Zwischen Skate-Shop und Kunstraum: DWDS in Bregenz sagt Tschüss

Fünf Jahre nach der Eröffnung legt die „Wiedergeburt des Schaufensters“ ein vorläufiges Ende ein. Daher lud das ambitionierte Projekt zur Rückschau nach Bregenz.
Carmelo Ozzimo (51) wollte ein neu gestaltetes Schaufenster für seinen Skate-Shop Pipeline in Bregenz. Dass Jan Klammer (35) und Valentin Hämmerle (29) dieser Bitte in 25 verschiedenen Ausführungen, mit 31 Künstlern weitab von kommerziellen Motiven, nachkommen werden, konnte er 2019 nicht wissen.

Doch für die studierten Szenografen war klar, dass sie keine Innenausstatter sind. Vielmehr blühte ihnen die Idee, den straßenseitigen Vorraum des Geschäfts für eine eigene Schau zu verwenden. Aus dieser entwuchs die „Wiedergeburt des Schaufensters“, kurz DWDS, zu einem offenen Raum für Kunstschaffende. Jetzt wurde das Projekt nach fünf Jahren vorläufig zur Ruhe gelegt, weshalb das Duo am 23.12. zur Rückschau einlud. Ein 140 Seiten langes Buch hält diese fest.

Mit Pathos in die neue Zeit
“Bregenz ist ein Kulturhotspot, aber vor allem für Hochkultur, wie sie auf der Seebühne oder im Kunsthaus stattfindet. Stattdessen wollten wir etwas niederschwelliges machen, das man öffentlich zeigen und in Kontakt mit dem Publikum umsetzen kann“, erinnert sich Hämmerle zurück.

Dieses hatte von Anfang an reges Interesse, wie die Eröffnung am 1. August 2019 verdeutlichte. Damals setzten sie den Raum mit mächtig viel Pathos in Szene und ließen Kunstblut über seine Scheiben laufen. So kam es zu einer symbolischen Wiedergeburt des Schaufensters, mit der für die beiden eine Zeit intensiver Selbstausbeutung einherging. „Im ersten Jahr haben wir aus gesunder Spontanität heraus jeden Monat eine andere Ausstellung organisiert. Der Takt war aber viel zu schnell. Daher entschieden wir uns für sechs Ausstellungen pro Jahr mit je zwei Monaten Spielzeit“, berichtet der 29-Jährige. Wie der Wahlberliner Klammer lebt auch der gebürtige Lustenauer nicht in Vorarlberg. Umso größer ihre kuratorische Leistung. Denn dieser kamen sie ehrenamtlich und pendelnd im Umfang eines Vollzeitjobs nach.

Bregenz neu beleben
Durch ihr Handwerk in der Bühnenwelt vielfältig geschult, musste sich das DWDS-Team die Werkzeuge des Kuratierens erst aneignen. „Wir haben Verständnis für den Raum und dessen Potenzial mitgebracht. Dass wir selbst handanlegen können, hat auch nicht geschadet. Wie das tätige Ausstellungsgeschäft funktioniert, mussten wir aber erst lernen“ gesteht Klammer. „Am Anfang hatten wir keinen E-Mail-Verteiler, wussten nicht, wie Förderungen funktionieren. Auch in Bezug auf Künstlerbetreuung und die Erstellung von Ausstellungstexten haben wir viel mitgenommen“, fügt Hämmerle hinzu.

Ein Umstand, den Luka Berchtold nicht zu spüren bekam. Mit „Passione Celeste“ war die gebürtige Schwarzenbergerin von September bis Oktober 2020 im Raum vertreten. „Die Zusammenarbeit mit Jan und Valentin war sehr lustig und entspannt. Ich hatte das Gefühl, dass sie Bregenz komplett neu beleben und einen frischen Schwung nach Vorarlberg bringen. Und das, obwohl der Raum mit seinen vielen Fenstern nicht leicht zu bespielen ist“, lobt die Künstlerin.

Matthias Bildstein vom Duo „Bildstein | Glatz“ kann sich dem nur anschließen. Mit dem „Microdrome“ brachten sie im Sommer 2020 eine Fahrradbahn aus Steilkurven nach Bregenz, die von außen wie ein Fass anmutet. „Die zwei sind einfach gut. Die Verbindung mit dem Skate Shop war für uns auch sehr toll, da unser Werk im Kontext von Fun- und Extremsport entstand. Es war so, wie man es sich als Künstler wünscht“, schwärmt Bildstein.

Kunstvermittlung ohne Belehrung
Diese Nähe ist einer der Schlüssel ihres Erfolgs. Denn obwohl es Ozzimo vordergründig um die Belebung seines Geschäftslokals ging, ließ er sich auf das Risiko ein und gab keine kreativen Vorgaben. Dass die Besucher seines Shops, der an ein Jugendzentrum erinnert, durch die Kooperation kulturell bereichert wurde, freut ihn besonders: „Wir haben einem Publikum, das als oberflächlich verteufelt wird, Kunst präsentiert. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man so etwas weiter geben kann.“

Dabei ist es den Beteiligten ohne belehrenden Gestus gelungen, teils schwer zugängliche Werke mit formalästhetisch Charakter spielerisch zugänglich zu machen. Sogar von der Pandemie ließen sie sich nicht aufhalten. Denn der Kniff eines Schaufensters ist der Umstand, dass es schon bei Einblick auch ohne Eintritt Neugier weckt.

Dass diese nicht immer positive Natur ist, wurde mehr als einmal sichtbar. „Während des Aufbaus konnten uns die Passanten durch das Glas sehen. Die Tür stand auch immer offen. Als wir dann für eine Arbeit altes Brot angekokelt haben, haben sich manche wegen der Verschwendung von Essen aufgeregt. Eine Taube hat dann an Brot gepickt, woraufhin uns jemand wegen Tierquälerei anzeigen wollte. Das sind die Unterhaltungen, die wir oft führten, bevor die Tür aufgeht. Aber es gibt viele Meinungen in der Gesellschaft und es ist gut, den Diskurs zu öffnen,“ zeigt sich Hämmerle zuversichtlich

Im Herbst 2022 kam den Ritsch Sisters mit „New Arrangements“ die Ehre der vorerst letzten Ausstellung zu. Grund dafür ist der Umstand, dass die Interessen der Beteiligten immer weiter auseinandergingen. Während sich der Unternehmer um mehr Ausstellungen und einen stärkeren Werbeeffekt für sein Geschäft gefreut hätte, fehlte es dem Duo an zeitlichen und monetären Ressourcen. Von einem schlechten Verhältnis kann aber keine Rede sein. Vielmehr spricht die Klarheit der Positionen für die Vernunft der Akteure.

Lektionen für Zwischennutzung
Im Nachhinein kann das DWDS zu den ambitioniertesten und erfolgreichsten Zwischennutzungsprojekten gezählt werden. Da der Zugang zu öffentlichen Geldern für die Kultur laufend schwieriger wird und der Wunsch nach Kooperationen mit privaten Partnern stetig zunimmt, bietet DWDS wertvolle Lektionen für kommende Aufgaben im Kultursektor.