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Warum Brasilien heute in eine Schicksalswahl geht

30.10.2022 • 13:34 Uhr
Die Stichwahl prägt das Land auf Jahrzehnte hinaus und wird auch die Zukunft des Amazonas entscheiden.<span class="copyright">AP Photo/Eraldo Peres</span>
Die Stichwahl prägt das Land auf Jahrzehnte hinaus und wird auch die Zukunft des Amazonas entscheiden.AP Photo/Eraldo Peres

Brasilien kürt seinen neuen Präsidenten: Lula oder wieder Bolsonaro?

Brasilien geht heute in die Stichwahl: Bei einem erneuten Wahlsieg von Präsident Jair Bolsonaro könnten noch mehr Verachtung des Staates und seiner Institutionen, mehr Frauenfeindlichkeit und weniger verantwortliches Regieren drohen. Mehr vom Gleichen also. Je näher der Entscheidungstag rückte, desto absurder, gewalttätiger, schmutziger und inhaltsleerer wurde der Wahlkampf. Vor allem seitens des umstrittenen Amtsinhabers.

Bolsonaro konnte seit 2. Oktober aufholen

Dennoch wurden die Chancen des 67-Jährigen auf Wiederwahl jeden Tag besser. Seit der ersten Runde am 2. Oktober verkürzt Bolsonaro den Abstand auf seinen linken Herausforderer Lula da Silva (77) stetig. Bis wenige Tage vor der Wahl hatte der Kandidat der Arbeiterpartei PT zwar fünf Prozentpunkte Vorsprung. Aber das ist keine Garantie. Die Umfragen sind unzuverlässig, und es gibt noch Unentschiedene und bisherige Nichtwähler, die zusammen fast 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen. Nur eines scheint klar: Es wird ein enges Rennen, und die Entscheidung wird das größte Land und die wichtigste Wirtschaft Lateinamerikas und damit die ganze Region auf Jahre hinaus prägen.

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Geld für das Volk soll Stimmen bringen

Dem ultrarechten Amtsinhaber spielt auch in die Karten, dass sich die Wirtschaft vor allem dank eines staatlichen Entlastungspakets langsam erholt. Dadurch wurden Steuern auf Treibstoff, Strom, Gas, Telekommunikation und der öffentliche Nahverkehr gesenkt. In der Folge ebbte die Inflation ab, der Benzinpreis stabilisierte sich. Aber vor allem hat der Präsident Staatsgelder in Millionenhöhe dafür missbraucht, die Sonder- und Hilfszahlungen im Rahmen des Programms “Auxílio Brasil” (“Hilfe für Brasilien”) zu erhöhen und auszubauen. In diesem Rahmen erhalten bedürftige Familien monatlich 115 Euro Hilfe. Rund 25 Prozent der Brasilianer erhalten inzwischen direkt oder über ein Mitglied des Familienhaushalts die Hilfsgelder. Und zielsicher hat die Regierung die Zahlung noch schnell so vorgezogen, dass die Bedürftigen das Geld vor dem zweiten Wahlgang bekommen. Damit sucht Bolsonaro genau in der Schicht Stimmen, die gewöhnlich Lula da Silva wählen würden.

Die Spaltung Brasiliens, das ist schon klar, bleibt über die Wahl hinaus bestehen. Schon jetzt ist klar: Der “Bolsonarismus” bleibt. Er ist längst eine feste Größe in der brasilianischen Politik und kein “Betriebsunfall”, wie Lula ihn darstellen wollte.