Kultur

Gerissene Saite und ekstatischer Tanz

12.11.2024 • 07:00 Uhr
Texte & Töne
Gurgelnde Avantgard.ORF Vorarlberg

Festival „texte & töne“ begeisterte in Dornbirn mit kreativen Umsetzungen und Premieren.

Alljährlich laden das Ensemble Plus und das Symphonieorchester Vorarlberg in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Vorarlberg und dem ORF mit dem Bratschisten Guy Speyers als verantwortlichem Kurator zum Festival „texte & töne“ im Vorarlberger Landesstudio.

Über mehr als sieben Stunden spannte sich der Bogen mit äußerst unterschiedlichen neuen Texten und Kompositionen, kundig moderiert von den ORF-Redakteurinnen Eva Teimel (Musik) und Jasmin Ölz-Barnay (Literatur), die Rezensentin stieg mit der ersten Komposition von Johannes Maria Staud ab 17 Uhr „in den Ring“. Manche der kreativen Menschen waren persönlich vor Ort, manche schickten Videobotschaften, wie immer gab es im engen Vorraum intensiven Austausch zwischen den Kulturschaffenden und ihrem Publikum. Leider überlagern sich die Kompositionen – die meisten übrigens Uraufführungen oder österreichische Erstaufführungen – auf Grund ihrer Vielfalt, die ebenfalls sehr unterschiedlichen Textbeiträge können hier leider nicht dargestellt werden.

Texte & Töne
Guy Speyer an der Bratsche.ORF Vorarlberg

Echowirkung und Dynamik

In „Configurations/Reflet“ spielt Johannes Maria Staud mit dem Gegenüber von je vier Streichern und Bläsern. Zusätzlich zu ihren „eigentlichen“ Aufgaben bedienen die Musikerinnen und Musiker mit dem Fußpedal außerdem zwei Drumsets: das Spiel mit Intervallen, Figuren, Echowirkungen und Dynamik weitet sich immer mehr aus und ist live natürlich spannend zu verfolgen.

Ensemble Plus
Ensemble Plus

Kammermusikalisch besetzt mit Streichtrio, Flöte, Klarinette und Trompete ist auch das neue Werk „Im Tal (Tag und Traum 1)“ von Nikolaus Brass, der seit seiner Rückkehr nach Lindau im Vorarlberger Musikleben Fuß gefasst hat und sehr dankbar ist für das Ensemble Plus, das sich mit großer Leidenschaft der neuen Musik widmet. Die „Un-Bekümmertheit“, von der er im Gespräch erzählt, ist vielleicht (noch) nicht so hörbar, doch gleicht seine Musik einem Erkundungsgang mit tastenden und pulsierenden Einzelstimmen, die sich zusammenballen und wieder vereinzeln.

Bei Martin Ritter wird das Klangspektrum von Streichern und Bläsern noch erweitert hin zu Klängen von Klavier und Schlagwerk: Aus den statischen Akkorden lösen sich deren Einzeltöne in Dreiklängen, dehnen sich gleichsam auf mit Zwischentönen, Schleifern, Glissandi und Obertönen. Am Ende von einer chromatisch absteigenden Linie mündet sein Stück im Einklang mit wiederholten, verlöschenden Tönen.

Texte & Töne
Orf Vorarlberg

Gerald Futscher bringt das Publikum und die Ausführenden immer wieder zum Schmunzeln in der experimentellen Spielfreude, dem „Eventcharakter“ und Humor seiner Stücke, was sich verstärkt, wenn er ebenso schräge Kurztexte seines Bruders Christian vertont: mit einer Sängerin, die in ein Aquarium gurgelt, einem Perkussionisten, der mit dem Luftballon schmatzt, und dem Trompeter, dessen Instrument ebenfalls fast in einen Wasserbehälter eintaucht, ist auch fürs Auge manches geboten. Wie mag es wohl zuhause bei Futschers zugegangen sein?

Nervenstarke Geigerin

Hatte sich bei diesen vier Stücken das Ensemble Plus rund um die Geigerin Michaela Girardi, Guy Speyers und den vielseitig geforderten Dirigenten Thomas Gertner mit aller Klangphantasie eingebracht, so engagierten sich nach kurzer Pause das Symphonieorchester Vorarlberg unter der inspirierenden Leitung des südafrikanischen Bratschisten Xandi van Dijk. Herausgegriffen sei hier das Violinkonzert „Oskar“ von Johannes Maria Staud, das ursprünglich für das Lucerne Festival und die Geigerin Midori komponiert worden war. In Dornbirn bewies die estnische Geigerin Triin Ruubel Nervenstärke, als ihr mitten im intensivsten Aufschwung eine Saite riss, sie die Geige mit der Konzertmeisterin tauschen und deren Nachbarin eine neue Saite aufziehen musste. Der gemeinsame, ekstatisch gesteigerte Tanz der Solistin mit dem Orchester mündete in einer jubilierenden und sich aufbäumenden Solokadenz und verlosch in einem feinen Wispern im Dialog mit dem zarten Sirren des Regenstabs.

Texte & Töne
Symphonieorchester Vorarlberg Dirigent Xandi van Dijk. orf Vorarlberg

Spielerische Einblicke in den Denkprozess

Ein weiteres Mal gab es einen klanglichen „Szenenwechsel“, als man gleichsam in das komponierende Hirn der kroatischen, in Leipzig wirkenden Komponistin Sara Glojnarić blickte. Bei aller Schwere, die der Neuen Musik manchmal anhaftet, tut dieser fast spielerische Einblick in den Denkprozess gut – wobei die Überlagerung von Text (vom Band in Englisch) und vielschichtiger Musik (live) auch nicht einfach ist …

Katharina von Glasenapp