Maestro modelliert mit bloßen Händen

Beim zweiten Abonnementkonzert präsentierte sich das Symphonieorchester Vorarlberg unter seinem Ehrendirigenten und langjährigen Leiter Gérard Korsten im Montfortsaal Feldkirch als ein bestens eingespieltes Team.
Eine ungewöhnliche, aber sehr durchdachte Programmgestaltung mit Werken von Mahler, Schönberg und Dvořák bestimmte diesen eindrücklichen Konzertabend, der als Steigerung vom Zarten zum Kraftvollen, vom Dunkel zum Licht angelegt war.

Tongewordene Liebeserklärung
So war bei den abgedämpften Streicher-Klängen von Gustav Mahlers berühmten „Adagietto“ aus der 5. Symphonie in cis-Moll zunächst nur ein leises Raunen zu vernehmen, dann aber begannen sich aus diffusen Akkorden nach und nach fein gesponnene Linien herauszuschälen, die der Musik mehr und mehr Kontur zu geben vermochten, bis schließlich eine konkrete tongewordene Liebeserklärung des reifen Meisters an seine junge zukünftige Frau Alma zum Greifen nah im Raum stand, klar und leidenschaftlich. Gar nicht sehr langsam, wie oft gehört, aber dafür mit intensivem Zugriff und gleichzeitig mit einem feinen Gespür für alle notwendigen agogischen Erfordernisse einer schwärmerischen Musik modellierte Maestro Korsten ohne Stab im wahrsten Sinne „mit bloßen Händen“ die feinen Dissonanzen und schwebenden Schwelltöne wie aus weichem Modellier-Ton heraus und zeigte sich selbst als ungestüm und leidenschaftlich Suchender, der von „seinem“ Orchester bedingungsloses folgen verlangte. Eine wirklich ans Herz greifende Werkauslegung ist ihm dabei gelungen.

Farbenreicher Schönberg
Danach war die Kammersymphonie Nr. 2 in es-Moll von Arnold Schönberg aufs Programm gesetzt. Ihm, dem heurigen Jubilar, wollte das Orchester, weil er wegen seiner sperrigen Werke eher selten nur den Weg in die Konzertsäle findet, mit der Aufführung dieser wenig gespielten Musik eine späte Huldigung erteilen. Und tatsächlich erwies sich dieses lange unvollendet liegengebliebene und erst im gesetzteren Alter zu Ende gebrachte Werk als guter Griff, denn, anders als die berühmteren 12-Ton-Musiken und die frühen expressiven Werke aus der freitonalen Phase des Meisters, erwies sich dieses Stück als ein gut austariertes Ganzes, das weder an einer Überfülle der Ideen krankt noch einen derart unruhigen expressionistischen Geist versprüht, dass man Mühe hat, das ganze Werk „durchzustehen.“ Nein, hier ist es anders. Zwar in dunklen Farben gehalten, aber durchaus luftig und transparent angelegt, kann das Publikum der vorliegenden Musik gut folgen, kann die – nicht zu dicht gesetzten – Einfälle des Komponisten gut nachvollziehen und kann auch den klugen Aufbau der Musik gut erkennen, ohne von den vielen Verästelungen der musikalischen Gedanken verwirrt zu werden. Obwohl es als heikles Werk gilt, ist von den Schwierigkeiten nichts zu bemerken. Im Gegenteil: das Orchester spielt klangschön und entspannt und hat viel Sinn für die Schattierungen und Nuancen dieser fein ausgearbeiteten Musik.

Dvořák als Trumpf-Ass
Nach der Pause wartete der Dirigent und das Orchester mit Antonín Dvořáks beliebtem Cellokonzert auf. Als Solistin konnte die umtriebige und erfolgreiche Cellistin Harriet Krijgh gewonnen werden, die sich als Kammermusikerin bereits einen internationalen Namen gemacht hat. Sie spielt auf einem schönen Instrument von Domenico Montagnana, das 1723 in Venedig gebaut wurde. Aber mit diesem zarten und obertonreichen Instrument verströmte die Musikerin zwar einen wunderschön intimen Ton, hatte aber Mühe, sich durchzusetzen, wenn das Orchester im Tutti begleitete. Berührend hingegen gelangen der Cellistin die von Dvořák überaus lyrisch angelegten Dialoge mit den Solo-Bläsern des Orchesters. Diese nahmen die Einladung zum Zwiegespräch gerne an und gaben ihrerseits musikalischen Antworten mit so viel Einfühlungsvermögen, dass wirklich innige Momente daraus entstanden. Als schließlich in den Schlussakten noch ein letzter schmetternder Höhepunkt erreicht wurde, war auch der Applaus im Publikum groß. Viele Bravos geleiteten Harriet Krijgh hinaus, nachdem sie sich noch eine duftig-leichte Zugabe mit der Sarabande aus der G-Dur-Suite für Violoncello-Solo von Johann Sebastian Bach entlocken hatte lassen.

Thomas Thurnher