man das nicht pauschal sagen. Wir hatten letztes Wochenende zwei Mountainbikeunfälle, das waren zwei Dornbirner.

Zur Person

Klaus Drexel

Alter: 49 Jahre

Wohnort: Dornbirn

Familie: verheiratet, zwei erwachsene Kinder

Beruf: Bauleiter

Mit dem Trend zum Wandern, Bergsteigen und E-Biken, der in der Pandemie nochmals so richtig explodiert ist, zieht es auch immer mehr Unerfahrene in die Berge. Wie sehen Sie diese Entwicklung persönlich, und was bedeutet das für die Bergrettung?
Drexel: Wir sind da, um Menschen zu retten, egal ob Unerfahrene oder Profis. Übrigens passieren auch Letzteren Unfälle. Es ist natürlich mehr los in den Bergen, da es mittlerweile viele verschiedene Freizeitaktivitäten gibt. Einen Anstieg an Einsätzen verzeichnen wir beispielsweise bei den Paragleitern. Spürbar ist auch, dass die Menschen jetzt öfters abseits der üblichen Wege unterwegs sind. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Routen vermehrt aufgezeichnet und auf Portale hochgeladen werden. Das ist mit Vorsicht zu genießen. Was für den einen eine lockere Runde ist, kann für den anderen schon eine Hausnummer zu groß sein. Man sollte die Quellen im Internet immer kritisch hinterfragen.

Wie und wo soll man sich denn am besten über Wander- und Kletterrouten informieren?
Drexel: Wir empfehlen, Kartenmaterial beim Tourismus- oder Bergführerverband anzufordern.

Es sind immer mehr mit Fahrrad in den Bergen unterwegs. Nehmen die Unfälle zu?
Drexel: Ich möchte E-Bikes nicht verurteilen, aber sie verleiten natürlich dazu, dorthin zu fah­ren, wo man normalerweise nicht hinkommt. Es macht einen Unterschied, ob man schon öfters mit einem Mountainbike unterwegs war oder zum ersten Mal ins Gelände fährt. Stürze mit dem Mountainbike am Berg sind jedenfalls unangenehm.

Was sollte man unbedingt tun, bevor man in die Berge geht?
Drexel: Da verweise ich einmal mehr den Peak-Bergcheck (siehe Factbox weiter unten). Den sollte man unbedingt verinnerlichen. Peak steht für Planung, Ausrüstung und Kontrolle. Und bitte das Handy mitnehmen. Denn ohne Handy kein Notruf.

Klaus Drexel <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Klaus Drexel Klaus Hartinger

Was sind die häufigsten Unfall­ursachen?
Drexel: Das ist sicher die Selbstüberschätzung. Wenn man müde und unkonzentriert ist, stolpert man eher. Und das kann am Berg böse ausgehen.

Wann ist der richtige Moment, um die Bergrettung zu rufen?
Drexel: Wenn sich Verzweiflung breitmacht, ist es wahrscheinlich schon zu spät. Deshalb ist der Peak-Check so wichtig. Wenn ich den gewissenhaft mache, komme ich wahrscheinlich gar nicht in so eine Situation. Außer es passiert ein Unfall.

Gib es im Frühsommer spezielle Gefahren, auf die Wanderer und Bergsteiger achten müssen.
Drexel: Ja, im Hochgebirge können Wege noch bis in den Sommer hinein von Schneefeldern bedeckt sein. Gefahrenpoten­zial birgt auch das Queren von schneeüberdeckten Bächen. Da sollte man aufpassen.

Bergrettung Vorarlberg <span class="copyright">Stefan Fritsche Alpine Photographie</span>
Bergrettung Vorarlberg Stefan Fritsche Alpine Photographie

“Selbstüberschätzung ist eine große Gefahr. Wenn man müde oder unkonzentriert ist, stürzt man eher. Das kann am Berg böse ausgehen.”

Klaus Drexel – Bergrettung

Wie schaut es mit Nachwuchs aus, hat die Bergrettung genug aktive Mitglieder?
Drexel: Wir sind sehr zufrieden. Wir haben genug Leute, und es kommen immer wieder welche nach. Wir sind auch gut vernetzt unter den Ortsstellen. Wenn es mal bei einem Einsatz knapp werden sollte, unterstützen sich die benachbarten Ortsstellen gegenseitig.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei der Bergrettung?
Drexel: Das kann ich jetzt nicht genau sagen, aber in unserer Ortsstelle (Dornbirn) sind es 10 bis 15 Prozent.

Warum sind Sie bei der Bergrettung?
Drexel: Ich denke, jeder Ehrenamtliche möchte in irgendeiner Form mithelfen und etwas zur Gesellschaft beitragen. Da ich gerne in den Bergen unterwegs bin, ist das die ideale Kombination für mich. Ich bin jedenfalls nicht Bergretter wegen der Fernsehserie „Die Bergretter“ (lacht).

Die wird ja sehr wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Drexel: Das stimmt allerdings. Das ist im Prinzip eine One-Man-Show. Unser Job ist aber genau das Gegenteil. Das ist Teamarbeit. Man muss sich aufeinander verlassen können.

Bergrettung Vorarlberg <span class="copyright">Stefan Fritsche Alpine Photographie</span>
Bergrettung Vorarlberg Stefan Fritsche Alpine Photographie

Wie gehen die Bergretter mit tragischen Ereignissen um?
Drexel: Schicksale beschäftigen uns natürlich. Wichtig ist es, darüber zu reden. Wir haben die Möglichkeit, das Kriseninterventionsteam anzufordern. Vielleicht wären regelmäßige Supervisionen sinnvoller.

Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders beschäftigt hat.
Drexel: Darüber möchte ich eigentlich nicht reden. Ich finde es pietätlos über schlimme Einsätze zu sprechen, vor allem den Angehörigen gegenüber.

Das verstehen wir. Wie sieht es mit positiven Erlebnissen aus?
Drexel: Jeder Einsatz, bei dem wir jemanden retten können, ist für mich ein schöner Einsatz. Egal ob das ein Lawineneinsatz oder eine Suchaktion ist. Ich freue mich, wenn es den Leuten gut geht. Und wenn derjenige, den wir suchen, schon längst auf einer Couch liegt, passt das auch.

Stört Sie das nicht?
Drexel: Nein, das ist part of the game.

PEAK-Bergcheck

Der PEAK-Bergcheck wurde von der Initiative Sicheres Vorarlberg zusammen mit der Bergrettung entwickelt. Die Buchstaben stellen dabei die einzelnen Schritte vor und während der Tour dar: Planung: (Was habe ich vor?) Einschätzung (Ist die geplante Wanderung für mich und meine Gruppe geeignet?)

Ausrüstung (Habe ich das Richtige dabei? )

Kontrolle (Bin ich noch gut unterwegs?). Wichtig ist dabei, immer ehrlich zu sich selbst zu sein und sich nicht zu überschätzen oder die Tour zu unterschätzen.

www.bergrettung-vorarlberg.at