Kultur

Werther: Große Oper im kleinen Haus

15.08.2023 • 18:07 Uhr
Werther im Theater am Kornmarkt  <span class="copyright">roland paulitsch</span>
Werther im Theater am Kornmarkt roland paulitsch

Großen Jubel gab es am Montagabend im Kornmarkttheater Bregenz bei der Premiere von „Werther“.

Bewegend und tiefgehend ist die Produktion des Opernstudios der Bregenzer Festspiele mit Jules Massenets vieraktiger Oper „Werther“ im Theater am Kornmarkt. Wieder dürfen junge Sängerinnen und Sänger ihre Chance nutzen, sich in größere Partien und Rollengestaltungen hineinzuarbeiten: vor allem die kanadische Mezzosopranistin Kady Evanyshyn als Charlotte und der mexikanische Tenor Raúl Gutiérrez in der Titelpartie geben all ihr Herzblut.

Die anderen Figuren

Hatte Goethes Briefroman aus dem Jahr 1774 „Die Leiden des jungen Werther“ die Gefühle des Mannes zu der ihn abweisenden Charlotte in den Mittelpunkt gestellt, so gaben der französische Komponist Jules Massenet und seine Librettisten über 100 Jahre später auch den anderen Personen mehr Profil: Im Zentrum steht nun Charlotte, ihre Beziehung zum Vater, dem Amtmann, zur lebenslustigen Schwester Sophie und den jüngeren Geschwistern, für die sie Mutterersatz ist, und zu Albert, dem braven Verlobten und späteren Ehemann. Wenn der schwärmerische Werther zum ersten Mal auftritt, sieht er Charlotte im Kreise ihrer Geschwister, ein Idealbild. Ihre durchaus liebevolle Beziehung zu Albert will er nicht wahrhaben, er bedrängt sie trotz ihres Widerstands und wählt schließlich den Freitod, er stirbt in den Armen Charlottes.

Charlotte im Kreis ihrer Geschwister<span class="copyright">roland paulitsch</span>
Charlotte im Kreis ihrer Geschwisterroland paulitsch


Die Bühnen- und Kostümbildnerin Camilla Hägebarth hat dazu einen abstrakten, vieldeutigen Raum gebaut, der Schutzraum und Gefäß, aber auch Mutterschoß symbolisieren kann. Eine große Kugel hängt in manchen Szenen über der Bühne, wirkt je nach Beleuchtung (Dennis Scherf) bedrohlich oder auch poetisch wie ein Mond. Ein üppiger Vorhang begrenzt die Bühne nach hinten, in der letzten Szene wird er über den sterbenden Werther gezogen, kaltes Bühnenlicht und das Gestänge des Schnürbodens zeigen die bittere Realität. Samtstoffe in warmen Farben werden immer wieder aufgebrochen, überbrücken die alte und neue Zeit: die gelbe Weste und die blauen Hosen für Werther dürfen nicht fehlen, Charlotte zeigt sich in dunklen Farben oder einem leuchtenden Rot.

Charlotte und Werther. <span class="copyright">roland paulitsch</span>
Charlotte und Werther. roland paulitsch

Große Szenen

Die Regisseurin Jana Vetten legt den Fokus auf die starke, wenn auch zuletzt von widerstreitenden Emotionen zerrissene Frau, die Kady Evanyshyn mit klarer Körpersprache und den dunkel leuchtenden Farben ihrer Stimme durchlebt. Deutlich wird auch ihre Stellung im Familiengefüge mit den Geschwistern und dem etwas steifen Albert. Vor der festlich gestimmten Unbeschwertheit des zweiten Akts heben sich die große Szene der Charlotte und das intensive Duett mit Werther im dritten Akt umso dramatischer ab.

Nach dem zunächst eher zurückhaltenden ersten Auftritt entwickelt auch Raúl Gutiérrez als Werther immer mehr Präsenz, er teilt sich die schwere Partie gut ein und überzeugt in der Sterbeszene mit feinen Pianotönen. Mit ihrem hellen Sopran ist die Irin Sarah Shine eine liebenswerte Sophie, der ukrainische Bariton Yuriy Hadzetskyy gibt den etwas blassen Albert, der Belgier Lucas Cortoos den für seine Kinderschar sorgenden Amtmann. Alle Sängerinnen und Sänger des Ensembles haben bereits im März von einer Meisterklasse mit Brigitte Fassbaender profitiert, die die Partie der Charlotte selbst über Jahre verkörpert hat, diese prägenden Erfahrungen sind Teil des gelungenen Opernstudio-Konzepts von Intendantin Elisabeth Sobotka. Ganz reizend sind die hellen Stimmen des Bregenzer Kinderchors, schließlich bilden ihre „Noël“-Rufe den stärksten Gegensatz zum Tod Werthers und dem verzweifelten Ruf Charlottes.

Kostüme von Camilla Hägebarth <span class="copyright">roland paulitsch</span>
Kostüme von Camilla Hägebarth roland paulitsch

Im kleinen Orchestergraben des Kornmarktheaters ist wie immer das schlank besetzte Symphonieorchester Vorarlberg, das die Sänger mit weichen Bläserfarben und intensiven Streichern trägt. Die französische Dirigentin Claire Levacher meistert die in diesem Haus schwer zu erreichende Balance zwischen Bühne und Graben mit klug eingesetzten Steigerungen und viel Gespür für das Atmosphärische der französischen Oper. Großer, fast einhelliger Jubel für das gesamte Ensemble und die überzeugende Deutung des Werks.

Von Katharina von Glasenapp