Gegen die Schwerkraft tanzen

Der Bregenzer Frühling zeigte mit „Contre-Nature“ eine Tanzproduktion, die Naturgesetze herausfordert.
Wieder ist man überwältigt von der jüngsten Produktion des Bregenzer Frühlings, wird man hineingezogen in eine Welt der Bewegungen, die man so noch nicht gesehen hat: Begeisterung, Johlen, Pfiffe, angeregte Diskussionen im Foyer und so mancher waghalsiger Sprung sind die Folge nach der faszinierenden Darbietung der Compagnie de Chaillot von Rachid Ouramdame.

Spiel mit Illusion und Wahrnehmung
„Contre-Nature“ – „gegen die Natur“ heißt die Produktion und doch wirkt alles wunderbar leicht und natürlich, was die sieben Männer und drei Frauen da auf die Bühne zaubern: die Gesetze der Schwerkraft scheinen aufgehoben, spielerisch scheinen sie sich den Raum zu erobern, sich in und mit der Natur und/oder dem Wandel der Elemente und der Jahreszeiten zu verbinden. Schemenhaft tauchen einzelne Figuren aus dem Bühnennebel auf, es ist, als würden sie im Herbst am Ufer eines Waldsees stehen oder auf dem Wasser wandeln: Rachid Ouramdame spielt mit Illusion und Wahrnehmung, mit fließender Bewegung auf der Stelle, mit Hebungen und Körpern, die zu fliegen scheinen.

Ein Knäuel aus Menschen
Wenn sich der wabernde Nebel verzogen hat, befinden sich die Tänzerinnen und Tänzer in einem schwarzen Raum, zur zarten elektronischen Glockenspielmusik von Jean-Baptiste Julien verbinden sie Artistik, Körperbeherrschung und Tanz zu einem ungemein ästhetischen Ganzen. Alleine oder in Paaren drehen sie sich im Raum, begegnen sich und driften auseinander, zur Minimalmusik entsteht eine sich stets neu formende Spirale der Bewegung. Immer mehr „erobern“ sie sich den „oberen“ Raum, steigen auf die Schultern, bilden Pyramiden und Säulen, Körper werden getragen, weitergereicht, geworfen, dass man immer wieder den Atem anhält. Auch wenn es natürlich streng durchdacht und choreographiert und den physischen Möglichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer auf den Leib geschrieben ist, wirkt „Contre-Nature“ spontan, spielerisch, aus dem Moment heraus entwickelt. Immer höher werden die Sprünge, immer verwickelter die Knäuel aus Menschen.

Wie Delphine schwimmen
Projektionen von einem Winterwald, Lichtstimmungen, Wasser und zuletzt die rauschende Brandung und wieder der Nebel verorten die Menschen in der Natur, der sie sich im ewigen Kreislauf anvertrauen, um wie Delphine schwimmen zu können und damit einen Urzustand des Glücks zu erreichen. Die wunderbare Truppe, die in einem der Nationaltheater von Paris zuhause ist, und ihr inspirierender Meister Rachid Ouramdane scheinen dem schon sehr nahe zu sein, auch wenn eine geheimnisvolle Figur mit Kapuzenpulli – der Tod? – ebenfalls präsent ist. Der Deutungen gibt es viele, auch das gehört zur Faszination des Bregenzer Frühlings!
Katharina von Glasenapp