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Die einzigartigen Augenbrauen meiner Tochter

15.07.2024 • 11:13 Uhr
Neue Kopfkino Salmhofer Kolumne
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Ich bin verwundert, oder nein – besser gesagt: Ich bin verärgert. Verärgert darüber, wie fixiert so viele Menschen auf äußere Erscheinungsmerkmale sind und sich anmaßen, definieren zu dürfen, was schön und was nicht schön ist. Für jemanden, dessen Selbstbewusstsein nicht sehr stark ist oder sich noch entwickelt, kann es schmerzhaft sein, wenn er irgendwo am Körper nicht den gängigen Normen entspricht. Zu dick, zu dünn, zu schmale Lippen, kleine Äderchen am Bein, zu große Ohrläppchen, der zweite Zeh, der über den großen Zeh hinausragt – es findet sich immer irgendetwas, das nicht passt und passend gemacht werden soll. Meine Tochter hat buschige Augenbrauen. Sie pflegt sie, zupft sie und beschäftigt sich sehr viel damit, weil ihr immer wieder gesagt wird, dass sie viel zu dicke Augenbrauen hat. Himmel! Augenbrauen!! Kinder in der Schule sprechen sie darauf an, lachen sie aus, und sogar Erwachsene fühlen sich teilweise bemüßigt, ihr gute Ratschläge zu geben, weil Brauen einfach schmal zu sein haben. Meine Tochter hat es, weil sie schon so genervt war, ausprobiert. Aber sie hat sich mit einem Strich über dem Auge einfach nicht gefallen. Gut so, sie bleibt bei ihrem (wie ich finde extrem wunderschönen) Unikat. Ich habe mit ihr das Internet durchforstet und ihr Frauen gezeigt, die genau wie sie dichte, dunkle Augenbrauen stolz präsentieren. Das hat ihr gefallen, vor allem, weil es Models und Schauspielerinnen waren, die genau dadurch einen besonderen ­Ausdruck im Gesicht bekommen.

Ich selbst bin aber noch immer entgeistert. Habe ich mir in diesem Alter jemals Gedanken über meine Brauen gemacht? Ich meine nein, und bin froh darum. Dafür fing ich an, meine Beine zu rasieren und weißen Lippenstift und schwarzen Kajal zu verwenden. Diesen Wasserleichenstyle fanden wir damals ziemlich lässig.

Schönheit liegt also im Auge des Betrachters, und diese Betrachtungsweise verändert sich sogar immer wieder. Lassen wir uns doch nicht von anderen vorschreiben, was wir als schön empfinden sollen. Und vor allem: Hören wir auf, ständig das Aussehen anderer zu kommentieren, es sei denn, der- oder diejenige hat etwas zwischen den Zähnen. Unsere Welt ist wunderschön in ihrer Vielfältigkeit. Ich würde es unfassbar fad finden, wenn wir lauter Kim Kardashians zu sehen bekämen. Wir feiern die Brauen meiner Tochter, weil sie ein kleiner Teil ihrer Einzigartigkeit sind. Da fährt der Zug drüber – und nicht der Rasierer.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.