Kultur

Theaterstück mit Trigger-Warnung

16.02.2024 • 23:00 Uhr
Maria Lisa Huber als Theodora <span class="copyright">anja koehler (3)</span>
Maria Lisa Huber als Theodora anja koehler (3)

Das surrealistische Stück „Das Fest des Lamms“ von Leonora Carrington wurde in der Regie von Johannes Lepper in Bregenz zur Premiere gebracht.

In einer Zeit, in der die Welt selbst zu bizarr wird und Künstler anfangen, an der Vernunft zu zweifeln, bieten Träume die Möglichkeit, eine neue Wirklichkeit zu erschaffen. Eine dieser traumhaft-fantastischen Welten konstruierte die 1917 in Lancashire geborene surrealistische Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington 1940 auf ihrer Flucht aus dem nationalsozialistisch besetzten Frankreich in „La Fête de l’Agneau“ und ließ darin so einige gesellschaftlichen Konventionen hinter sich. Erst 1995 wurde „Das Fest des Lamms“ uraufgeführt.

Fantasie auf leerer Bühne

Am Mittwoch war die groteske Komödie erstmals im Vorarlberger Landestheater zu sehen, ohne Bühnenbild, dafür mit mit Kreide gekritzelter Trigger-Warnung und den gewaltigen Verwandlungskünsten sowie dem pantomimischen Geschick von sechs Schauspielerinnen und Schauspielern. Für jeden Ton und jedes Geräusch sorgt das Ensemble selbst. Wo und wie sich die Dinge genau zugetragen haben, erzählen mehrere Kommentatoren in detailreichen Ausführungen. In der Inszenierung von Johannes Lepper wird vollkommen an die Fantasie des Publikums appelliert, das ruhig und gebannt das Geschehen auf der Bühne verfolgt, wo die Figuren sehnsüchtig durch die nicht vorhandenen Fenster in die klirrend kalte Schneelandschaft schauen und auch das ganze vergossene Blut der Lämmer, in dem sich Theodora wälzt, unsichtbar ist.


Das Haus der alten Mrs. Carnis ist eine Sackgasse für alle – schmutzige, kalte Räume, die von ebenso rauer Atmosphäre durchdrungen sind wie ihre Bewohner, deren konfliktbehaftete Beziehungen zu offen ausgetragenen Gefühlsausbrüchen und körperlichen Angriffen führen. Trotz des oft bösartigen Verhaltens gehen die Gespräche immer wieder in die noble englische Höflichkeit über, um den Schein zu wahren.

Nanette Waidmann, Raphael Rubino und Rebecca Hammermüller in "Das Fest des Lamms".
Nanette Waidmann, Raphael Rubino und Rebecca Hammermüller in "Das Fest des Lamms".


Die unangenehme alte Mutter, Mrs. Margret Carnis (gespielt von Raphael Rubino in Kopftuch und Sakko), verachtet die neue Frau ihres jähzornigen Sohnes Philipp (Nico Raschner). Die impulsive Theodora (Maria Lisa Huber) setzt sich mit einer genauso unbändigen Kraft für ihre Begierde ein, wie sie sich gegen die Ehe mit dem ihr verhassten Philipp wehrt. Der Werwolf und Antiheld Jeremy (Nanette Waidmann) erscheint dagegen fast sanftmütig im Umgang mit Theodora und den Lämmern, die er liebevoll zu sich ruft. Und Hund Henry hat vollkommen zu Recht Angst vor seinem eigenen Sohn, der nicht nur die singenden Lämmer reißt, sondern auch gleich dem Schafhirten Joe Green (Roman Mucha) den Kopf abbeißt. Nur die mysteriös auftauchende Elizabeth (Rebecca Hammermüller) passt irgendwie nicht so richtig ins Bild mit ihrer überheblichen Emotionslosigkeit.

In der Inszenierung von Johannes Lepper ist die Fantasie des Publikums gefragt.
In der Inszenierung von Johannes Lepper ist die Fantasie des Publikums gefragt.

Tod und Wahnsinn

Carrington beschreibt auf faszinierende Weise das ausbrechende willkürliche Verhalten von Menschen, die in einer magischen Welt leben, wo es neben dem Wahnsinn nicht mehr viel gibt außer Tod und Verderben. Ganz ohne Theaterblut oder Animationen gelingt es dem Ensemble in Leppers Inszenierung mit viel Humor, das Abgründige des Menschen in Carringtons Charakteren auf der Bühne erlebbar zu machen, wobei die Figuren auch ein Eigenleben entwickeln. Tiere sprechen, Menschen kauen auf Stuhlbeinen herum, kopflose Lammkadaver werden gewiegt wie ein Säugling, hys­terisches Lachen erstickt im Gekreische und im Sekundentakt mutieren die Figuren zu blökenden Schafen.
Das Stück ist geprägt von der Direktheit, in der die Charaktere schonungslos agieren, ohne Rücksicht auf irgendjemand anderen als sich selbst. Irrational zeigen sie sich von ihrer ehrlichsten Seite in der unheimlichen Stille der Nacht, die auch im nicht abgedunkelten Bühnenraum in der Vorstellung funktioniert. Ein Stuhl und ein Vorhang dienen als einzige Requisiten, trotzdem erscheint die Bühne immer voll, so aufgeladen ist die Stimmung durch die mitreißenden Szenen und die einnehmenden Charaktere. Mit einem langen Applaus zeigen sich die Zuschauer bei der Premiere in Bregenz begeistert.