Sichere Abtreibung für zuhause

In „Glückwunsch“ nähern sich 15 Autorinnen und Autoren wie Monika Helfer, Stefanie de Velasco und Yael Inokai in facettenreichen Geschichten dem Thema Abtreibung.
Abtreibungen kommen in literarischen Erzählungen meistens nicht vor. Nur selten berichten Autorinnen von ihren eigenen ungewollten Schwangerschaften. Eine von ihnen ist die französische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie in „Événement“, (Das Ereignis, 2021 auf Deutsch erschienen) ihre Erinnerungen über ihre Abtreibung, die 1963 in Frankreich noch verboten war.
Wie Ernaux damals riskieren auch heute viele Menschen ihr Leben beim Versuch, den ungeborenen Fötus unter anderem durch illegale Behandlungen loszuwerden. Dabei würden laut WHO jährlich weltweit etwa 39.000 Personen sterben, schreiben Charlotte Gneuß und Laura Weber im Vorwort ihrer Anthologie „Glückwunsch. 15 Erzählungen über Abtreibung“, in der verschiedene Autorinnen und Autoren Abtreibung literarisch versprachlichen.
Verschiedene Welten
ruhenden Texte von Charlotte Gneuß sind es fiktive Geschichten, die im Buch versammelt die vielen Facetten von Abtreibungen aufgreifen. Zwölf Autorinnen und drei Autoren finden sehr unterschiedliche und teils auch originelle Zugänge, sich dem komplexen Thema anzunähern, über das im privaten Raum oft nicht gesprochen wird. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich weichen die Geschichten stark voneinander ab, spielen in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart und spiegeln die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Begebenheiten wider, mit denen sich werdende Mütter konfrontiert sehen, wenn sie sich wünschen, das Kind nicht bekommen zu müssen.
Je nachdem, in welchen Verhältnissen sich die Protagonistinnen befinden, sind Abtreibungen gefährlich oder auch nicht, traumatisch, schwer machbar oder tabuisiert, oder eben auch nicht. Denn das Buch zeigt, wie die Figuren emotional sehr unterschiedlich mit Abtreibungen umgehen. Die Erzählungen machen deutlich, dass sich in der Literatur sehr weite Dimensionen eröffnen, sich dem Thema Abtreibung kreativ anzunähern und persönliche Eindrücke und Hintergründe zu schildern, ganz ohne auf Erfahrungsberichte zurückgreifen zu müssen.

Lena Gorelik erzählt in ihrer Geschichte sehr behutsam über die Missstände in sowjetischen Gesundheitseinrichtungen, wo bereits ab dem Jahr 1920 Schwangerschaftsabbrüche legal durchgeführt wurden.
Monika Helfer schreibt über eine Frau, welche die Entscheidung ihrer Nachbarin zur Abtreibung nicht verkraftet.
Stefanie de Velasco zeigt an der Geschichte Charlies, wie Schwangerschaftsabbrüche durch freundschaftliche Verbundenheit in der modernen Welt ganz pragmatisch bewältigt werden.
Jayrôme C. Robinet stellt sich den Ähnlichkeiten zwischen dem Zugang zu Abtreibungen und der Trans-Gesundheitsversorgung, und Emilia Roig erzählt die Geschichte ihrer Protagonistin Kounaté, die im Jahr 1848 als Sklavin auf einer Zuckerrohrplantage arbeitet und ihrem ungeborenen Kind die sexuelle und rassische Gewalt ersparen will.
Und in Theresia Enzensbergers Geschichte bestellt die Protagonistin Zutaten zur Abtreibungspille in der Tierapotheke.
Zukunftsvisionen
Auch in der Zukunft wird es Abtreibungen geben, wie einfach und unkompliziert sie sein könnten, vertieft Yael Inokai in einer fast heiteren Utopie, in der Gewalt, Verbote und Tabus in der Gesellschaft überwunden wurden und Frauen wie Männer sich sichere Abtreibungen ganz unkompliziert nach Hause bestellen und auch das Geld zurückbekommen, wenn sie sich doch wieder umentscheiden.
Glückwunsch. 15 Erzählungen über Abtreibung: Herausgegeben von Charlotte Gneuß und Laura Dshamilja Weber, erschienen im Februar 2023, Hanser Verlag, 208 Seiten.