Alpaka-Kot und Gletscher-Kleid

Von Ekel und Begierde handelt die Ausstellung der Künstlerin Nicole Weniger im Bildraum Bodensee.
Am trockensten Ort der Welt, der Atacama-Wüste in Chile, brannte die Tiroler Künstlerin Nicole Weniger (geboren 1989) in einer Grube voll Alpaka-Kot Zungen aus Ton. Während sie aus dem Naturstoff Artefakte schuf, fand Weniger in derselben Region nie getragene Mode von Luxusmarken. Zwischen sengendem Sonnenlicht und klirrend kalten Nächten wirken sie wie eine Wunde, ein Denkmal für Achtlosigkeit und Verschwendung.
Die dort entstandenen Serien „Desire“ und „Calvin Klein“ sind als Teil ihrer Ausstellung „Die Sinnlichkeit liegt irgendwo dazwischen“ bis zum 4. Oktober im Bregenzer Bildraum Bodensee ausgestellt.
„Wozwischen?“, lässt sich in Bezug auf den Titel fragen. Zwischen den Extremen scheint die Antwort zu sein. Denn die dichotomen Motive der Schau zeigen unwirkliche Landschaften, flankiert mit spielerischen Gesten der Fürsorge. Ganz ohne belehrenden Zeigefinger, laden sie ein, über das Verhältnis von Mensch und Natur nachzufühlen.
Heimelige Gletscher
So auch „Homes“. Die 2021 entstandene Foto-Serie zeigen selbst gebaute Zelte und Unterschlüpfe an widrigen Orten, Landschaften, die durch den Klimawandel mit Umbruch konfrontiert sind. Fast schon animiert, wie auf einem anderen Planeten, wirkt ein aus Autoteilen gebautes Haus. Mit aufsteigendem orangen Rauch vermittelt es das Bild einer dystopischen Überlebens-Maschine. „Ich wollte etwas Anziehendes schaffen, wo man sich fragt, wer wohnt da überhaupt?“, berichtet die Künstlerin.

Persönlich fühlt sie sich vom Stubaier Gletscher und denen des Kaunertals angezogen. „Ich komme aus dieser Gegend und habe viele Sommer dort verbracht.“ Dieses Gefühl der Heimeligkeit inspirierte sie unter anderem, eine Wäscheleine mit bunt gefärbten Windeln über das kalbende Eis zu hängen. „Auch in wenig einladenden Gegenden hat es immer etwas Gutes, wenn man Wäscheleinen mit Kleidern sieht. Es hat es familiäres, beruhigendes.“
Augenmerk
Auch die Gletscher tragen ein „Gewand“. Folien, die das Schmelzen der Eis-Giganten verlangsamen sollen, nehmen in der Serie „Places with wounds“ einen zentralen Platz ein.

Sie zeigen Freunde der Künstlerin mit aufgemalten Augen an den Händen. Auf den ersten Blick erinnern sie an Stigmata. Stattdessen sollen sie „mehr Augenmerk auf die Situation [der Gletscher] legen, fügt Carmen Zanetti, Leiterin des Bildraum Bodensee, an. Weniger stimmt ihr zu und betont: „Das Handauflegen hat etwas Heilendes.“ Weitere Arbeiten der Serie entstanden in der chilenischen Wüste, wo die bereits erwähnten Zungen herkommen.

Friedhof
Als Teil von „Desire“ setzten sie die Motive von „Places with wound“ unter veränderten Vorzeichen fort. Wie wunderschöner Eiter wirkt der Schleim auf den Zungen, andere Bilder zeigen ihn, wie er aus rissiger Erde quillt. „Ich mag das Dazwischen, zwischen Begierde und Ekel“, lacht die Tirolerin. Während sie den Schleim in einem Kindergeschäft erwarb, fand sie den Lehm in einem Flussbett der Wüste, der Kot der Alpakas „liegt halt herum.“ Er sei Rohstoff einer traditionellen Brenn-Tradition.

Nicht traditionell, wenn auch von langer Dauer, sind die entsorgten Kleider. „Im Norden von Chile, in Iquique, gibt es eine Freihandelszone, wo tonnenweise Fast-Fashion-Textilmüll in der Wüste entsorgt wird. Oft ist noch ein Preisschild dran. Wobei das meiste verbrannt war. Die Regierung zahlt dafür Prämien.“ In dieser aschebedeckten Landschaft entstanden die Werke der Serie „Calvin Klein“. Sie zeigt Nahaufnahmen der Kleider, die fast schon an Fossilien erinnern. „Es war wie ein Friedhof“, zeigt sich Weniger bestürzt.
Am 13. September, um 14 Uhr, bietet die Künstlerin eine Führung durch die Schau.