Kultur

Ungeplante Täuschung von grauen Ecken im Gehirn

04.05.2024 • 17:00 Uhr
Christian Eder_Bildraum Bodensee
Der Künstler Christian Eder mit Arbeiten im Bildraum Bodensee.Petra Rainer

Der Künstler Christian Eder präsentiert im Bildraum Bodensee Werke zur Wahrnehmung von Farbe, Linie, Grund und Form.

Die einzige Farbe, die vorkommt, ist Blau – ein Blau, „das permanent präsent ist im Himmel und im See“ und in den Werken die Verbindung zu seiner Heimat Bregenz hält. Dazwischen beginnen die weißen Flächen zu vibrieren. „Linie – Kreis – Bewegung“ nennt der Künstler Christian Eder seine Ausstellung im Bildraum Bodensee und präsentiert Bilder, in denen alles in angeordneten Rahmen zusammenkommt: Hintergründige geometrische Werke mit Rundungen, Ecken und Kanten, wo Farben aufeinandertreffen und das Spiel mit Schwarz-Weiß sich ausbreitet und in vielschichtigen und exakt durchgeplanten Systemen zu oszillieren beginnt.

Christian Eder_Bildraum Bodensee
Petra Rainer

Durchbrechungen im System

Eder interessiert sich für Elemente und Ordnungen, für das Ausloten dessen, „was wir mit unserem Sehen anstellen können“ und dafür was passiert, wenn es in der Struktur des Bildes zu Durchbrechungen, Verschiebungen, Ausweitungen oder Verzahnungen kommt. Fasziniert sei er nicht nur von Parallelen und Symmetrien, sondern auch von Diagonalen „weil sie gedanklich schon vorbereiten, was über das Bild hinaus geschehen könnte“, erklärt der Künstler.

Er verwende die Geometrie als Vermittlerin, als sinnliche Qualität, die sich in der Symmetrie und der Ausgewogenheit entfaltet. Manchmal gibt’s ein Oben und Unten, aber bei vielen Bildern lädt Eder die Betrachter dazu ein, „mit dem eigenen Sehen ein bisschen zu experimentieren“. So funktionieren die Bilder auch liegend nach rechts genauso wie nach links. In der Bewegung verändert sich die Wirkung von Eder je nach Standpunkt. Das Bild von der Seite betrachtet – ergeben sich etwa völlig neue Blickwinkel. „Malerei ist ein unablässiges Entscheiden und ‚Sich bewegen‘“, um die Reaktionen auf Veränderung zu erkennen – und im Hier und Jetzt verankert auch ein „Mittel der Gegenwartsbewältigung“.

Wenn man genau hinschaue, komme es immer wieder zu Unterbrechungen der Systeme, beschreibt der Künstler: „Es sind geometrische Arbeiten, aber nicht im mathematischen Sinn strikt berechnet.“ Eder geht der Wahrnehmung im Bild gedanklich auf den Grund. „Die Ordnungen faszinieren mich auch im Großen – Ordnungen, die datiert gewachsen sind und nicht infrage gestellt werden, wo aber kleine Dinge passieren, die plötzlich das Ganze ins Wanken bringen. Bis zu welchem Grad kann man gehen, bis das Bild dann, sagen wir mal, abstürzt? Bis zu welchem Grad kann eine Gesellschaft eine Ordnung entwickeln, die dann möglicherweise durch andere Prozesse infrage gestellt wird?“

„Geometrie ist für mich etwas hochgradig Sinnliches.“

Christian Eder, Künstler
Christian Eder_Bildraum Bodensee
Petra Rainer

Faszinierender Sehapparat

Zusätzlich zu den Ordnungen sind Kreise die wesentlichen Bestandteile in Eders Malerei. Es sind Arbeiten, die sich trotz ihrer geometrischen Verfassung bewegen und im Blick der Betrachter neue Formen annehmen. „die Faszination, etwas zu erfassen mit allen Sinnen, vor allem mit der Augenwahrnehmung, ist ja etwas hochgradig Komplexes.“ Der Sehapparat sei aber „eigentlich darauf ausgerichtet, dass wir sehen, was von links kommt, was von rechts kommt, darauf ausgerichtet, dass wir in der Natur nicht nur leben, sondern überleben oder etwas erleben.“
Christian Eders Bilder brauchen Zeit und je länger man sie anschaut, desto mehr wandern Kästchen, Punkte und Kreise aus dem Bild hinaus und aus dem Hirn heraus entstehen graue Ecken und Quadrate. „Das ist etwas unglaublich Fantastisches, wenn man bedenkt, dass ja noch nicht alle Möglichkeiten des Sehens wirklich bis ins letzte Detail erforscht sind. Also es gibt immer noch viele Vermutungen und das Tolle ist doch in der Kunst: Man darf vermuten, man darf sich auch vertun.“

Effekt im Hintergrund

Diese in der Wahrnehmung realisierte optische Täuschung „ergibt sich manchmal“, sei aber nichts, das Eder plant. „Du machst einmal ein Rechteck, dann machst du ein zweites, das spitzt sich zu … und dann bist du fasziniert, dass man da plötzlich Kanten sieht, die es gar nicht gibt. „Der Effekt ist aus meiner Sicht ganz weit hinten“, sagt Eder und möchte sich ganz bewusst vom Design abgrenzen. „In dem System, in dem wir sind, geht es immer darum, dass wir etwas verwenden. Und wir sind natürlich als Künstler in der Gefahr, dass wir auch verwendet werden.“ Eder gehe es in der Malerei aber eben nicht um Nutzen und Verwendbarkeit seiner Werke, sondern um „Sieg oder Niederlage im Bild“. Entsprechende Anfragen aus China habe Eder daher abgelehnt. „Ein Designer wollte Stoffe entwerfen aus Schwarz-Weiß-Design – einerseits schmeichelhaft, aber das will ich eigentlich nicht. Ich mag auch nicht, wenn meine Kunst auf Weinetiketten oder Wursthäuten appliziert wird.“

Der Bildraum Bodensee sei „wunderbar“ für seine Kunst geeignet, „die Blickachse verbindet so toll zwei Bereiche, die mir früher immer wichtig waren – der Wald da oben, der Pfänder und der See – das war unser Spielplatz“, erinnert sich Eder zurück. Es ist ein weißer Raum ohne Ablenkungen, wo Eder neben den Bildern auch Objekte aus Holz, eine simulierte Maschinensituation oder etwa eine Raum-Zeit-Licht-Maschine präsentiert und damit unser Zeitverständnis hinterfragt.

Christian Eder_Bildraum Bodensee
Christian Eder im Bildraum Bodensee.Sieglinde Wöhrer

„Ich nehme immer nur einzelne Segmente wahr und taste mich am Bild entlang, wie einer, der ein Buch liest.“, erklärt der Künstler seine Malweise. „Aber das Spannende ist, wir kommunizieren ja als Menschen auch in eine Richtung, die so ausschaut, dass wenn einer einen Satz sagt, man oft gar nicht mehr wartet, bis er fertig ist, und schon die Antwort weiß. Das Blöde dabei ist oft: Es stimmt nicht. Also ein Teil ist noch Vermutung. Und ähnlich ist es in der Malerei.“

Es werde „immer schwieriger so zu malen, weil es sehr fordernd ist“, so täusche er sich in seinen Bildern ständig selber. Zur Entspannung schaue er hinaus in die Natur und male jeweils drei, vier Werke parallel und zwischendurch auch Flächen, in denen die Abstände größer sind.

Christian Eder: Linie – Kreis – Bewegung, Bildraum Bodensee, Bregenz, bis 15. Juni.