In der Abwägung von Recht und Gewissen

Michael Köhlmeier hat Sophokles’ „Antigone“ neu interpretiert. Am Donnerstag war die Uraufführung im Theater Kosmos.
Sand rieselt auf den Marmorboden. Zwei Schwestern leiden über den Tod ihrer Brüder. Ein Herrscher spricht über seine Verpflichtung zur Macht und drei bunt-maskierte Boten halten die Geschichte zusammen. In Kooperation mit dem Schauspielhaus Salzburg hat das Theater Kosmos die Tragödie nach Sophokles am Donnerstag uraufgeführt.
Konflikt
Kreon, der Herrscher von Theben, sieht sich als Staatsmann seinem Beschluss verpflichtet und lässt sich nicht dazu hinreißen, Entscheidungen nochmal zu überdenken. Auch nicht, wenn diese dazu führen, dass er seine eigene Nichte Antigone zum Tode verurteilen muss, weil sie trotz seines Verbots ihren Bruder bestattet. Mit dem griechischen Mythos um Antigone hat der Geschichtenerzähler und Schriftsteller Michael Köhlmeier einen der größten Konflikte der Theaterliteratur neu interpretiert.

„Der Konflikt zwischen öffentlicher Ordnung, ohne die kein Gemeinwesen existieren kann, und dem persönlichen Gewissen – dieser Konflikt wird nie gelöst werden.“
Michael Köhlmeier , Schriftsteller
Obwohl Polyneikes im Recht ist, ist doch Eteokles der Gute, weil er für sein Land stirbt. Doch Antigone interessiert sich eben nicht – wie ihr Onkel Kreon – für Recht oder Unrecht oder die vermeintliche Verantwortung gegenüber dem Staat, sondern nur für ihr Gewissen und aus dem heraus hätte sie sowieso über alle ihre Brüder „die Erde gestreut“, was später auch ihre Schwester Ismese verstehen kann, die dann auch sterben möchte, um nicht allein übrig zu bleiben. Und Kreon, der aus Stolz und Verblendung keine Fehler eingesteht, will nicht das Gesicht verlieren.
Moral und Ironie
Mit seiner leicht verständlichen und spannenden Erzählweise nimmt Köhlmeier der Geschichte in seinen Worten die Tragik und ersetzt sie durch Ironie. Er ergründet die Figuren in ihrem Wesen, macht deren Handlungen nachvollziehbar und bringt auch die Hintergründe der Familiensaga ins Bild. Mit der Nüchternheit von Märchen wird die Dramatik der schlimmen Ereignisse von Moral und Unvermögen der Figuren überdeckt. Und auch wenn „Antigone“ hauptsächlich vom Tod und Sterben handelt und am Ende Kreon in seiner Schuld allein zurückbleibt, gehts im Kern um die fatale Entscheidung eines Mächtigen und seine Sturheit, mit der er sich immer mehr in Erklärungen verliert: „Nicht ich bin Ich, der Staat ist Ich. Ich werde nicht den Staat fragen, was er für mich tut, ich werde mich fragen, was ich für den Staat tun kann.“
Was sich wirklich ereignet (hat), erzählen die drei Boten in ihrer Parodie – jeder auf seine Weise, als Lyriker, Erzähler und Berichterstatter – mit erhobenen Händen in Kreons Gegenwart und offenen Mündern hinter seinem Rücken. „Wir denken nicht, wir berichten nur.“

Gut und böse
Köhlmeiers „Antigone“ in der Inszenierung von Robert Pienz ist ein lebendiges und mitreißendes Stück, das mit Ironie und Ästhetik spielt und die besonderen zwischenmenschlichen Verbindungen der Figuren auf der Bühne zerlegt. Orakelhaft rieselt der Sand zwischen die Figuren (Bühnenbild von Ragna Heiny), wenn sie abwägen und hinterfragen zwischen den Kosten der Wahrheit, Gut und Böse oder Richtig und Falsch – gefestigt und unveränderlich in ihren Standpunkten.
Olaf Salzer spielt Kreon als leicht in seinem Verstand schwankenden alten Mann, der ruhig, witzlos und verbissen mit vielen leeren Worten an seinen Gesetzen festhält. Das kraftvolle, das Kreon als Herrscher fehlt, verkörpert Magdalena Lermer als Antigone in einer starken zweifellosen Entschlossenheit.
Nicht nur eine großartige Idee, sondern auch eine hervorragende Umsetzung ist mit den drei Boten (Rene Eichinger, Michael Zehentner und Michael Graf) gelungen, die, egal ob sie auf die Bühne stolpern oder in Versen das Geschehen kommentieren, immer abwechslungsreich durch die Handlung führen und im grotesken Spiel den anderen Figuren erst zu ihrer Wirkung verhelfen.