Libet und ich: Von einer Millisekunde und ein paar Ausreden

Ich habe gelesen, dass wir uns nicht wirklich sicher sein können, Herr oder Frau unserer angeblich bewussten Handlungen zu sein – oder so ähnlich. Das sogenannte Libet-Experiment ist eine der bekanntesten Studien dazu.
Es zeigte, dass eine elektrische Aktivität im Gehirn, das sogenannte Bereitschaftspotenzial, bereits einige Millisekunden vor der bewussten Entscheidung auftritt, eine Handlung auszuführen. Ich fürchte, dass diese Millisekunden, in denen ich offenbar keine vollständige Entscheidungsgewalt über mein Tun habe, in meinem Leben ziemlich häufig vorkommen. Es gibt Momente, in denen ich mich ernsthaft frage, was zuerst da war: die Handlung oder der Gedanke. Sehr oft tue ich etwas, ohne mich an einen konkreten Willensimpuls erinnern zu können. Das beginnt schon damit, dass meine Hand immer noch instinktiv nach einer Gangschaltung greift, obwohl ich längst ein Automatikauto fahre. Mein Gehirn weiß das schon, doch meine Hand weigert sich hartnäckig, diese Tatsache zu akzeptieren.
Neulich saß ich im geparkten Auto, um in der warmen Kabine noch ein kurzes Telefonat zu führen, bevor ich mich der kalten Jahreszeit stelle – und prompt wollte sich mein Körper reflexartig anschnallen. Was soll das bitte? Und zu meinem weiteren Entsetzen musste ich feststellen, dass ich nicht nur einmal in einem meiner Zimmer stand und keine Ahnung mehr hatte, warum und wieso ich überhaupt hineingegangen war. Früher dachte ich, ich neige einfach zu leichter Verwirrtheit; man nannte mich ja schon in jungen Jahren – je nach Situation liebevoll oder weniger liebevoll – „Träumerin“. Jetzt weiß ich es: Ich bin gar nicht schuld! Es ist diese Millisekunde elektrischer Aktivität, die mir einen Impuls gibt. Ein kleiner Defibrillator für meine Handlungen: erst der Stromschlag, dann der daraus resultierende Reflex und erst danach – manchmal – der Gedanke dazu. Bei mir fehlt Letzteres offenbar recht häufig.
Und nun sitze ich hier und frage mich: Wann kommt endlich diese Millisekunde Stromschlag vor der Entscheidung, mal wieder joggen zu gehen, eine dritte Sprache zu lernen oder einfach die Wäsche zu waschen? Scheinbar kommen wir nicht heraus aus der Nummer. Für die großen, wirklich wichtigen Dinge des Lebens gibt es keine Ausrede. Da hilft uns kein Libet-Dingsbums. Am Ende müssen wir unseren Popo doch immer wieder selbst – und ganz bewusst – hochbekommen.