Kultur

Wie ein pulsierender Organismus

05.07.2023 • 23:00 Uhr
Die Installation von Chiharu Shiota im Kunstraum Dornbirn.  <span class="copyright">Roland Paulitsch</span>
Die Installation von Chiharu Shiota im Kunstraum Dornbirn. Roland Paulitsch

Im Kunstraum Dornbirn ist die Ausstellung „Who am I Tomorrow?“ von Chiharu Shiota zu sehen.

Bei Chiharu Shiota geht es immer um alles, um Exis­tenz, um das Leben, um die Bedingungen für Leben und dessen Entwicklung“, beschreibt Kurator Thomas Häusle das Werk der japanischen Künstlerin. Eine politische Künstlerin sei sie nicht, sie stehe über dem Zeit- und Tagesgeschehen. Shiota, 1972 in der Präfektur Osaka geboren und seit 1998 in Berlin lebend, bespielt derzeit mit einer raumfüllenden und doch fragilen, zarten Installation den Kunstraum Dornbirn.

Unter dem Titel „Who am I Tomorrow?“ ist ein an einen Blutkreislauf erinnernder riesiger pulsierender Organismus zu sehen, der in der Luft hängt. Zugleich hängen zahlreiche Fäden von der Decke. „Diese sollen die menschlichen Beziehungen darstellen, an denen alles hängt“, erläutert der Kurator.

Kurator Thomas Häusle. <span class="copyright">Roland Paulitsch</span>
Kurator Thomas Häusle. Roland Paulitsch

Mit einem Kreislauf hat Chiharu Shiota schon gearbeitet, allerdings am Boden. In der eigens für den Kunstraum geschaffenen Arbeit hängt er in der Luft, und man kann ihn durchwandern. Erstmal sei damit auch der komplette Raum bespielt worden, erzählt der Kurator – wenngleich das nicht auf den ersten Blick sichtbar wird. Das Objekt wirkt ebenso luftig wie dicht und kompakt.

58 Kilometer Fäden

2400 Meter gewundene PVC-Schläuche wurden in der Installation verarbeitet sowie 5200 händisch geknüpfte Fäden mit einer Länge von insgesamt 58 Kilometern, die von einem an der Decke befestigten Netz kommen. Das Werk präsentiert sich als eigenständiger Organismus, der durch fünf medizinische Pumpen „am Leben gehalten“ wird. Dabei wird mit roter Lebensmittelfarbe gefärbtes Wasser durch einen Teil der Schläuche gepumpt, sodass ein „Herzschlag“ entsteht. „Es ist ein dynamisches Objekt, das das Leben symbolisieren und zeigen soll“, sagt Häusle.

Seit 1998 lebt Chiharu Shiota in Berlin. <span class="copyright">Sunhi Mang</span>
Seit 1998 lebt Chiharu Shiota in Berlin. Sunhi Mang

Chiharu Shiota, die ihr Geburtsland 2015 auf der Biennale in Venedig vertreten hat, kehre gern Inneres nach außen, erklärt der Kurator. Nicht nur wie im konkreten Fall einen Blutkreislauf, sondern auch Gefühle oder Erinnerungen. So habe sie etwa in früheren Arbeiten Dinge wie Schlüssel oder Briefe in Fäden verwoben und damit eine „Präsenz des Abwesenden“ geschaffen. Ähnliches kann auch die aktuelle Installation vermitteln, fehlt doch der Körper, der zum Kreislauf gehört.

I Tomorrow?“ („Wer bin ich morgen?“) stellt Individuum und Identität in den Fokus. Vielleicht ist eine Antwort auf die titelgebende Frage im Blut, im Erbgut angelegt, zeigt Häusle eine Möglichkeit auf. Die endgültige Antwort wird aber wohl jeder und jede für sich selber finden müssen. Einen faszinierenden und äußerst ästhetischen Denkanstoß liefert die Arbeit von Chiharu Shiota dafür schon mal.
Vernissage „Who am I Tomorrow?“ von Chiharu Shiota und Sommerfest: Donnerstag, 6. Juli, 19 Uhr. Bis 12. November. kunstraumdornbirn.at