Attal ist Macrons verbaler Scharfschütze gegen Rechts und Links

Angesichts des Erstarkens der rechtspopulistischen Opposition setzt Macron auf einen jungen Vertrauten und auf Erneuerung.
„Attal ist der Beste von uns allen“, mit diesen Worten wird ein Berater von Frankreichs Präsident Emmanuel Macrons zitiert, der am Dienstag seinen jungen Erziehungsminister Gabriel Attal zum Regierungschef ernannt hat. Am Vorabend hatte Premierministerin Elisabeth Borne auf Wunsch des Präsidenten ihren Rücktritt eingereicht. Auf dem Papier ist Attal die Idealbesetzung: Er kommt nicht wie seine Vorgängerin Borne als Technokrat rüber, sondern als politischer Kopf mit großem Kommunikationstalent. Mit nur 34 Jahren ist er außerdem der jüngste Regierungschef der V. Republik. Die Opposition hat bereits vor seiner Nominierung angekündigt, ein Misstrauensvotum zu beantragen, sollte sich der neue Regierungschef nicht eigenständig einem Vertrauensvotum des Parlaments stellen.
Macron’s Kalkül hinter Attal’s Nominierung
Hinter der Nominierung Attals könnte das Kalkül Macrons stecken, mit einem beliebten, jungen Politiker die eigene Partei besser für die im Juni anstehenden Europawahlen aufzustellen. Denn bislang führt das Rassemblement National (RN) mit zehn Prozent Vorsprung vor Macrons Partei Renew die Umfragen an, was die Rechtspopulisten ihrem Spitzenkandidaten Jordan Bardella verdanken. Attal gehört nicht nur derselben Generation an wie der 28-jährige Bardella, er ist einer der wenigen, der dem schlagfertigen Nationalisten bei Fernsehdebatten das Wasser reichen kann. Denn Attal ist ein erprobter sniper, ein verbaler Scharfschütze im Dienst des Präsidenten, der linke wie rechte Oppositionspolitiker mit einem gezielten Satz zum Verstummen bringt.
Verbot der Abaya
Seit Attal mit 28 Jahren die politische Bühne betrat, hat er eine rasante Karriere hingelegt. Mit 23 war er der jüngste Berater in einem Kabinett, mit 28 Staatssekretär, mit 29 Parteisprecher, mit 31 Regierungssprecher, mit 33 Jahren der jüngste Minister seit dem Zweiten Weltkrieg. Seit er im Sommer das Amt des Erziehungsministers übernommen hat, ist er mit mutigen Entscheidungen wie dem Verbot der Abaya, des langen Gewands muslimischer Schülerinnen, und einer engagierten Anti-Mobbing-Politik aufgefallen und zum beliebtesten Politiker Frankreichs avanciert. Im Dezember hat er den ehemaligen Premierminister Edouard Philippe auf dem ersten Platz des Politikbarometers des Umfrageinstituts Ipsos abgelöst.
Macron’s Regierungsumbildung
Überraschend kommt die Pariser Regierungsumbildung nicht. Seit der von Hindernissen begleiteten und unter Schmerzen vollzogenen Verabschiedung des verschärften Einwanderungsgesetzes im Dezember war letztlich nur der Zeitpunkt und die Besetzung offen. Denn klar war, dass Macron nach innenpolitisch schwierigen anderthalb Jahren mit einer neuen Regierung versuchen wird, eine Zäsur zu markieren und seiner zweiten Amtszeit neuen Schwung zu geben. Es ist auch ein Zeichen in Richtung des linken Flügels der Partei, der das Immigrationsgesetz scharf kritisiert hat. So war der Gesundheitsminister aus Protest gegen das Gesetz zurückgetreten. Attal hat seine politische Karriere immerhin bei den Sozialisten begonnen, wo er zum Kreis der Unterstützer von Dominique Strauss-Kahn gehörte, der bis zu Sofitel-Affäre und seinem politischen Sturz zu den Hoffnungsträgern einer wirtschaftsliberalen Linken gehörte.
Mit einer Routine bricht Macron allerdings. Denn mit Elisabeth Borne wie auch ihren beiden Vorgängern Jean Castex und Edouard Philippe hatte sich der Präsident bislang für unbekannte Figuren aus der zweiten Reihe der französischen Konservativen oder der Sozialisten entschieden, bei denen er nicht Gefahr lief, in den Schatten gestellt zu werden. Attal gehört stattdessen zu seinem treuen Umfeld seit Parteigründung 2017 und ist eines der wenigen prägenden Gesichter der Macronie, wie die Getreuen des Präsidenten genannt werden. Ein williger Vollstrecker des Willens des in Frankreich übermächtigen Präsidenten wird allerdings auch er sein.
Spekulationen um Attal’s Zukunft
Für viele galt Attal bislang als Idealbesetzung der Regierungspartei Renaissance für die Präsidentschaftswahlen 2027, bei denen Macron nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann. Offen ist, ob Macron seinen Schützling Attal mit dieser Nominierung gezielt als seinen potenziellen Nachfolger aufstellen oder, auch das eine Möglichkeit, den vielversprechenden jungen Mann in diesem schwierigen Amt verheizen will, damit er nicht das Erbe Macrons übernimmt und der Schützling ihn womöglich überrundet. Aus der „Hölle von Matignon“, wie die Franzosen den Sitz des Regierungschefs im gleichnamigen Stadtpalast nennen, hat es bislang nämlich noch kein Premierminister direkt in den Elysée-Palast geschafft. Anderseits ist der beliebte Ex-Regierungschef Philippe der Beweis dafür, dass eine kurze Pause oft genügt, um aus einem ehemaligen Premierminister einen potenziellen Präsidenten zu machen. Philippe, der die Partei Horizon gegründet hat und für das Amt 2027 kandidieren will, hat offiziell erklärt, dass er sich „bestens“ mit dem neuen Regierungschef verstehe. Doch im Vorfeld ging das unbestätigte Gerücht um, dass er den starken Konkurrenten in diesem Amt gern verhindert hätte.