Ein „Robin Hood der Arbeiterschaft“ lässt sich nicht mundtot machen

AK-Präsident Bernhard Heinzle findet im Interview mit der NEUE am Sonntag deutliche Worte für die aktuelle Situation im Land. Angesichts von Spitalsreform, Sparmaßnahmen und der bedrohlichen Lage schreckt er auch vor radikalen Forderungen nicht zurück.
Neue am Sonntag: In den Medien formulieren Sie schwere Vorwürfe gegenüber Landeshauptmann Markus Wallner. Warum in derart harten Worten?
Bernhard Heinzle: Ich beneide derzeit keine Spitzenpolitikerin und keinen Spitzenpolitiker. In dieser Situation Entscheidungen zu treffen, ist nicht einfach. Diese Entscheidungen müssen aber getroffen werden. Wir haben jedoch Angst, dass der soziale Frieden gefährdet ist. Meine Bitte ist, die Bevölkerung stärker einzubinden. Um den sozialen Frieden mache ich mir ernsthafte Sorgen.

Neue am Sonntag: Konkret gefragt: Stehen Sie weiterhin dazu, Wallners Stil sei autoritär und er würde Funktionäre mundtot machen?
Heinzle: Nach dieser Aussage habe ich viele Rückmeldungen aus unterschiedlichen Ebenen erhalten, auch von Arbeitgeberseite und aus der Politik. Zum Autoritären: So empfinden wir das in der Arbeiterkammer, das empfinde ich persönlich so. Tragisch ist, dass das mehrere ähnlich sehen. Es ist nicht angenehm, das offen anzusprechen, aber notwendig.
Neue am Sonntag: Mit dem Rücktritt von WKO-Präsident Harald Mahrer rücken Kammern vermehrt ins Visier der Öffentlichkeit. Wie beurteilen Sie seinen Abgang?
Heinzle: Meine persönliche Haltung ist klar. Wer Fehler macht, sollte dazu stehen und Konsequenzen ziehen. Wir leben seit vielen Jahren hundertprozentige Transparenz. Ich übe das Amt als AK‑Präsident mit großer Freude und Leidenschaft aus und hätte gar keine Zeit für einen Nebenjob. Ich habe keine Aufsichtsratsposten und keine Nebeneinkünfte. Das Bild der Lohnerhöhung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wirtschaftskammer war nicht förderlich für die Sozialpartnerschaft. Wer Zurückhaltung einmahnt, muss auch mit gutem Beispiel vorangehen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Neue am Sonntag: Bei der WKO werden Rücklagen von zwei Milliarden Euro kolportiert. Wie hoch sind jene der AK Vorarlberg?
Heinzle: Die Strukturen sind verschieden. In der Wirtschaftskammer gibt es eine Klammer auf Bundesebene, in der Arbeiterkammer hat jedes Bundesland seine eigene Kammer. Die Bundesarbeitskammer hat kein eigenes Geld. Wir sind gesetzlich verpflichtet, Rückstellungen und Rücklagen zu bilden, etwa für Personal oder Wahlen. Österreichweit betragen die Rücklagen der AK 230 Millionen Euro. dies enspricht 57 Euro pro Mitglied. In Vorarlberg haben wir 2,5 Millionen Euro für Bau und Investitionen zurückgelegt, weitere 4,1 Millionen Euro Rückstellungen für künftige Verpflichtungen wie Wahlen oder Personal.
Neue am Sonntag: Als „schwarzer“ AK-Funktionär: Wie überparteilich agieren Sie?
Heinzle: Die Arbeiterkammer agiert überparteilich. Ich gehöre der Fraktion Christlicher Gewerkschafter an. Meine Werte sind christlich-sozial. Grundsätzlich hat die ÖVP diese Werte auch, sie lebt sie aus meiner Sicht derzeit nicht. Wir stehen für Subsidiarität und Eigenverantwortung. Land, Wirtschaftskammer, Gemeinden und Arbeiterkammer vertreten unterschiedliche, teils gemeinsame Interessen. Ziel müssen gemeinsame Gespräche sein. Diese Gesprächsbasis fehlt mir. Ich bin drei Jahre im Amt. In dieser Zeit gab es einen Sozialpartnergipfel. Die gemeinsamen Themen reichen vom leistbaren Wohnen über Kürzungen im Sozial- und Pflegebereich bis zur Spitalsreform. Ja, wir müssen sparen. Die Frage ist, wie wir das gemeinsam gestalten.

Neue am Sonntag: 57.000 Menschen unterschrieben binnen kurzer Zeit eine Petition. Kritikpunkte waren vor allem die Kommunikation und dass Betroffene vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Was fordern Sie?
Heinzle: Sparen, ja, auch mit Tempo. Aber wir müssen wissen, was der Plan ist. Am Ende entscheidet die Politik, der Druck auf die Spitzenpolitik ist extrem. Es ist unmöglich, alle gleichzeitig einzubinden, Proteste wird es immer geben. Wenn aber 57.000 Menschen binnen weniger Tage unterschreiben, sollte man kurz stoppen, die Kommunikation überdenken und dann entscheiden. Das löst sonst Stress und Ängste aus, die Menschen gehen auf die Straße. Ich appelliere hier nochmals bitte um klare Kommunikationen eines Planes an die Mitarbeitenden und die Bevölkerung.
Neue am Sonntag: Sparen an der richtigen Stelle: Wie bewerten Sie den Budgetvoranschlag mit 200 Millionen neuen Schulden?
Heinzle: Zu glauben, man stoppe den Stadttunnelbau und rette damit das Budget, ist Illusion. Wir fordern einen Plan: Was passiert 2027, 2028, 2029. Wenn erkennbar ist, wann die Kurve steigt oder fällt, wird das verständlich. Bei der Spitalsreform etwa: Ja, es wird zusammengelegt, aber nicht von heute auf morgen. Man muss nachvollziehen können, was als Nächstes kommt. Es irritiert, wenn einmal Mitte Dezember, dann vielleicht erst Mitte Februar entschieden werden soll, welche Abteilung wohin verlegt wird. Diese Unklarheit erzeugt Ängste.
Neue am Sonntag: Wenn man so tiefgreifende Reformen angeht, liegt der Blick oft auch auf der Verwaltung: Muss der Staat nicht auch bei sich selbst den Rotstift ansetzen?
Heinzle: Wir schreiben anderen nicht vor, wie sie ihre Verwaltungsreformen machen. Wir denken aber intern nach, wo wir vereinfachen und digitalisieren können. Vom Land fordern wir seit Längerem etwa die Vereinfachung der Wohnbauförderung. Andere Länder haben das umgesetzt. Generell braucht es mehr Transparenz im Förderwesen: Wer wird wann und wofür gefördert. Das erhöht die Akzeptanz.

Neue am Sonntag: Ist es Ihre Pflicht, in schwierigen Zeiten den Finger in die Wunde zu legen, auch wenn man parteipolitisch nahesteht?
Heinzle: Wenn alle ihre Rolle, für die sie gewählt wurden, ernst nehmen, können wir Vorarlberg weiterentwickeln. Es ist meine Pflicht, auf Schwierigkeiten hinzuweisen und Lösungen zu präsentieren. Das machen wir regelmäßig, von leistbarem Wohnen bis Elementarpädagogik. Was derzeit fehlt, ist die Bereitschaft der Landespolitik zu Gesprächen. Das wäre dringend notwendig.
Neue am Sonntag: Finanzministerische Eingriffe in Märkte stehen immer wieder im Raum, etwa bei Lebensmitteln. Vorarlberg liegt an den Grenzen zur Schweiz und zu Deutschland, Preisvergleiche sind alltäglich. Braucht es neue Spielregeln?
Heinzle: Vor möglichen Eingriffen schlagen wir mehr Transparenz vor. Wer erhält welchen Anteil am Preis eines Produkts, vom Erzeuger über den Handel bis zum Verkauf. Dann ist erklärbar, warum dasselbe Shampoo in Vorarlberg teurer ist als in Deutschland. Wenn klar ist, dass Steuern der größte Preistreiber sind, kann man dort gezielt ansetzen. Ich glaube nicht, dass das derzeit das größte Problem ist. Ähnlich beim Wohnbau: Warum ist Bauen in Vorarlberg teurer als im Osten? Wir fordern seit vielen Jahren eine Transparenzdatenbank, zum Beispiel im gemeinnützigen Wohnbau. Wer zahlt wie viel für was. Irgendjemand erhält das Geld, zahlen müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Häuslebauer.

Neue am Sonntag: Angesprochen auf das Ost‑West‑Gefälle und den Arbeitsmarkt: Bundesweite Kollektivverträge treffen auf unterschiedliche Lebenshaltungskosten. Unternehmen klagen über Wettbewerbsnachteile, es gibt Abwanderung. Wäre mehr Regionalisierung sinnvoll, bis hin zu steuerlichen Instrumenten?
Heinzle: Das Problem gibt es seit vielen Jahren. Inzwischen existieren Kollektivverträge, die nur für Vorarlberg oder einzelne Regionen gelten. Der Sozialkollektivvertrag gilt etwa nur in Vorarlberg. Im Handel gibt es regionale Regelungen, etwa für Vorarlberg und Salzburg. Bei Lehrlingen oder Bundesbediensteten ist das anders. In der Wirtschaft wird vieles über Zulagen geregelt, je nach Bundesland und Tätigkeit. Wenn ich als Arbeitgeber Personal gewinnen will, muss ich oft über Kollektivvertrag bezahlen. Das machen viele Unternehmen, besonders in der Industrie. In Vorarlberg wird viel über Zulagen gesteuert. Ich glaube nicht, dass der Staat das zentral regeln sollte. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen das in den Branchen aushandeln.
Neue am Sonntag: Zur Wohnpolitik: Sie haben in der Arbeiterkammer einen Dialog mit gemeinnützigen Bauträgern, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Expertinnen und Experten initiiert. Ergebnis?
Heinzle: Alle Beteiligten kamen zur gemeinsamen Sichtweise, dass mehr gemeinnütziger Wohnbau in Vorarlberg sinnvoll wäre. Es hapert an der politischen Entscheidung.

Neue am Sonntag: Vielleicht aber auch am nötigen Platz. Wem gehört der Grund und Boden? Gemeinden, Kirche, große Eigentümer. Braucht es, zugespitzt, Zwangsenteignungen zugunsten des gemeinnützigen Wohnbaus?
Heinzle: Wir sollten nicht über Enteignung sprechen, sondern über Verteilungsgerechtigkeit. Wenn man etwas verteilt, nimmt man dem einen etwas und gibt es dem anderen. Darüber muss man offen reden. Und wir fordern eine Besteuerung der Superreichen, und nicht des einfachen Häuslebauers.
Neue am Sonntag: Darf man Sie dann als „Robin Hood der Arbeitnehmerschaft“ bezeichnen? Den Reichen nehmen und den Armen geben, im Sinne einer gerechten Verteilungspolitik?
Heinzle: Robin Hood ist vielleicht übertrieben. Ich bin leidenschaftlicher Arbeitnehmervertreter.
(NEUE am Sonntag)