Impulsives Drängen und lyrisches Sehnen

Am Montag war das Chamber Orchestra of Europe (COE) unter der Leitung von Robin Ticciati zu Gast im Festspielhaus. Solistin war die georgische Geigerin Lisa Batiashvil.
Ein rundum begeisterndes Konzert erlebte das Publikum im Festspielhaus beim jüngsten Meisterkonzert: Die intensive Verbindung der Geigensolistin Lisa Batiashvili mit dem Dirigenten Robin Ticciati und dem so präsent musizierenden Chamber Orchestra of Europe (COE) brachte eine aufregend neue Interpretation von Beethovens Violinkonzert, die dramaturgisch durchdachte Zusammenstellung des zweiten Konzertteils zeigte ungeahnte Verbindungen zwischen den Zeiten auf.
Große Kunst
Beethovens einziges Violinkonzert ist natürlich bekannt, erst neulich hörte man es vom SOV und mit dem Solisten zugleich als Dirigenten. Ihm aber so neue Charaktere und Farben zu entlocken, dass man meint, man habe es noch nie gehört, ist große Kunst.
Zu verdanken ist dies diesem glücklichen Zusammentreffen von Solistin, Dirigent und Orchester, der feinsinnigen und unbedingten Hingabe der charismatischen Geigerin, die mit dem britischen Dirigenten wie magisch verbunden ist, und der aufmerksamen Flexibilität der so selbstständigen Mitglieder des Chamber Orchestra Europe. Schon in der Einleitung mit den markanten Paukenschlägen und den blühenden Bläserstimmen arbeitet Ticciati wunderschöne Bögen heraus, ist erstaunlich biegsam im Tempo. Impulsives Drängen und lyrisches Sehnen werden zu den Leitthemen dieses Abends, im Violinkonzert ebenso wie im zweiten Teil.
Besondere Akzente
Die Interpretation des Violinkonzerts ist aber auch herausgehoben durch die Wahl der Solokadenzen, die der wolgadeutsche Komponist Alfred Schnittke 1977 für den Geiger Mark Lubotsky geschrieben hat und die auch sein Kollege Gidon Kremer immer wieder spielt. (Lubotsky war übrigens der Lehrer von Lisa Batiashvili an der Musikhochschule in Hamburg, später wechselte die gebürtige Georgierin an die Meisterklasse von Ana Chumachenko nach München, die so viele herausragende Geigerinnen und Geiger ausgebildet hat.)
Schnittke greift nun einerseits Material von Beethoven auf, verbindet es aber mit anderen Konzerten des 19. und 20. Jahrhunderts und mit seiner eigenen Tonsprache. Wenn nach der wild gesteigerten Kadenz des ersten Satzes die Pauke wie ein Schicksalsruf einsetzt und das Orchester mit dem versöhnlichen Thema des Anfangs aufleuchtet, entsteht ein tief berührender Moment. Im Larghetto stimmen Solistin und Holzbläser einen wunderbar atmenden Dialog an, Schnittkes Kadenz markiert den Übergang ins Rondofinale, das bei Ticciati, Batiashvili und dem Chamber Orchestra Europe frühlingshaft leicht und spritzig auf den Schlussjubel hinsteuert. Hier setzt noch einmal die Kadenz besondere Akzente, ist doch die Gruppe der ersten Geigen mit bohrenden Trillern miteinbezogen.
Für den Jubel bedankten sich die Gäste mit einem klingenden Wirbelwind, der Bearbeitung eines rumänischen Volkslieds Ciocârlia (Feldlerche): Diese Zugabe zerschlug zwar manche feinen Beethovenklänge, war aber ein weiteres Zeugnis der hervorragenden Chemie zwischen allen Musizierenden.
Beethovens Seiten der Liebe
„Beethoven und die Liebe“ könnte über dem zweiten Konzertteil gestanden haben: gespiegelt in Goethes Trauerspiel „Egmont“ und Beethovens farbenreicher Schauspielmusik dazu, aber auch in einem „Liebeslied“ von Jörg Widmann aus dem Jahr 2010 und in der instrumentalen Liebesszene aus Hector Berlioz‘ Chorsymphonie „Romeo et Juliette“.
Robin Ticciati und das Chamber Orchestra Europe formen diese Stücke zu einem durchgehenden Komplex mit spannenden und mutigen Übergängen: Die klingende Rhetorik in Beethovens Musik, die immer wieder Sehnsucht und Freiheitswillen ausdrückt, stößt auf das kammermusikalisch besetzte, ausdrucksstarke Stück von Widmann. „Teufel Amor“ zeigt zwei Seiten der Liebe, wilde Erregung und Sehnen in intensiven Glissandi (selbst im Schlagwerk).
Das filigran gestaltete Larghetto aus „Egmont“ geht über in die fließende Romantik von Berlioz, die aufwallenden Gefühle und das Herzklopfen von Romeo und Julia. Und wenn Robin Ticciati in seiner deutlichen Körpersprache, die Triumph und Zartheit gleichermaßen hervorlockt, das Konzert mit der Ouvertüre zu „Egmont“ beschließt, könnte man die Musik auch allein aus seinen Gesten heraushören – doch mit den Klängen des Chamber Orchestra of Europe ist es natürlich noch berauschender! Der 40-jährige Engländer mit italienischen Wurzeln wird oft mit Sir Simon Rattle, seinem Mentor, verglichen: Nach diesem Abend ist klar, warum…
Nächstes (und letztes) Bregenzer Meisterkonzert: 27. Mai, 19.30 Uhr, Hélène Grimaud – Klavier, Werke von Johannes Brahms, Robert Schumann und Ludwig van Beethoven.
Katharina von Glasenapp