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Gegen Gewalt: “Ich wünschte, ich wäre arbeitslos. Dann weiß ich, es gibt keine Gewalt mehr”

27.11.2024 • 19:55 Uhr
Ifs Gewalt gegen frauen
Nikola Furtenbach im Gespräch.hartinger (2)

Nikola Furtenbach ist Projektleiterin im Gewaltschutz des ifs. Im NEUE-Interview spricht sie über das Abschalten, Wegschauen und Zukunftswünsche.

zur person

Nikola Furtenbach ist eine Sozialarbeiterin und Aktivistin, die sich auf Gewaltprävention spezialisiert hat. Sie leitet das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ in Vorarlberg. Beruflich ist sie beim ifs tätig, wo sie sich intensiv mit sozialpolitischen Themen beschäftigt. Politisch war sie als stellvertretende Bezirksvorsteherin und Spitzenkandidatin der Grünen in Wien-Margareten bis 2020 aktiv.

Wieso beschäftigen Sie sich persönlich so intensiv mit dem Thema Gewalt an Frauen?

Nikola Furtenbach: Ich habe Politikwissenschaften studiert und mich schon während des Studiums relativ intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Mit Themen wie Rollenbildern, und eben auch Gewalt. Ich habe dann einzelne Vorlesungen besucht und fand das Thema total spannend. Die Zahlen haben mich unglaublich erschreckt. Jede dritte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr ein Mal von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen. Da habe ich gemerkt: Man muss was tun. Ich habe es immer irsinnig motivierend gefunden, zu sehen, was alles schon erreicht wurde. Vom ersten Frauenhaus bis zu dem Gewaltschutzgesetz, das wir jetzt haben. Inklusive Betretungsverbot. Solche großen Meilensteine mitzuerleben, ist großartig.

Wie kam die Verbindung zu den Theaterstücken zustande? Haben Sie eine Leidenschaft für das Theater?

Furtenbach: Wir versuchen verschiedene Kanäle zu finden, um das Thema Gewalt in der Gesellschaft sichtbar machen können. Wir versuchen, diese Projekte gemeinsam mit der Bevölkerung zu machen, an dem Freiwillige mitarbeiten können. Theater ist eine Form, mit der man die Thematik Gewalt extrem gut präsentieren oder sichtbar machen kann. Man versteht das Thema einfach ganz anders, wenn man diese Rollen und gespielten Abläufe vor sich sieht. Das hat eine andere Wirkung, als wenn jemand einen Vortrag mit einem Flipchart hält. Im Anschluss an die Vorstellungen sind auch immer Experten und Expertinnen vor Ort, die mit den Teilnehmenden das Erlebte und Gesehene besprechen. Bei unserem Theaterstück „die Zelle“ war auch immer die Polizei vor Ort, damit die Frage „Was passiert eigentlich, wenn ich im Falle von Gewalt die Polizei rufe?“, beantwortet werden konnte.

Also ist das Theater einfach eine zusätzliche Ausdrucksform?

Furtenbach: Ja, genau. Es ist eine Methode, das Thema Gewalt sichtbar zu machen. Vor drei Jahren sind wir beim Dreiländermarathon mitgerannt, um auch im Rahmen des Sports ein sichtbares Zeichen zu setzen. Die Leute, die mitgerannt sind, trugen ein T-Shirt, auf dem das Thema Gewalt thematisiert war. An das erinnere ich mich gerne zurück, es ging nämlich nicht darum, Leistung zu erbringen, sondern eher darum, möglichst langsam zu sein, damit die T-Shirts möglichst lange gesehen wurden und die Schrift gelesen werden konnte. (lacht)
Wir versuchen unterschiedliche Zielgruppen an Menschen zu erreichen. Wir haben auch schon einen Gottesdienst zum Thema Gewalt an Frauen und Zivilcourage veranstaltet. Es ist außerdem immer wieder schön zu sehen, wie viele Geschäfte, oder auch Banken sofort bereit sind, unsere Plakate aufzuhängen, oder bei Aktionen mitzumachen.
Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum ich diesen Job mache. Man sieht, was miteinander alles bewegt werden und weitergebracht werden kann und wie viele Menschen sich da eigentlich beteiligen.

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Sie waren vor längerer Zeit bei der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ tätig. Wie kommt man vom Tierschutz zum Thema Frauenrechte?

Furtenbach: Ich denke, das hatte auch damit zu tun, dass ich mitbekommen habe, wo Unrecht passiert. Ich wollte weiterhin meine Stimme erheben. Ich hatte mich vor meiner Tätigkeit bei den „Vier Pfoten“ schon mit Frauenrechten beschäftigt, weil ich das Thema wahnsinnig spannend finde. Der Job bei der Tierschutzorganisation war eigentlich eher ein Zufall. Ich habe in meiner Zeit dort aber irrsinnig viel gelernt. Vor allem, wie man solche schweren Themen positiv ansprechen und ein positives Zeichen setzen kann. Mein größeres Anliegen war aber immer die Gewaltprävention, deswegen bin ich schlussendlich auch wieder dazu zurückgekehrt.

Auch wenn Sie nicht mit der direkten Beratung konfrontiert sind, ist es doch ein schweres Thema. Wie schaffen Sie es, abzuschalten?

Furtenbach: Sicher beschäftige ich mich viel mit dem Thema. Ich glaube aber tatsächlich, dass das Abschalten in diesem Beruf nicht viel anders ist, als in anderen, die schwierig sind. Ich persönlich gehe viel in die Natur und mache Sport im Freien, um abzuschalten.

Fiel Ihnen das anfangs schwerer, als mittlerweile?

Furtenbach: Natürlich lernt man mit den Jahren, einen Umgang mit diesem Thema zu finden. In meiner Zeit in Wien gab es noch keine Statistik, welche die Österreichischen Femizide zählt. Das wurde lediglich aus einer Analyse aus Zeitungsartikeln heraus gebastelt.
In meinem allerersten Berufsjahr war das eine meiner Aufgaben. Ich musste quasi alle Zeitungen nach Femiziden absuchen und diese dokumentieren. Das war heftig, im Vergleich dazu, eine positive Veränderung in der Gesellschaft bewirken zu können.
Wenn zum Beispiel nach dem Theaterstück „die Zelle“ Besucherinnen auf mich zukommen und sagen „Danke, dass Sie meine Geschichte erzählen“, dann sind das extrem motivierende Situationen. Man weiß, dass man etwas Wichtiges und Richtiges tut und auch etwas bewirkt.

Wird man bei diesen schweren Themen nicht irgendwann frustriert?

Furtenbach: Ich glaube, man darf den Fokus nicht nur auf frustrierenden Themen haben, sondern auf dem, was sich verändert. Man muss vor allem die positiven Momente erleben. Das ist außerordentlich wichtig in diesem Job.

“Viele Menschen haben immer noch das Gefühl, dass Gewalt Privatsache ist.”

Nikola Furtenbach

Wieso schauen viele Menschen, wenn es um das Thema Gewalt geht weg?

Furtenbach: Ich glaube, viele Menschen haben noch immer das Gefühl, dass das Privatsache ist und einen nichts angeht. Die Leute haben auch Angst vor den Konsequenzen, wenn sie sich einmischen. Vor allem, wenn es ein Umfeld ist, das man persönlich kennt. Zivilcourage ist Arbeit.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf Ihre Arbeit?

Furtenbach: Dass Gewaltprävention abgesichert wird, sodass wir langfristig arbeiten und planen können, nicht nur von Jahr zu Jahr. Mein langfristiger Wunsch ist es, dass ich arbeitslos bin. (lacht) Denn wenn ich arbeitslos bin, weiß ich, es gibt keine Gewalt mehr.

Ihre Mutter war selbst lange Zeit in der Gewaltprävention tätig. Inwiefern hat Sie das beeinflusst?

Furtenbach: Ich wurde sehr stark von ihr beeinflusst. (lacht) Das war vermutlich auch ein Mitgrund, warum ich damals bei den „Vier Pfoten“ aufgehört habe.
Von ihr habe ich gelernt, mit einer absoluten Ruhe und Sachlichkeit an die Themen heranzugehen. Sie hatte immer einen sehr starken Fokus auf das Miteinander und darauf, sich gegenseitig zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu finden. Auch über Einrichtungen und Institute hinweg.

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