“Washington zeigt sich rau und aufgeheizt”

Maximilian Behrle (29) absolvierte ein Praktikum an der Österreichischen Botschaft in Washington und berichtet für die NEUE vor Ort über den immer heißer entbrennenden US-Wahlkampf.
Wie kam es dazu, dass Sie als Vorarlberger ein Praktikum in Washington absolvierten?
Maximilian Behrle: Nun ja, ich habe mich beworben und eine Zusage erhalten. Grundsätzlich wollte ich einfach nach fünf Jahren im Landhaus Bregenz und im Rathaus Feldkirch Berufserfahrung im Ausland sammeln. Außerdem habe ich als Doppelstaatsbürger eine enge Verbindung nach Amerika, da Teile meiner Familie dort leben.
Welche Aufgaben haben Sie während Ihres Praktikums übernommen, und wie haben diese Ihre Sicht auf die internationale Diplomatie beeinflusst?
Behrle: Ich war im „Presse- und Informationsdienst“ der Botschaft tätig. Es handelte sich vordringlich um klassische Öffentlichkeitsarbeit – also Presseberichte für das Ministerium in Wien, Social Media und Homepage, Abendveranstaltungen bildlich festhalten und (politische) Veranstaltungen in den örtlichen Ministerien besuchen und darüber Bericht erstatten. Dazu kommen ausgewählte Outreach-Projekte. In meiner Zeit waren das beispielsweise das „EU Open House“, also ein Tag der offenen Tür aller Botschaften der Europäischen Union oder das „Embassy Adoption Program“, eine Art Bildungskooperation mit ortsansässigen Grundschulen. Es war lehrreich, nach all der Theorie im Studium endlich mal die Praxis zu erleben. Diplomatie ist nicht immer nur Hinterzimmerverhandlung und Geiselbefreiung, sondern vielmehr Beziehungspflege.
Wie würden Sie das politische Klima in Washington beschreiben, insbesondere in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen?
Behrle: Rau und aufgeheizt. Washington D.C. ist eine hochpolitische Blase. Beinahe alles dreht sich in irgendeiner Form um Politik. Irritiert allerdings hat mich der Umstand, dass es keine politische oder gesellschaftliche Mitte mehr zu geben scheint. Entweder dein Gegenüber ist im Diskurs derselben Meinung wie du, oder dein Gegenüber ist dein Feind. Die Fähigkeit, Pluralismus zu akzeptieren und bestenfalls zu fördern, ist scheinbar verloren gegangen.
Welche Unterschiede haben Sie zwischen der österreichischen und der amerikanischen politischen Kultur wahrgenommen?
Behrle: Politik in den USA beinhaltet einen gewissen Entertainment-Faktor. Die Leute lesen keine Artikel oder schauen keine Beiträge über „trockene“ Politthemen. Alles, was geschieht, wird von den Medien größer gemacht, als es ist, um die entsprechenden Klickzahlen und Aufrufe zu generieren. Außerdem unterscheidet sich die Wahlkampfführung drastisch von der Art des Wahlkampfs, die wir in Österreich gewohnt sind.

Zur Person
Maximilian Behrle ist 29 Jahre alt und arbeitet im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. An der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hat der österreichische und US-amerikanische Doppelstaatsbürger Politikwissenschaft sowie Internationale Beziehungen und Europastudien studiert. Seine beruflichen Erfahrungen sammelte er unter anderem im Amt der Vorarlberger Landesregierung, im Rathaus von Feldkirch sowie bei der Österreichischen Botschaft in Washington, D.C.
Wie wird die österreichische Außenpolitik in Washington wahrgenommen, insbesondere im Kontext der US-amerikanischen Interessen?
Behrle: Für mein Dafürhalten war es so: Es gibt unterschiedlichste Gesprächsformate zwischen den beiden Staaten, die von beiden Seiten geschätzt und genutzt werden. Wichtiger, so mein Eindruck, waren allerdings die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen einigen österreichischen Playern und den jeweils dafür relevanten Bundesstaaten. Man würde gar nicht glauben, wie viele österreichische Unternehmen in den USA verwurzelt sind und wie viele Menschen täglich mit österreichischen Produkten in Berührung kommen.
Welche Rolle spielt die österreichische Botschaft in Washington während eines Präsidentschaftswahlkampfs?
Behrle: Die Botschaft spielt für den Wahlkampf selber natürlich keine Rolle, das machen die Amerikaner schon selber. Was die Botschaft macht, ist ein genaues Beobachten der Lage, um diese möglichst unverfälscht und mit Hintergrundinformationen angereichert über einen direkten Draht nach Wien weiterzugeben. Dies ist wichtig für das Außenministerium, um immer aktuellste Lagebilder zu erhalten. Für die tiefgründigen Politikanalysen steht die politische Abteilung zur Verfügung.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf? Gibt es Aspekte, die Ihnen besonders aufgefallen sind?
Behrle: Noch vor einigen Wochen hätte ich gesagt: Donald Trump wird Präsident, das Attentat auf ihn war sein Ticket ins Oval Office. Dass nun der amtierende Präsident allerdings die Reißleine gezogen hat und seine Vizepräsidentin, Kamala Harris, an seiner statt in den Ring steigt, hat alles auf den Kopf gestellt. Die hart umkämpften Staaten – die sogenannten Swing States – sehen die beiden in Umfragen seit Wochen Kopf an Kopf. Das war zu Beginn des Jahres noch undenkbar. Was allerdings schon auffällt, ist, dass sich Trump schwer tut, über Politik zu sprechen. Der gesamte Wahlkampf war darauf ausgerichtet, Joe Biden als alten, senilen Mann dastehen zu lassen. Und das tat er ja im Grunde eh schon selber. Dass es Trump nun aber mit einer deutlich jüngeren Frau zu tun hat, die ihm rhetorisch überlegen ist, nagt an ihm.

Wie beurteilen Sie die erste TV-Debatte zwischen Harris und Trump?
Behrle: Harris hat Trump regelmäßig gereizt, was manchmal wütende oder abschweifende Antworten hervorrief. Er beschuldigte die Vizepräsidentin und die Biden-Administration, für Inflation, hohe Kriminalität und illegale Einwanderung verantwortlich zu sein, verlor sich aber regelmäßig in Nebenthemen und wiederholte haltlose Behauptungen. Harris gelang es, den demokratischen Vorwurf gegen Trump – dass er selbstbezogen, ungeeignet und von seinen eigenen Interessen besessen sei – auf eine Weise vorzubringen, wie es dem amtierenden Präsidenten im letzten Debattenauftritt vor etwas mehr als zwei Monaten nicht gelungen war. Ihre Leistung und Trumps oft frustrierte Reaktionen verdeutlichten, wie sich die Dynamik im Wahlkampf seit Bidens Rücktritt verändert hat. Trump wiederum nutzte die Debatte, um Harris als „Marxistin“ zu bezeichnen, die sich als gemäßigte Politikerin tarne, und lenkte das Thema wiederholt auf die US-Südgrenze: Ein Thema, in dem die Umfragen zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler ihm mehr vertrauen als Harris. Dabei wich er oft von den Fakten ab und griff auf widerlegte Behauptungen über Einwanderung zurück.
Inwieweit spüren Sie die gesellschaftlichen und politischen Spannungen, die die USA momentan prägen?
Behrle: Das spürt man durchaus. Es liegt in der Luft. Und da die politische Mitte verloren ging, scheint es nur noch Freund oder Feind zu geben. Es ist Thema beim Abendessen, es ist omnipräsent in den Medien, man spricht beim Friseur darüber, man tastet sich erst politisch ab, bevor man auf eine freundschaftliche Ebene übergeht. Wie gespalten das Land ist, hat sich nicht zuletzt beim versuchten Mordanschlag auf Donald Trump gezeigt.
Abschließend: Wer wird Ihrer Ansicht nach im November das Rennen machen?
Behrle: Aktuell behaupte ich, dass Kamala Harris das Rennen machen wird.