Ein alter Mythos findet neue Bühnenkraft

George Enescus Oper „Œdipe“ entführt das Publikum der Bregenzer Festspiele mit intensiven Bildern und großem Chor in eine archaische Welt des Schicksals.
Mit eindrucksvollen Bildern in Bühnenbild, Licht und Kostümen, einem ungemein farbenreichen und manchmal ungewöhnlichem Orchesterklang, einem intensiv mit seiner Partie verbundenen Hauptdarsteller, zahlreichen kleineren Rollen und vor allem dem fast stets präsenten Chor führt die Festspielpremiere von George Enescus „Œdipe“ in eine archaische grausame Welt. Das Schicksal des Ödipus, der eine Schuld auflösen will, für die er nichts kann und die doch sein Leben bestimmt, hat Enescu in seiner 1936 uraufgeführten einzigen Oper auf packende Weise dargestellt.

Farbensprache
In vier Akten werden Stationen aus dem Leben des Ödipus gezeigt, Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Ausstattungsteam assoziiert sie zu verschiedenen Elementen und Farben: Rot für das Feuer und die Freude über die Geburt, grau-blau für das Element Wasser und das Stochern im (Bühnen)-Nebel der Unwissenheit (mit einem effektvollen Auftritt der Sphinx in ihrem ungewöhnlichen Outfit), schwarze Asche für das Wüten der Pest und die Erkenntnis der schrecklichen Wahrheit, zuletzt weisen helle Baumstämme und Frühlingslicht auf Erneuerung und Verklärung.

Bühnenbildner Harald B. Thor hat auf die Drehbühne acht Meter hohe Wände aus Holz gestellt, durch die Ausleuchtung (Andreas Grüter) in Rot, Weiß (mit reichlich Bühnennebel) und Schwarz, wirken sie immer wieder anders.

Entsprechend sind auch die Grundfarben der Kostüme von Tanja Hofmann: Harmonische Rot- und Blautöne in den ersten beiden Akten, tiefes Schwarz im dritten und helle Erdfarben im vierten Akt verstärken die Klarheit und Konzentration in dieser Inszenierung, die die Musik und die erschütternde Geschichte wirken lässt. Herausgehoben ist die Figur des blinden Sehers Tiresias, der sich aus der Erde materialisiert zu haben scheint und den Ante Jerkunica mit mächtiger Bassstimme verkörpert.

Anspruchsvolle Partie
Stimmlich wie körperlich fast omnipräsent ist der französiche Bassbariton Paul Gay in der Titelpartie: Jugendlich, ständig in Bewegung und voller kämpferischer Energie zeigt er sich im zweiten Akt, im dritten macht er die Wandlung vom mächtigen zum verzweifelten Herrscher, von der intensiven Auflehnung zum zerbrochenen Sprechgesang deutlich: Er hat sich diese anspruchsvolle Partie mit zahlreichen Farbnuancen zu eigen gemacht und findet zuletzt noch balsamische Töne der Versöhnung. In der mit zahlreichen Bariton- und Basspartien besetzten Oper (allesamt wohlklingend und charaktervoll) ragt die Tenorstimme des gebürtigen Vorarlbergers Michael Heim als Laos hervor, ebenso leuchten Marina Prudenskaya als Jokaste, Anna Danik als rätselhafte Sphinx, Tone Kummervold als nichts ahnende Mérope und Iris Candelaria als fürsorgliche Tochter Antigone. Hannu Lintu, der finnische Dirigent, fächert die Klänge am Pult der Wiener Symphoniker wunderbar auf, vor allem das Klangfarbenspektrum der Holz- und Blechbläser wird in einem manchmal wuchtigen, manchmal transparent schimmernden Klang ausgereizt. Flöten und Oboen, auch in ihren tieferen Registern, spiegeln die griechische Atmosphäre, dunkles Schlagwerk unterstreicht die schicksalhaften Klänge. Orchesterzwischenspiele vertiefen das Geschehen. In dem mit rund 65 Sängerinnen und Sängern besetzten und von Lukáš Vasilek einstudierten Prager Philharmonischen Chor hat Hannu Lintu einen tollen musikalischen Partner, der ebenso als bewegte Menge wie in seiner differenzierten Klangpracht überzeugt. Langer Beifall für eine starke Produktion, mit der die neue Intendantin ein ebenfalls starkes Zeichen setzt!
Katharina von Glasenapp