Aus der Haut und in den Schrecken fahren

„Fräulein Julie“ feierte Premiere am Landestheater in Bregenz. Ein Lehrstück über Klasse und wer sie gerne hätte.
Von einem verlobten Diener, der nach oben strebt und der Tochter seines Herren, die nach unten fällt, handelt „Fräulein Julie“. Das 1888 vom schwedischen Autor August Strindberg entworfene Stück feierte am Donnerstag Premiere am Landestheater in Bregenz.

Auf- und Absteiger liegen beisammen
Jean wirkt, als wäre er eine Soziologie-Vorlesung über die Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu entsprungen. Mit jeder Regung zeigt der Diener, dass er den Geschmack der Herrschenden kennt, aber ihre Sitten nicht beherrscht. Egal wie gerne er zu den “feinen Leuten” zählen möchte. Die vermeintliche Chance zum Aufstieg bietet ihm Julie, die namensgebende Tochter des Grafen. Zur Mittsommernacht-Feier steigt sie in die Räume ihrer Diener herab. Dort lebt Jean mit seiner Verlobten Kristin, der Köchin des Hauses. Rebecca Hammermüller wirkt überzeugend, wenn sie dem Paar, gespielt von David Kopp und Maria Lisa Huber, herrisch das gemeinsame Feiern befiehlt. Pflichtbewusst und nüchtern wendet sich die Köchin ab und legt sich schlafen. Jean und Julie hingegen ließen sich zu einer Liebesnacht hinreißen, deren Zauber am nächsten Morgen rasch verschwand. Als die postkoitale Nüchternheit einsetzt, bahnt sich dem ungleichen Paar der Schrecken durch die Glieder. Sie wissen, dass ihr bisheriges Leben vorbei ist, sollte die “Klassenschande” bekannt werden.
Kaskade der Verzweiflung
Der letzte Funken Hoffnung verglüht in der Suche nach einem neuen Leben. Dieses hat Jean klar vor Augen. Er möchte Hoteldirektor an der Côte d’Azur werden, Julie sieht er als Dame des Hauses und notwendige Geldgeberin. Doch sie ist weder willens und noch fähig, dieser ausbeuterischen Fantasie nachzukommen. Was folgt, ist eine Kaskade der Verzweiflung. Hier wird der Diener seiner Haut bewusst, wenn er festhält, dass er aus einem Milieu stammt, dass sich Schwermut und dessen Folgen nicht leisten kann.

Klasse, Stand und Geschlecht
Während der ursprüngliche Text sich kritisch mit adeligen Ständen beschäftigt, wirkt die Philosophie hinter der Aufführung in Bregenz wie ein Amalgam soziologischer Theorien zu Klasse, Stand und Geschlecht, die losgelöst von Geschichte grob ineinander greifen sollen.

Hammermüller und Kopp sind fast schon stimmig, wenn man merkt, dass sich ihre Rollen nur in der Fantasie riechen können. Es ist das Unharmonische, was der Handlung am Anfang Stärke gibt. Gleichzeitig wirkt sie gegen Schluss, als wollen alle aus ihrer Haut und von der Bühne verschwinden.