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Die Doppelmoral in der Medienwelt

26.02.2023 • 19:51 Uhr
Pop-Star Sam Smith erregt Aufsehen im Internet.
Pop-Star Sam Smith erregt Aufsehen im Internet. IMAGO/UPI Photo

Zu erotisch? Nicht queer genug? Diskussionen um Sam Smith und Harry Styles zeigen die Herausforderungen eines diverseren Pop-Universums auf.

Eilig hasten Hofdamen und Kammerherren zum goldenen Hubschrauber, aus dem Sam Smith steigt. Das Pop-Idol trägt ein pinkes, bauschiges Kostüm und macht sich auf den Weg zu einem rauschenden Fest. Zu sehen im Musikvideo zu Smiths neuestem Lied „I’m Not Here to Make Friends“.

Darin tanzt Smith inmitten von Dragqueens, queeren, nicht-binären und trans Personen – im weißen Korsett und mit Nippel-Quasten. Die Aufregung darüber ist groß: Die dargestellte Sexualität sei gefährlich für Kinder und Jugendliche, finden Kritiker und Kritikerinnen.

Dabei ist „Sex sells“ eine Hauptstrategie vieler Musikvideos. Bei Protagonistinnen regt das kaum mehr auf: Die Medienwissenschaftlerin Maya Götz und die Ökonomin Ana Eckhardt Rodriguez fanden in einer Medienanalyse 2019 heraus, dass die weibliche Brust in jedem dritten und der weibliche Po in jedem vierten Musikvideo zu sehen ist.

Kritik zeigt Doppelmoral

Smith aber, unter anderem mit „Stay With Me“ und „I’m Not The Only One“ bekanntgeworden, definiert die eigene Geschlechtsidentität seit 2019 als nicht-binär. Die Kritik an „I’m Not Here to Make Friends“ offenbart gewisse Doppelstandards: Die Erotik des Videos sei zu aggressiv, heißt es.

Dass Smith trotz Übergewichts in gewagten Kostümen und engen Jumpsuits auftritt, war auch schon Anlass für abwertende Bemerkungen über das äußerliche Erscheinungsbild des Stars. Harry Styles hingegen wurde unlängst in der „Vogue“ gar als „König der Jumpsuits“ gefeiert.

NY: NBC Today show concert by Harry Styles Harry Styles performs new songs from his upcoming album Harry s House as well
Harry Styles punktet bei den Fans mit seinem androgynen LookImago

Der Grund dafür scheint offensichtlich: „Harry Styles ist dünn und attraktiv. Er ist sehr konventionell attraktiv“, erklärt Elli Schneider, Grazer Koryphäe für interdisziplinäre Kulturwissenschaften. Auch Patricia Deutschmann von der Grazer LGBTIQ-Interessensgruppe RosaLila PantherInnen stellt klar: „Nicht-Binarität wird oft noch mit dünnen, jungen Personen verbunden.“

Dem entspricht Styles perfekt. Er stellt Kleidernormen und gängige Geschlechterbilder auf den Kopf, bei öffentlichen Auftritten ist er oft in Rock oder Kleid zu sehen. Styles ist eine queere Ikone, doch seine eigene sexuelle Orientierung verrät er nicht. Er finde die Debatte veraltet, verriet er dem Magazin „Rolling Stone“.

Recht auf Privatsphäre

Aber auch diese Haltung sorgt für Kritik: Styles betreibe „Queerbaiting. Soll heißen: Nach Vorbild mancher Werbeclips, Filme, Serien verwende er queere Codes, die nur eine bestimmte Zielgruppe versteht – aber so subtil, dass das Mainstream-Publikum davon nicht abgeschreckt wird”, erklärt Elli Schneider.

Derart ermögliche Queerbaiting „gleichzeitig Geld von einem queeren und einem Mainstream-Publikum zu kassieren“, so Schneider. Styles aber wird von Deutschmann in Schutz genommen: Man könne Queerbaiting Unternehmen etc. vorwerfen, „aber keinen individuellen Personen“.

Harry Styles mit Gitarre vor schwarzem Hintergrund
Harry Styles wird mit Kritik wegen seiner sexuellen Orientierung konfrontiertFotograf


Privatpersonen würden mit solchen Vorwürfen unter Umständen gar zum Outing gedrängt und könnten dann nicht mehr ihr eigenes Narrativ steuern. „Das ist schwieriger zu kontrollieren, wenn Menschen abwertend sind, Gerüchte verbreiten oder hinter dem eigenen Rücken tuscheln“, argumentiert Deutschmann.

Repräsentation als wichtiger Schritt

Hingegen gebe ein Beispiel wie Smith vielen Menschen Mut zur eigenen Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung. „Es gibt heutzutage schon viel mehr Repräsentation, aber angesichts der Realität noch immer sehr wenig“, glaubt Schneider.

Immerhin: Smiths „I’m Not Here to Make Friends“ ist zwar noch nicht in den österreichischen Charts angekommen. Dafür aber der Hit „Unholy“, der auf Platz fünf der Austria Top 40 ist. Und Styles gilt bei aller Kritik ohnehin als der Pop-Superstar unserer Tage. Fans dürfen sich freuen: Am 8. Juli gastiert er, vielleicht im Jumpsuit, in Wien.