Kultur

Krieg, Tiere und Besteck aus Bomben

11.07.2023 • 23:00 Uhr
Fotorafien von Jermolaewas „Chernobyl Safari“. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Fotorafien von Jermolaewas „Chernobyl Safari“. Klaus Hartinger

Die nächste Biennale-Vertreterin Österreichs Anna Jermolaewa zeigt ab Samstag im Kunsthaus Bregenz Fotografien aus der Serie „Chernobyl Safari“.

Es sind seltene Aufnahmen der Tiere in der Sperrzone von Tschernobyl, in denen Elche, Wölfe, Rehe oder Wildpferde bei Tag, Nacht, im Sommer und Winter durch die hochverstrahlte Region streifen und sich sei dem Reaktorunfall 1986 den Lebensraum wieder zurückeroberten.

Als sich die Künstlerin Anna Jermolaewa 2014 und 2021 auf „Chernobyl Safari“ begab, wollte sie den für Tiere „paradiesischen“ Zufluchtsort zeigen und auch die Mythen rund um die Wildtiermutation ins Kunstprojekt aufnehmen. „Mir gings hauptsächlich um die Tiere“, erklärte Jermolaewa am Montag den über 100 Besuchern, die zu einem Preview der Ausstellung „Chernobyl Safari“, die ab Samstag im Erdgeschoss des Kunsthauses zu sehen ist, gekommen sind.

Besucher beim Preview im KuB. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Besucher beim Preview im KuB. Klaus Hartinger

Vierhundert Tierarten

Seit fast 40 Jahren war das Gebiet für Menschen abgeriegelt, die Künstlerin habe sich dafür interessiert, wie die Vielfalt der Tiere zurückkehrte und zudem durch die gezielte Ansiedelung von beinahe ausgestorbenen Przewalski-Pferden erhöht werden konnte. „400 verschiedene Tierarten leben jetzt dort und ich fand es spannend, was im Zeitalter des ‚Anthropozän‘ passiert, wenn die Menschen nicht eingreifen – was geht in der Natur vor? Das war für mich so ein Sinnbild fürs Paradiesische“, beschreibt die Künstlerin, wie sich die Tiere und Pflanzen an das verstrahlte Gelände anpassen und sich im menschenleeren Gebiet frei entfalten können.

Anna Jermolaewa, Preview im Kunsthaus Bregenz. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Anna Jermolaewa, Preview im Kunsthaus Bregenz. Klaus Hartinger

Eine Biologin habe ihr Orte gezeigt, wo man die Tiere am ehesten trifft, dort hat sie ihre Videofallen aufgestellt. Nach den vier Tagen, die ein Tourist in Tschernobyl verbringen darf, habe ihr ein Kollege, der vor Ort arbeitet, die Daten aus den automatischen Wildkameras zukommen lassen, erzählt die Künstlerin.
Doch mit der russischen Invasion wurde die verwilderte Sperrzone zur Kriegszone. „Gleich am ersten Tag haben die Russen die Tschernobyl-Zone eingenommen, weil es der kürzeste Weg nach Kiew ist“, beschreibt Jermolaewa. Jetzt ist das ganze Gebiet vermint.

Zeichnungen von Anna Jermolaewa. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Zeichnungen von Anna Jermolaewa. Klaus Hartinger

Recycling von Streubomben

Diese langfristigen Auswirkungen des Krieges macht die Künstlerin in einer weiteren Arbeit auf berührende Weise sichtbar. In Laos wurden von 1964 bis 1973 mehr als zwei Millionen Tonnen amerikanischer Streubomben abgeworfen. „Ein Drittel davon liegt immer noch unexplodiert in der Erde“, sagt Jermolaewa. Nach der Sprengung durch Bombenräumungseinheiten wird der Aluminiumschrott nun auf positive Weise genutzt. In ihrer Installation „Dining Room“ zeigt die Künstlerin, wie die dortige Bevölkerung die entschärften Bombenteile nutzt, um Geschirr und vor allem Besteck zu machen.

Installation Dining Room, 2017. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Installation Dining Room, 2017. Klaus Hartinger

Das Thema Krieg zieht sich auch durch die gemalten Portraits acht mutiger Brieftauben, die an der Wand hinter dem Stiegenaufgang hängen. Trotz großer Strapazen waren die Vögel mit Namen wie William of Orange, Mary of Exeter oder Winxie offenbar furchtlos und waghalsig, während sie im Ersten und Zweiten Weltkrieg ihre Einsätze für die britischen Streitkräfte flogen. Als Überbringer von Informationen retteten sie viele Hunderte Menschenleben, selbst jedoch wurden sie angeschossen, verloren Augen oder Füße und erholten sich von ihren Verletzungen, nur um beim nächsten Bombenangriff wieder getroffen zu werden.

Die Installation „Famous Pigeons“.<span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Die Installation „Famous Pigeons“.Klaus Hartinger

Beeindruckende Migrationsgeschichte

Vergangenen Winter wurde Anna Jermolaewa nominiert, Österreich bei der nächsten Biennale in Venedig zu vertreten. Wie KUB-Direktor Thomas D. Trummer im Gespräch mit der Künstlerin sagte, habe das Kunsthaus Bregenz in den letzten Jahren auch einige zentrale Werke von Jermolaewa erworben. Jermolaewa war in den 90ern als russische Dissidentin nach Österreich gekommen, danach studierte sie Kunstgeschichte und dann bei Peter Kogler an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo sie seit 1989 lebt und arbeitet.

Für ihr soziales Engagement als Mitglied des Vereins „Ariadne – Wir Flüchtlinge für Österreich“ wurde sie im Vorjahr mit dem Dr.-Karl-Renner-Preis der Stadt Wien ausgezeichnet. Jermolaewas Arbeiten werden ab Samstag im Erdgeschoss des Kunsthauses zeitgleich mit der Sommerausstellung Michael Armitage bis zum 29. Oktober zu sehen sein. Vom 24. Juli bis zum 27. August, jeweils von 21 bis 24 Uhr, werden Ausschnitte der Arbeit „Chernobyl Safari“ auf die Leinwand am Karl-Tizian-Platz projiziert.