Vorarlberg

“Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen”

06.09.2025 • 12:04 Uhr
"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"
Karlheinz Kopf ist überzeugt, dass es auf dem Weg aus der Inflationsspirale eine gemeinsame Anstrengung aller in Österreich braucht. Hartinger (6)

Interview. WKV-Präsident Karlheinz Kopf fordert Bürokratieabbau, ein Maßnahmenpaket gegen den Fachkräftemangel sowie mehr Zurückhaltung bei KV-Abschlüssen und staatlich finanzierten Leistungen.

Warum treffen wir uns heute bei der Sportbau Walser GmbH in Altach?

Kopf: Hier befindet sich neben der Wirtschaftskammer mein zweiter Arbeitsplatz in Vorarlberg. Ich bin seit über dreißig Jahren Unternehmer, bin als Miteigentümer dieses Unternehmens auch in meiner Zeit in Wien unternehmerisch tätig geblieben, wenn auch kaum operativ vor Ort. Heute bin ich wieder einer von zwei Geschäftsführern.

Viele Betriebe in Vorarlberg klagen über hohe Energie- und Rohstoffpreise. Was kann die Politik tun, damit die Kosten für Unternehmen tragbar bleiben?

Kopf: Die Energiepreise wurden bis vor kurzem vom Staat gestützt, jetzt ist die Energiepreisstützung ausgelaufen. Damit haben wir einen zusätzlichen Kostenschub und so auch einen kurzfristigen Inflationsschub bekommen. Das tut weh und wirkt hinten hinaus erneut auf indexierte Preise, Mieten etc.

Bei den Energiepreisen müssen wir sehr aufpassen, dass durch den enormen Ausbau der dezentralen erneuerbaren Energieerzeugung und den dadurch erforderlichen Netzausbau nicht der nächste Preisschub erfolgt. Da braucht es eine Effizienzsteigerung und neue Finanzierungsformen, z.B. über die Mobilisierung von privatem Kapital.

"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"
Sportbau Walser in Altach ist für Kopf der „zweite Arbeitsplatz neben der Wirtschaftskammer“.

Bei den Lebensmittelpreisen ist oft vom „Österreich-Aufschlag“ die Rede. Kann Österreich da selbst etwas tun, oder ist das EU-Sache? Sollte man in die Preise eingreifen?

Kopf: Direkte politische Preiseingriffe wären sicher der falsche Weg. Das zeigen Beispiele in anderen Ländern: Bei willkürlichen Eingriffen in betriebswirtschaftlich kalkulierte Preise gibt es gewisse Produkte irgendwann einfach nicht mehr. Das erlebt Ungarn gerade. Der sogenannte Österreich-Aufschlag hängt offenbar mit der Belieferungspraxis internationaler Hersteller zusammen, die kleinere Länder anders behandeln als größere. Da kann Österreich wenig tun. Die EU hätte hier wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten, solche Praktiken zu unterbinden, und das wird auch versucht. An der gestiegenen Inflationsrate sind die Lebensmittel-Preise allerdings nur geringfügig beteiligt.

Ist es eine Gefahr für die Wertschöpfung im lokalen Handel, wenn Vorarlberger zunehmend im benachbarten Deutschland einkaufen?

Kopf: Großflächig glaube ich das nicht, denn es rechnet sich maximal bei Großeinkäufen. Das Bewusstsein, lokal zu kaufen, ist stark. Und schließlich bietet der heimische Handel eine Dichte an Geschäften, wie in keinem anderen Land. Das ist für die Konsumenten vorteilhaft im Hinblick auf die Erreichbarkeit, verursacht aber natürlich höhere Strukturkosten.

"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"

Zur Konjunktur: Wir sind in einer schwierigen Phase, manche sprechen von Rezession. Wie stark trifft das Vorarlberg als exportorientiertes Land?

Kopf: Die konjunkturelle Entwicklung betrifft nicht nur Österreich und Vorarlberg. Europa ist betroffen, China kämpft ebenfalls. Vorarlberg war in den letzten Jahren stärker betroffen, weil wir eine große Industriedichte haben. Das ist grundsätzlich ein Vorteil, weil die Industrie Dynamik, Entwicklung und Innovation bringt. Wenn aber Industrieprodukte wie zuletzt eine Flaute erleben, ausgelöst durch Nachfrageschwächen, wie z.B. im Automotive-Sektor, oder durch hohe Rohstoffpreise, dann spürt man das. Die Exportorientierung ist für eine kleine Volkswirtschaft an sich ein Vorteil. Wenn im Ausland die Nachfrage schwächelt, etwa in China oder in vielen Ländern Europas, wird das kurzzeitig zum Nachteil.

Dazu kommt in Österreich ein strukturelles Problem: In der Spirale aus Inflation und Lohnerhöhungen gab es für die Arbeitnehmer Lohnabschlüsse, die aus meiner Sicht unverantwortlich hoch waren und die negative Produktivitätsentwicklung in den Betrieben zu wenig berücksichtigt haben. Gleichzeitig wurden staatliche Maßnahmen, die das Nettoeinkommen erhöht haben – Senkung der Lohnsteuertarife, Abschaffung der kalten Progression, automatische Valorisierung von Sozialleistungen – zu wenig berücksichtigt. Insgesamt sind die Lohnstückkosten dadurch stark gestiegen, was die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern, gerade bei Industrieprodukten, dramatisch verschlechtert hat.

"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"

Diese strukturellen Nachteile wiegen schwerer. Trotzdem haben wir viele Standortvorteile: gut ausgebildete Mitarbeitende, hohe Produktqualität, grundsätzlich eine hohe Produktivität, ein gutes Innovationsökosystem rund um die Fachhochschule und viele Start-ups. Ich hoffe sehr, dass die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen zur Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Für andere Hebel, wie Lohnnebenkostensenkungen, fehlt im Moment das Geld: Jeder Prozentpunkt kostet etwa zwei Komma fünf Milliarden Euro.

Der Bundeskanzler hat angedeutet, Pensionen nicht voll an die Inflation anzupassen, was viel Kritik ausgelöst hat. Andere sagen, wir müssen aus der Lohn-Preis-Spirale heraus.

Kopf: Wenn ich mir bei den KV-Abschlüssen der aktiv Beschäftigten mehr Zurückhaltung wünsche, dann gilt das in gleichem Maße auch für Leistungen, die teilweise oder gänzlich  vom Staat finanziert werden, also Pensionen und Gehälter im öffentlichen Dienst. Die öffentliche Hand hat in den letzten Jahren durch die sehr saloppe Überwälzung der Inflation auf Pensionen und Beamtengehälter den KV-Verhandlern in der Privatwirtschaft einen Bärendienst erwiesen. Jetzt wäre es richtig, den Spieß umzudrehen. Maßvoll, aber es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen.

Sie fordern oft Bürokratieabbau. Lässt sich damit auch bei den Staatsausgaben viel holen?

Kopf: Bürokratie hat zwei negative Auswirkungen. Erstens wird die Wirtschaft dadurch gehemmt: Lange, komplizierte Verfahren und überschießende Meldepflichten verursachen Kosten, Zeitverlust und Ärger. Zweitens produziert jede Regelung auch einen Verwaltungsaufwand in der öffentlichen Hand. Vereinfachung hilft also beiden Seiten: weniger Aufwand in Gemeinden, Bezirkshauptmannschaften, Landesverwaltung und weniger Aufwand und schnellere Erledigungen für die Betriebe.

"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"

Gerade jetzt setzt die Regierung Investitionsanreize, etwa über eine Erhöhung des Investitionsfreibetrags. Das ist okay, nur stehen der Umsetzung zwei Dinge entgegen: Die konjunkturelle Unsicherheit und lange Durchlaufzeiten durch Bürokratie. Das verstärkt die Zurückhaltung.

Welche Maßnahmen braucht es gegen den Fachkräftemangel? Ausbildung, qualifizierte Zuwanderung oder bessere Arbeitsbedingungen?

Kopf: Es braucht das gesamte Paket. Erstens Höherqualifizierung von Arbeitssuchenden, möglichst betriebsnah. Zweitens müssen wir Elementarbildungsdefizite beheben. Das ist kein Kurzfristprogramm, aber notwendig. Drittens Betreuung ausbauen: Kinder- und Altenbetreuung schafft zusätzliche Potenzial, vor allem für Frauen. Viertens Anreize für Ältere: Wer über das Regelpensionsalter hinaus arbeitet, soll steuerlich begünstigt sein.

Ohne Zuwanderung wird es trotzdem nicht gehen, ist aber eine große Herausforderung.  In Europa herrscht fast überall Fachkräftemangel, da ist das Potenzial begrenzt. Und die Rekrutierung in weiter entfernten Ländern ist aufwendig, kulturell fordernd und daher kein Massenprogramm. Dennoch unterstützen wir das mit unserer internationalen Fachkräfteoffensive und dem ExpatService. Mittelfristig können Digitalisierung und künstliche Intelligenz die Produktivität und Effizienz enorm steigern. Das gibt Hoffnung, Defizite beim Arbeitsangebot teilweise kompensieren zu können.

Ältere im Job zu halten ist das eine. Viele tun sich ab einem gewissen Alter aber schwer, nach einem Jobverlust wieder etwas zu finden.

Kopf: Darum braucht es Programme und Anreize, um Leute im Job zu halten, idealerweise im selben Betrieb: Wenn jemand im höheren Alter aus dem Arbeitsmarkt draußen ist, ist es ungleich schwieriger, wieder Fuß zu fassen. Wichtig ist, dass sich das längere Arbeiten für den Einzelnen lohnt. Wer neben der Pension weiterarbeitet, soll nicht am Jahresende bei der Nachveranlagung durch die Steuerprogression eine saftige Nachzahlung aufs Auge gedrückt bekommen.

Wie viel Lohnerhöhung ist verkraftbar, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu torpedieren?

Kopf: Mehr Zurückhaltung würde helfen. Grundsätzlich hält sich die Kammerspitze aber mit Empfehlungen aus den KV-Branchenverhandlungen heraus.

"Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen"

Wie schwierig ist die Vermittlung zwischen Arbeitnehmerinteressen und Unternehmensrealität?

Kopf: Eigentlich ist die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe auch im Arbeitnehmerinteresse, sonst gibt es am Ende weniger Jobs. Das gilt vor allem für viele sehr preissensible Branchen. Deshalb ist es auch sinnvoll, die KV-Verhandlungen branchenweise zu führen. Neben der preislichen Wettbewerbsfähigkeit bestehen aber auch Stärken, wie unsere hohe Innovationskraft, Ausbildungs- und Produktqualität sowie Geschwindigkeit. Vor wenigen Tagen haben wir den Innovationspreis mit dem Land an sieben Unternehmen verliehen – Große und Kleine – mit starken Produktinnovationen, die sich am Markt bewähren. Wenn wir das Ökosystem der Forschung und Entwicklung im Land weiter stärken, bin ich für die Zukunftzuversichtlich. Das passiert etwa an der Fachhochschule oder mit der HSG-Ansiedlung in Dornbirn, alles Bausteine, um die Innovationskraft zu steigern.

Vorarlberg gilt als Land der Gründer. Braucht es zusätzliche Maßnahmen für Start-ups und kleine Unternehmen? Wir sehen ja auch relativ viele frühe Insolvenzen.

Kopf: Es gibt das Gründerservice der Wirtschaftskammer, das beim formalen Gründungsprozess erfolgreich unterstützt. Dazu die Startup Vorarlberg GmbH in der Postgarage in Dornbirn – getragen von Wirtschaftskammer, Wisto, Prisma und der Fachhochschule. Dort werden Start-ups beim Entwickeln des Geschäftsmodells begleitet. Wir haben gerade das Einjahresjubiläum gefeiert, die Rückmeldungen der Start-ups sind sehr positiv. Die meisten Insolvenzen passieren wegen Fehlern in der Gründungsphase. Da kann man helfen. Mangelnde Finanzierung ist ein Thema, aber nicht das Hauptproblem. Erfreulich ist, dass die Gründungen wieder zulegen, deutlich über dem österreichischen Schnitt im ersten Halbjahr. In Vorarlberg liegen wir hier mit 23 Prozent Plus deutlich über dem Österreich-Durchschnitt von knapp zehn Prozent.