Pioniere der Straßenkunst in Vaduz ausgestellt

Die neue Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein bringt die Kunst der Straße zurück ins Museum.
Pionierinnen der Kunstgeschichte treffen auf die gegenwärtigen Repräsentanten ihrer Zunft, wenn morgen Abend ab 18 Uhr die Ausstellung „Auf der Straße“ im Kunstmuseum Liechtenstein eröffnet wird.
Besuchende erwartet dabei ein urbanes Leuchtfeuer, das inmitten der stillen Gassen von Vaduz ein Licht auf die Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum wirft und diese vermeintlich paradox in den musealen Kontext zurückholt.
Flanieren und Demonstrieren
Marion Matt, Stiftungspräsidentin des Museums, schätzt den gesellschaftspolitischen Anspruch der Schau. Diese lädt zwar zum Flanieren ein, geschieht aber in einer Zeit weltweit zunehmender Proteste. Direktorin Letizia Ragaglia kann sich dem nur anschließen. Gerade in Liechtenstein, wo der öffentliche Raum einen „speziellen Charakter“ trägt, sei sie von geraumem Wert. Chefkuratorin Christiane Meyer-Stoll sieht diesen im Umstand begründet, dass im ländlichen Kleinstaat kein städtischer Zusammenhalt gegeben ist. Stattdessen sei hier der „öffentliche und private Raum viel stärker ineinander verknüpft als in städtischen Ballungszentren.“
Aufgeteilt in vier Räume widmet sich „Auf der Straße“ den Themen „Auflesen“, „Gehen“, „Maintenance (deutsch: Wartung, Unterhalt)“ und „Protest und Leben auf der Straße“. Passend dazu gab es bereits am 18. März einen Vorgeschmack zur Schau, als die Liechtensteinerin Martina Morgers (Jg. 1989) mit der Performance „Einläuten“ glockenbehangen durch Vaduz paradierte. Diese wird zum Ende der Ausstellung am 31. August erneut stattfinden, diesmal unter dem Titel „Ausläuten“.

Morger ist eine der über 30 Kunstschaffenden, deren Werke zur Schau gestellt werden. Meyer-Stoll sieht ihre Generation als Erben jener zumeist in den 1960er-Jahren tätigen Kreativen, die das Podest aus den Museen entfernt und die Kunsträume für den öffentlichen Raum verlassen haben.
Sammeln
Etwa Agnès Varda (1928–2019). Für ihren im ersten Saal gezeigten Film „Les glaneurs et la glaneuse“ (Übersetzt: Die Sammler und die Sammlerin) aus den Jahren 1999 bis 2000 begleitete sie Menschen, die auf der Suche nach Brauchbarem über abgeerntete Felder oder Schrottplätze ziehen. Die archaische Praxis des Auflesens wird damit als in der Gegenwart ungebrochen verdeutlicht. Von der Unzeitmässigkeit unserer Zeit kündet auch Anna Jermolaewa (Jg. 1970). Gleichermaßen humorvoll wie tragisch zeigen ihre Fotografien Lebensmittelhändler mit zum Bersten voll beladenen Autos aus der Sowjetunion.

Reden, Schieben oder Kriechen
Das Kollektiv Salon Liz, bestehend aus Anna Hilti, Stefanie Thöny und Anita Zumbühl hingegen widmet sich dem Gerücht. So soll der englische Begriff „Gossip“, auf Deutsch Klatsch, ursprünglich Freundschaft unter Frauen bezeichnet haben. Die verspielte Installation „Rumors“ ist dabei ein Versuch, dem unerfüllten, positiven Potenzial des „Gossip“ nachzuspüren.

Während im Raum „Gehen“ Klassiker der kritischen Ortsbegehung wie Guy Debords (1931–1994) „Les Conseils Superflues“ (deutsch: „Die überflüssigen Ratschläge“) von 1965/66 zur Schau stehen, sticht ein Werk von Francis Alÿs (Jg. 1959) hervor. Übersetzt trägt es den Titel „Das Paradox der Praxis 1 (Manchmal führt die Herstellung von etwas zu nichts)“. Dabei zeigt die Videoarbeit von 1997, wie der Künstler einen Eisklotz durch die Straßen schiebt. Vom Beugen geht es zum Kriechen. Denn in dieser Haltung zog der Afroamerikaner Pope.L (Jg. 1955) durch die Straßen New Yorks. In diversen Videos festgehalten verweisen seine Aktionen nicht nur auf die Straße, sondern auch auf jene, die dort leben.
Im dritten Saal erinnern die Stickereien von Majd Abdel Hamid (Jg. 1988) an die Folgen der gewaltigen Explosion, die 2020 Beirut verwüstete. „Roma-Madonna“ von Małgorzata Mirga-Tas erlaubt einen Vorblick auf ihre kommende Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Geschaffen mit Stoff, Holz und Acryl, hinterfragt das Werk stereotype Darstellungen von Roma.
Wie Joseph Beuys (1921–1986) einer 1.-Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit einem „Ritual der Reinigung“ begegnete, zeigt der Film „Ausfegen“ (1972) im letzten Raum.
„Auf der Straße“ gewährt wertvolle Einblicke in die Geschichte der Kunst. Dabei bleibt fraglich, ob sich die kritischen Impulse der gezeigten Werke im musealen Kontext entfalten können.