Kultur

Rammstein: Das Spiel mit dem Feuer

28.07.2023 • 13:56 Uhr
Rammstein-Frontmann Till Lindemann
Rammstein-Frontmann Till Lindemann (c) IMAGO/Gonzales Photo

Unbeirrt von allen Vorwürfen und Protesten haben Rammstein zwei Konzerte im Wiener Happel-Stadion gegeben.

Wie soll man das jetzt nennen: Unbeirrbarkeit, Durchhaltevermögen, ein ohrenbetäubendes Pochen auf die Unschuldsvermutung – oder einfach Trotz? Eine mögliche Antwort geben Rammstein selbst in jenem Song, mit dem sie ihre Konzerte am Mittwoch und Donnerstag im Happel-Stadion eröffneten: “Wer wartet mit Besonnenheit/Der wird belohnt zur rechten Zeit/Nun das Warten hat ein Ende/Leiht euer Ohr einer Legende”, heißt es im “Rammlied”. Was dann folgte, war die üblich üppige, brachiale Mischung aus Metal-Marschmusik, Pyrospektakel und Grusel- und Schmuddelpoesie vom bösen Märchenonkel Lindemann.

Man wähnte sich in einem Paralleluniversum. Seit zwei Monaten steht Frontmann Till Lindemann in der Kritik wegen sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Vor dem Konzert gab es Protestkundgebungen. Doch von alledem spürte man im Stadion selbst nichts. Unberührt, unbeirrt und unkommentiert spulte Rammstein ihr spektakuläres Programm ab. Jubel, Trubel, Heiterkeit unter dem Publikum. Rund 100.000 Menschen – gut die Hälfte davon Frauen – kamen an den beiden Abenden, um den Legenden ihr Ohr zu leihen. Eine treu ergebene Fangemeinde, die wie eine Firewall vor Lindemann und Co. steht.

Rammstein lieferten eine gewohnt spektakuläre Show
Rammstein lieferten eine gewohnt spektakuläre ShowMarkus Traussnig

Die Texte von Rammstein waren schon immer gewaltbefrachtet und sexuell aufgeladen, das ist Teil der dunklen Faszination, aber natürlich hört man jetzt noch genauer hin, etwa auf Zeilen wie diese: “Hör auf zu schreien und wehr’ dich nicht” (aus: “Du riechst so gut”) oder “Sehnsucht versteckt sich/Wie ein Insekt/Im Schlafe merkst du nicht/Dass es dich sticht” (aus: “Sehnsucht”).

Ja, das sind nur Liedtexte; ja, diese Zeilen kann man als krude Mischung aus Grimms Märchen und schwarzer “Struwwelpeter”-Pädagogik sehen. Dennoch wird eine Frage nicht erst seit den massiven Vorwürfen gegen Lindemann diskutiert: Hat möglicherweise die Kunstfigur auf den Künstler abgefärbt? Oder ist es umgekehrt und ein Künstler mit expliziten Neigungen hat sich eine entsprechende Kunstfigur erschaffen? Aber das sind natürlich Spekulationen, es gilt die Unschuldsvermutung.

Vor den Wien-Konzerten wurden gegen die Auftritte der Band protestiert
Vor den Wien-Konzerten wurden gegen die Auftritte der Band protestiertAPA

Das Stadion als Trutzburg, die Fans verständlicherweise nicht gewillt, sich co-kriminalisieren zu lassen. Doch beim Konzert: “Business as usual.” Es wird ausgelassen gefeiert und zu den optischen Höhepunkten der Show gejubelt und gestaunt. Resche Zeltfeststimmung. Zu “Puppe” fährt Lindemann den riesigen Kinderwagen auf, bei “Mein Teil” wütet er als irrer Kannibale mit blutigem Kittel, der seinen Mitmusiker Flake mit Flammenwerfern im Riesenkochtopf flambiert.

Der Tabubruch als Trademark, mit dem stets offenen Hintertürchen der Ironie. Ach, alles nicht so gemeint, sondern stets das Gegenteil, aufklärerisch gleichsam: die gespenstische Riefenstahl-Ästhetik, die Runenschrift auf den roten Fahnen, das rollende “Rrrrrr”, der rabiate Stechschrittmilitarismus.

Till Lindemann spielt gerne mit dem Feuer
Till Lindemann spielt gerne mit dem Feuer. markus traussnig

Die Fronten sind verhärtet, der Ton wird rauer, der Aggressionspegel steigt. Nach dem Konzert am Mittwoch werden ein ORF-Reporter und eine Kamerafrau antisemitisch beschimpft und tätlich angegriffen, die Polizei berichtet von weiteren Raufhandlungen vor dem Stadion. Und Till Lindemann, der spielt weiterhin mit dem Feuer. Ob er ihm zu nahe gekommen ist, müssen jetzt die Gerichte entscheiden. In aller Ruhe und mit Besonnenheit.